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Marie, eine geschiedene 47-jährige Literaturprofessorin verbringt ihre Sommerferien in Krumau in einer nahezu leeren Wohnung ihrer Schwester. Als sie im Strom der Touristen durch die Gassen flaniert, begegnet sie dem jungen Buchhändler Filip. Ihre aufkeimende Romanze atmet die Atmosphäre eines heißen Julis und erinnert an literarische Vorbilder.Dabei hatte Marie Krumau vor allem gewählt, weil sie hoffte, ihr Verhältnis zur Schwester und den alten und kranken Eltern verbessern zu können und sich um ihre eigene Einsamkeit zu kümmern. Denn sie steckt in einer Lebenskrise: Erinnerungen an die…mehr

Produktbeschreibung
Marie, eine geschiedene 47-jährige Literaturprofessorin verbringt ihre Sommerferien in Krumau in einer nahezu leeren Wohnung ihrer Schwester. Als sie im Strom der Touristen durch die Gassen flaniert, begegnet sie dem jungen Buchhändler Filip. Ihre aufkeimende Romanze atmet die Atmosphäre eines heißen Julis und erinnert an literarische Vorbilder.Dabei hatte Marie Krumau vor allem gewählt, weil sie hoffte, ihr Verhältnis zur Schwester und den alten und kranken Eltern verbessern zu können und sich um ihre eigene Einsamkeit zu kümmern. Denn sie steckt in einer Lebenskrise: Erinnerungen an die Vergangenheit überkommen sie, und die Aussicht aufs nahende Alter ist auch nicht erfreulich. In der Tradition starker männlicher Vorbilder überlegt sie, was war, wie sie in Zukunft leben will und was sie von einer "Shakespeare-Liebe" erwarten kann.
Autorenporträt
Jirí Hájícek, geboren in Budweis (Ceské Budejovice), gehört zu den herausragenden tschechischen Autoren unserer Zeit. Für seine Romane, die alle in der südböhmischen Landschaft angesiedelt sind, hat er zahlreiche hohe Auszeichnungen erhalten.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jörg Plath findet in Jiri Hajicek eine "eindrücklich leise" Erzählstimme. Wie der Autor vom Leben seiner Hauptfigur, der geschiedenen Prager Unidozentin Marie, zwischen Stadt und Provinz erzählt, subtil Geschichte einfließen lässt und das Motiv der Grenze zwischen Nationen, Generationen und Geschlechtern umkreist, scheint Plath lesenswert. Den elegant ausbalancierten Ton des Romans in der "ruhigen" Übersetzung von Kristina Kallert findet Plath nahezu makellos.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2021

Chiffren des Sommers auf Restholz

Tschechisch-deutsche Geschichte, neu belebt: Jirí Hájíceks "Vignetten mit Segelschiff" umspielen den Begriff der Grenze.

Böhmen liegt seit Shakespeares Zeiten am Meer, und auch bei Jirí Hájícek haben die "Vignetten mit Segelschiff" Wasser unterm Kiel oder Schwert. Nur schwappt es im Jahr 2018 in einem Brunnen, der seit Jahrzehnten von doppelten Betonplatten abgedeckt ist, und die nautischen Vignetten zieren eine große Zahl von Rumflaschen eines längst seligen volkseigenen Kombinats. In einer sanft surreal anmutenden Szene lässt Hájícek einen Brunnenfachmann einige Flaschen klirrend auf einen Haufen werfen und nach einem, besser zwei Glascontainern verlangen, während die staunend vor ihm auf dem Hof des Bauernhauses stehenden Hauptfiguren des Romans an den kränkelnden Vater denken, der lange Zeit trank. Mit den nur gemalten, zudem als Warenzeichen benutzten Chiffren des Sommervergnügens, eingelagert in einem Vergangenheitsbetondock, blitzt in dem Roman "Vignetten mit Segelschiff" für Augenblicke eine symbolische Ebene auf, die seinen diskreten Realismus in Spannung versetzt.

Von solch subtilen Momenten ist das Buch von Jirí Hájícek durchzogen. Der 1967 geborene Tscheche, eine der eindrücklich leisen Stimmen des Landes, erzählt von der frisch geschiedenen Prager Universitätsdozentin Marie Boucek. Die attraktive, 47 Jahre alte Frau wehrt sich gegen die Einsamkeit ebenso wie gegen unvermittelte Avancen von Kollegen und Zufallsbekanntschaften. Immer öfter fährt sie in das südböhmische Krumau ( eský Krumlov) zwischen Budweis und Linz, um den kränkelnden Eltern zu helfen, die den großen Bauernhof nicht verlassen wollen. Wehren muss sie sich auch in der Weltkulturerbe-Stadt: Maries ältere Schwester Veronika wirft ihr seit Jahren in rüdem Ton vor, sie mit der Sorge und der Arbeit für die Eltern alleinzulassen. Denn Veronika blieb vor Ort, während Marie nach Prag ging und studierte. Jedes Fremdwort kanzelt Veronika als "Philosophie" ab.

Die Rückkehr ist keine Heimkehr. Manche Krumauer diffamieren die Hauptstädterin als Hure, weil sie Interesse an einem bildschönen Studenten zeigt. Andere wahren Abstand wegen alter Konflikte der Väter und Großväter, die sie der unwissenden Marie gegenüber nicht einmal andeuten wollen. Die Pragerin sehnt sich also nach der Geborgenheit des Lebens in der Provinz und wird aus ihr als Gefährdung oder Ahnungslose ausgeschlossen. Allerdings fährt auch ihre Freundin Katka entsetzt nach Prag zurück, nachdem sie gesehen hat, wie jung Maries Adonis ist.

Hájíceks Erzähler ist seiner Hauptfigur nahe, er weiß nicht mehr als sie. Viel ist es nicht. Über Virginia Woolfs Roman "Mrs. Dalloway" hat Marie eine 460 Seiten lange Analyse verfasst - über die eigene Mutter, gesteht sie sich ein, bekäme sie wohl keinen Absatz zustande. Erst als der bisher herrische Vater plötzlich fußballspielende Tiere auf Restholz malt, entspinnt sich ein Gespräch zwischen den Generationen jenseits eingeübter Konfliktlinien. Die Konturen von Ereignissen nach dem Münchner Abkommen tauchen auf: Beim böhmischen Krumau lag die Demarkationslinie zwischen dem sogenannten Sudetenland, das Hitlers Wehrmacht 1938 besetzte, und der Rest-Tschechoslowakei. Im Kampf gegen die Deutschen fanden Maries Vater und der Nachbar zusammen, nach 1945 bekämpften sie einander wieder, nun unter den zur Verfügung stehenden ideologischen Vorzeichen. Auch daher erzog der Vater die Töchter wie Jungen, wogegen sich nur Marie wehrte.

Allmählich schiebt sich im Roman das Motiv der Grenze in den Vordergrund: die zwischen den Deutschen und den Tschechoslowaken, die zwischen den verfeindeten Nachbarn, den Geschwistern, den Generationen und den Geschlechtern. Ob es überhaupt erwachsene Männer gibt, bezweifelt Marie mit Blick auf den Schwager, der in Bodybuilder-Pose und mit eingezogenem Bauch einem Holzstapel auf dem Bauernhof mit der Kettensäge zu Leibe rückt. Allerdings wirkt ihre Liebessuche sympathischerweise durchaus nicht reifer.

Der Einwand stellt sich en passant ein. Durch Scheidung, Freundschaft, Feindschaft und deutsch-tschechische Geschichte hindurch umspielt "Vignetten mit Segelschiff" den Begriff der Grenze. Hájícek legt sich nicht fest, lobt und verurteilt nicht, wozu Kristina Kallerts ruhige, zuweilen bedächtig wirkende Übersetzung gut passt. Nur am Ende verliert Hájícek leider die elegante Balance: Marie begegnet auf dem Feld des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof einem Mann, der Slawik heißen muss und dessen Vater 1945 aus dem Nachbardorf von Krumau floh. Ein Sudetendeutscher also. Zufälle gibt's!

Davor aber fängt Jirí Hájícek leichthin einen Schwebezustand in zwölf Kapiteln ein, die nach den Monaten eines Jahres benannt sind, sich jedoch stets auf wenige Tage konzentrieren. Aus der Chronologie fällt der an den Anfang gestellte "Oktober 2018": In ihm wird Marie von der Polizei zu ihrem Auto gerufen, das der recht ruhig wirkende Schwager seltsamerweise auf einer matschigen Wiese festgefahren haben will. Sie ist erheblich angetrunken, weil sie den ersehnten Adonis eben mit einer Gleichaltrigen überrascht hat. Zwei Kontrollverluste überschaubaren Ausmaßes ziehen in einen Roman hinein, der auf diskrete und den Menschen zugewandte Weise von Grenzen erzählt - und von den Grenzen menschlicher Anstrengungen angesichts einiger Vergangenheiten in Betondocks.

JÖRG PLATH.

Jirí Hájícek: "Vignetten mit Segelschiff". Roman.

Aus dem Tschechischen von Kristina Kallert. Karl Rauch Verlag. Düsseldorf 2021. 268 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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