Trinken versteht als die Franzosen, ist er hiermit erbracht. Und wenn unsere stolzen Nachbarn überhaupt noch eines Apologeten ihrer Küche bedürfen, dann haben sie ihn mit Peter Peter gefunden.
Seine Kulturgeschichte der französischen Küche ist eine einzige Ode an den vortrefflichen Geschmack der Franzosen, an ihre brennende Liebe zur Gourmandise, für die er schlagende Argumente am laufenden Band findet: Die Kinder bekommen schon an den Grundschulen bei einer "semaine du goût" Geschmacksunterricht; der Taubenzüchter Jean-Claude Miéral aus der Bresse ist so bekannt und populär wie bei uns ein Kai Pflaume; der Drei-Sterne-Gott Alain Ducasse lässt sich selbstverständlich dazu herab, in seinen Kochbüchern auch über das adäquate Öl für einzelne Kartoffelsorten zu sinnieren, um die perfekten Pommes frites herzustellen.
Ein solcher Feinschmeckerfanatismus entsteht nicht von heute auf morgen, sondern ruht auf einem felsenfesten Fundament. Für Peter wurde es schon in der Antike gelegt, und so beginnt sein immer kenntnis- und detailreicher, manchmal auch etwas atemloser Parforceritt durch die Küchenkulturgeschichte mit Asterix und Obelix, macht dann kurz Rast bei den Merowingern und Karolingern und schildert danach in den schillerndsten Farben die dionysischen Gastmahle am mittelalterlichen Hof von Burgund inklusive geschmorter Pfauen im Federkleid mit vergoldeten Krallen.
Auch die beiden Schlüsselfiguren der gastronomischen Nationalgeschichte werden gebührend gewürdigt. Heinrich IV. konnte mit einem einzigen Satz das kulinarische Selbstverständnis der Franzosen bis heute prägen: "Jeder Feldarbeiter soll am Sonntag sein Hühnchen im Topf haben", sprach der König und verfügte so, dass gute Küche kein Privileg der höheren Stände, sondern ein Volksvergnügen ist. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. wiederum schuf in Versailles viele Grundlagen der modernen Gastronomie von den Menüfolgen über die Küchenbrigaden bis zu den Tischmanieren. Außerdem führte das Zeremoniell rund um die Mahlzeiten zu einer intellektuellen Beschäftigung mit dem Essen, die in einer Flut von Kochbüchern und gastrosophischen Schriften mündete, die Emanzipation der Haute Cuisine von der mittelalterlichen Gewürzküche vorantrieb und das Alpha und Omega der modernen, französischen Kochkunst schuf: die Betonung des Eigengeschmacks der Ingredienzien und die Meisterschaft der Saucen. Von der Überlegenheit dieser Maximen ließen sich auch die Fürsten während des Wiener Kongresses gern überzeugen, die am liebsten bei Talleyrand speisten und damit der Grande Cuisine endgültig zum kontinentalen und später globalen Siegeszug verhalfen.
Das alles wird mit vielen Zitaten und Aphorismen gespickt, mit schönen Zeichnungen und Fotografien garniert und nach jedem Kapitel mit Originalrezepten aus der jeweiligen Epoche abgerundet. Dazu gibt es Exkurse zu den Säulenheiligen der französischen Esskultur, zu Charcuterie, Chartreuse und Champagner, zu Käse, Kaffee und Cognac. Doch trotz aller Fülle fehlt dem Buch etwas: die Überraschung. Nur ganz selten werden zum Beispiel hartnäckig kolportierte Legenden entlarvt wie der Trugschluss, erst die Heirat des französischen Thronfolgers mit Catarina de Medici 1533 und die Etablierung der Florentiner Küche am Hof habe die Grande Cuisine entstehen lassen - wahr ist vielmehr, dass die Franzosen schon vorher glänzend kochten und der Einfluss Italiens marginal war.
Sehr oft hingegen hat man den Eindruck, dass nur Altbekanntes aneinandergereiht wird, dass man jeden Gang bei diesem kulturgeschichtlichen Menü schon einmal gegessen hat, dass die Lust an der wortreichen Prasserei größer ist als die Freude am intellektuellen Erkenntnisgewinn. Peter Peter betreibt mit diesem Buch keine strenge Wissenschaft, sondern reiht im pointillistischen Plauderton unterschiedslos Tatsachen und Trouvaillen, Aperçus und Anekdoten aneinander. Er erzählt lieber, als zu erklären, knüpft ungern Zusammenhänge, geht fast nie in die Tiefe, verblüfft selten mit originellen Thesen, und falls doch - wie im Kapitel über Paris als Hauptstadt der Lebenslust im neunzehnten Jahrhundert - lassen sie sich leicht widerlegen: Frivolität sei damals eine Art Staatsziel gewesen, damit die Menschen vor lauter Austernschlürfen und Champagnertrinken gar nicht erst auf revolutionäre Gedanken kämen - was sie dann aber gleich dreimal innerhalb von vierzig Jahren taten.
Was von diesem Buch bleibt, ist trotzdem noch ein schöner Genuss: eine ebenso unterhaltsame wie leidenschaftliche Hommage an unsere französischen Erbfreunde, deren glühende Liebe zur guten Küche uns endlich zum Vorbild werden sollte.
JAKOB STROBEL Y SERRA
Peter Peter: "Vive la Cuisine". Kulturgeschichte der französischen Küche.
Verlag C.H. Beck, München 2019. 236 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
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