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Über die politische Funktionalisierung zweier Selbstverbrennungen, ihre Kontinuitäten und Brüche.Die Selbstverbrennungen des Studenten Jan Palach 1969 in der Tschechoslowakei und des Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976 in der DDR erscheinen heute als zwei zentrale Wegmarken in der Widerstandsgeschichte gegen den Staatssozialismus. Als »lebendige Fackeln«, so das bestimmende Narrativ, hätten beide ihr Leben für Freiheit und Demokratie geopfert. Auch wenn ihr Andenken staatlicherseits unterdrückt worden sei, habe ihr Vermächtnis im Wirken von Opposition und Dissens überdauert und sich mit dem…mehr

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Produktbeschreibung
Über die politische Funktionalisierung zweier Selbstverbrennungen, ihre Kontinuitäten und Brüche.Die Selbstverbrennungen des Studenten Jan Palach 1969 in der Tschechoslowakei und des Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976 in der DDR erscheinen heute als zwei zentrale Wegmarken in der Widerstandsgeschichte gegen den Staatssozialismus. Als »lebendige Fackeln«, so das bestimmende Narrativ, hätten beide ihr Leben für Freiheit und Demokratie geopfert. Auch wenn ihr Andenken staatlicherseits unterdrückt worden sei, habe ihr Vermächtnis im Wirken von Opposition und Dissens überdauert und sich mit dem politischen Umbruch 1989 erfüllt.Sabine Stach geht der Universalisierung und Funktionalisierung dieser Widerstandsdeutungen nach. Hierfür nimmt sie zivilgesellschaftliche, staatliche und kirchliche Akteure in West und Ost im Zeitraum von 1969 bzw. 1976 bis 2013 in den Blick. Inwiefern dienten ihnen Palach und Brüsewitz zur politischen Argumentation und zur Selbstvergewisserung? Welche Kontinuitäten,Verflechtungen und Brüche zeigen sich? Auf diese Weise entsteht die Geschichte zweier Märtyrerfiguren im Staats- und Postsozialismus, die weitaus sperriger sind, als es ihre Kanonisierung nahelegt.
Autorenporträt
Sabine Stach, geb. 1982, Studium der Kulturwissenschaften, Kunstgeschichte sowie Bohemistik/Slovakistik in Leipzig und Prag; seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut Warschau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kultur- und Zeitgeschichte Ostmitteleuropas und der DDR, Erinnerungskulturen und Geschichtspolitik im Postsozialismus, Tourismusgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2016

Vielschichtige Deutungsmuster
Die Selbstverbrennung von Jan Palach und Oskar Brüsewitz

Vor vierzig Jahren - am 18. August 1976 - fand die Selbstverbrennung von Oskar Brüsewitz vor der Michaeliskirche im sächsischen Zeitz statt. Der ostdeutsche Pfarrer wollte mit seinem drastischen Akt die Unterdrückung der Kirchen im Kommunismus im Allgemeinen und in den Schulen der DDR im Speziellen anklagen. Die Mystifizierung als christlicher Märtyrer, der in eine Reihe mit den Protagonisten der Bekennenden Kirche im "Dritten Reich" gestellt wird, seine Viktimisierung als Verfolgter der Stasi und Opfer einer Kirchenführung, die sich durch den SED-Staat korrumpieren lässt, erfolgte vor 1989 vor allem in der Bundesrepublik. Hier wurde der Fall Brüsewitz parteipolitisch instrumentalisiert, zum Argument gegen die Entspannungspolitik der SPD/FDP-Regierung und als Sinnbild für den Unrechtscharakter des DDR-Regimes in Szene gesetzt.

Die Reaktionen auf den Protestsuizid in der DDR waren anders geartet: Zwar befürchtete die Stasi nach dem Tod von Brüsewitz unter anderem Auswirkungen auf die Opposition im eigenen Land: "Vom MfS werden in Abstimmung mit den örtlichen Partei- und Staatsorganen sowie den kirchenleitenden Organen entsprechende Maßnahmen eingeleitet, um zu verhindern, dass die Beisetzung von Brüsewitz für feindlich negative Aktivitäten gegen die DDR missbraucht wird", hieß es in einem Bericht vom 23. August 1976.

Die Angst von SED-Führung und Staatssicherheit, dass die Tat von Brüsewitz zum Mobilisierungsschub für die weitere Verstärkung der DDR-Opposition werden könnte, war allerdings größtenteils unbegründet. Einzig ein diffamierender Artikel im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland", der Brüsewitz als geisteskranken Querulanten diffamierte, führte zu einer Reihe von Protesten. Darüber hinaus bezogen sich einzelne Ausreisewillige auf den Pfarrer, indem sie mit einer Nachahmung der Tat drohten. Familie und Bekannte von Brüsewitz sowie die DDR-Kirche wehrten sich hingegen gegen alles, was einen Märtyrerkult begründet hätte.

Nach friedlicher Revolution und Wiedervereinigung waren es wieder vor allem Protagonisten aus der alten Bundesrepublik mit starkem Sendungsbewusstsein, die durch eine selektive und suggestive Quellenauswahl den Pfarrer aus Zeitz als Opfer von Stasi und Wegbereiter der friedlichen Revolution idealisierten. Gleichzeitig wurde der Fall instrumentalisiert, um mit dem Agieren der evangelischen Kirche in der DDR abzurechnen. Heute wird das "Fanal von Zeitz" zumeist - auch von DDR-Bürgerrechtlern - in eine Reihe von Ereignissen des Jahres 1976 eingeordnet, die den Auftakt zu einem Erstarken der Opposition bildeten: zusammen etwa mit der Biermann-Ausbürgerung und der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki durch die DDR-Regierung.

Brüsewitz war nicht der Einzige im ehemaligen Ostblock, der mit dem Mittel der Selbstverbrennung ein politisches Fanal setzte. International bekannter ist der Fall des tschechischen Studenten Jan Palach, der sich im Januar 1969 auf dem Wenzelsplatz in Prag aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings selbst anzündete. Anders als im Fall Brüsewitz wurde Palach sofort zum Helden und zur Symbolfigur. In den späten siebziger und achtziger Jahren wurde das Gedenken an Palach in oppositionellen Kreisen der CSSR weiter gepflegt - auch als Kritik am Verhalten der schweigenden Mehrheit. Nicht zuletzt das tschechoslowakische Exil trug zur Märtyrisierung von Palach bei und etablierte ihn damit im internationalen Gedenken. Die samtene Revolution 1989 in der CSSR wurde als die Vollendung des Vermächtnisses von Palach gesehen, und er selbst avancierte zum Nationalhelden, der er bis heute geblieben ist.

Sabine Stach hat in ihrer Studie Palach und Brüsewitz als Beispiele für politisches Märtyrertum im Staatssozialismus und Vermächtnispolitik bis ins Jahr 2013 untersucht. Sie erörtert die verschiedenen nationalen und transnationalen Diskurse, nimmt die diversen Akteure in den Blick und versucht, das vielschichtige Geflecht von Zuschreibungs- und Deutungsmustern nachzuvollziehen. So gelingt ihr eine Dekonstruktion von Mythen, Idealisierungen und Geschichtsbildern. Sie zeigt darüber hinaus die Problematik eines Aufarbeitungsparadigmas, das die Aktivitäten der kommunistischen Geheimpolizeien in den Mittelpunkt stellt. Wenn der Band auch einige Längen hat, so ist er dennoch ein wichtiger Beitrag zur dringend erforderlichen Historisierung der Geschichte des untergegangenen kommunistischen Herrschaftsbereichs.

DANIELA MÜNKEL

Sabine Stach: Vermächtnispolitik. Jan Palach und Oskar Brüsewitz als politische Märtyrer. Wallstein Verlag, Göttingen 2016. 511 S., 42,- [Euro].

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»ein wichtiger Beitrag zur dringend erforderlichen Historisierung der Geschichte des untergegangenen kommunistischen Herrschaftsbereichs.« (Daniela Münkel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.08.2016) »ein sehr aufschlussreiches Buch« (Christian Halbrock, H-Soz-Kult, 13.12.2016) »Die Studie bietet eine umfassende und reflektierte Diskursanalyse, die auf einer breiten Materialbasis beruht.« (Volker Zimmermann, sehepunkte, Ausgabe 17 (2017), Nr.1) »ein sehr gelungener und originärer Beitrag zur Erforschung der Erinnerungs-, Vergangenheits- und Gedenkpolitik« (Ilko-Sascha Kowalczuk, Das Historisch-Politische Buch, 2/2017) »Ihre Arbeit zählt zu den herausragenden Studien über europäische Geschichtskultur« (Jan Claas Behrends, Bohemia, 57 (2017) 2)