Marktplatzangebote
15 Angebote ab € 1,75 €
  • Gebundenes Buch

Nach dem 'Alphabet der Gefühle': weitere "wunderbare, federleichte, subtile und sehr melancholische Texte über urplötzliche Gefühlseinbrüche in den Alltag des Einzelnen" (Hajo Steinert). Mit neu entdeckten Erzählungen aus dem 'Alphabet der Gefühle' und anderen Geschichten über das unstete Zusammenleben der Menschen und das Brüchige ihrer Beziehungen.

Produktbeschreibung
Nach dem 'Alphabet der Gefühle': weitere "wunderbare, federleichte, subtile und sehr melancholische Texte über urplötzliche Gefühlseinbrüche in den Alltag des Einzelnen" (Hajo Steinert). Mit neu entdeckten Erzählungen aus dem 'Alphabet der Gefühle' und anderen Geschichten über das unstete Zusammenleben der Menschen und das Brüchige ihrer Beziehungen.
Autorenporträt
Goffredo Parise, geboren 1929 in Vicenza, Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist. Er arbeitete vorwiegend für den 'Corriere della Sera'. Seit 1960 lebte er in Rom, wo er 1986 starb.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.1998

Grundschule des Lebens
Die nahezu klassischen "Versuchungen" des Goffredo Parise

Goffredo Parise (1929 bis 1986) war noch keine drei Jahre tot, als der mailändische Verlag Mondadori mit einer Werkausgabe in der illustren Reihe "I Meridiani" begann; das gleicht einer Nominierung zum modernen Klassiker und ist erstaunlich. Denn Parise zeigt weder spektakuläres Interesse fürs Erzählen des Erzählten wie Italo Calvino, kaum phantastische Ausschläge wie Luigi Malerba; und der sozialen Frage ging er nicht strikter nach, nur weil es linksintellektuell so hätte sein müssen.

Sein Erfolg beruht auf einem einfachen Grund: Er versteht es, aus der Welt der kleinen Geschichten eine Kunst zu machen. Sie führen vor, daß das Unbehagen in der Kultur nicht allein die Schuld der "Großen Geschichten" ist, die deshalb zerschlagen werden müssen. Auch dort, wo weniger Systemzwang herrscht, gibt es die freien Lebenslagen nicht. Für Parise ist das Leben im Grunde immer anders, als man denkt - und erst insofern wirkliches Leben.

Fünfzehnmal trägt dies der Erzählband vor, der nun in (gelegentlich etwas ungelenkem) Deutsch vorliegt. Der Titel "Versuchungen" täuscht, vor allem mit Gustav Klimts herausfordernder "Danae" als Untermalung. Behutsam, nachsichtig führen die Stücke ihre Wahrheit ins Feld: Ein "Mann vom neuen Schlag", ein dreister Überlebenskünstler, macht sich auf Kosten anderer ein gutes Leben. Aber er fährt sich und seine Familie zu Tode. Man fühlt sich, so wie Parise erzählt, zuvorkommend von seinen Geschichten aufgenommen; erklärt wird jedoch nichts. Dadurch werden sie denkwürdig: Man muß ihnen einen verschwiegenen Zusammenhang unterstellen. Herr Trupía wird zum sozialen Sieger, weil er die anderen durchschaut; aber er wird zum Opfer, weil er, selbstherrlich, seinen eigenen Motiven gegenüber blind bleibt. Ein anderer, ein "bel ami" der mondänen Gesellschaft, hält, unsensibel gegen Alter und Umstände, an seiner Selbstinszenierung fest. Darüber wird er zum Unpassenden, weil er sich nicht anzupassen vermag. Seine Starrheit hat, wie andere Fälle belegen, gegen ein Grundgesetz des Lebens, die Beweglichkeit, verstoßen.

Eine andere Version: Glauco hatte Romana "jahrelang geprüft", ob sie eine "gute Hausfrau" sei, und sie daraufhin geheiratet. Nach nur wenigen Ehetagen wird sie von einer Verwandlung erfaßt, die an Kafka erinnert. Glauco hatte seine Frau genau kalkuliert, seine Rechnung aber ohne die menschliche Ordnungsliebe gemacht. Die Ehe weckte die Sinnlichkeit seiner Frau und ließ sie nicht ruhen, bis er, der Ordnung halber, die Rolle eines Tieres übernahm. Keiner bleibt zuverlässig der, der er ist; jeder trägt das Potential zu einem anderen in sich.

Eine Botschaft oder gar eine Moral der Geschichte übermittelt Parise nicht. Aber wer glaubt, seiner selbst, der anderen, der Verhältnisse gewiß zu sein, der verfällt einer Heimsuchung durch das Gegenteil. Wer leben will, muß stets in Betracht ziehen, daß alles auch anders sein kann.

Parise macht sich zum Anwalt des Unregelmäßigen als der entscheidenden Lebensregel; er will in einer Denkweise schulen. Seine Geschichten gleichen einer Grundschule, in der das kleine Einmaleins des Lebens unterrichtet wird: daß es immer zwei Wahrheiten gibt, die These und ihr Gegenteil, eben zwei Seiten einer Medaille. Parise hat sich an den Brunnen gesetzt und beobachtet, warum so viele Menschen hineinfallen.

Doch so weit gestreut die Beispiele auch sind, Parise deutet an, daß sie ein System haben. Sie sind im Original unter Titeln wie "Sillabari" (Fibeln) oder "Voci" (Stichworte) gestellt. Das ist seine diskrete Art, ihren Zweck zu bezeichnen. Sie sollen ein Lesebuch für erwachsene Schulanfänger des Lebens sein; sie bilden Stichworte im Lexikon menschlicher Ungereimtheiten. Wohl deshalb sind sie da und dort etwas schematisch und überdeutlich, wie Parabeln; sie sorgen dafür, daß der Leser sich seiner Sache nicht sicher ist. Doch sie alle sind Gesten eines Moralisten, der nicht moralisiert. WINFRIED WEHLE

Goffredo Parise: "Versuchungen". Erzählungen. Aus dem Italienischen übersetzt von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1998. 157 S., geb., 34,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr