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"Engel heben sich die schönen Flügel für besondere Tage auf."
Catrin Barnsteiners Geschichten stehen in der Tradition der amerikanischen Short Stories. Was ihre Helden erleben, ist alltäglich genug, um jederzeit und überall zu geschehen - und so außerordentlich, dass es erzählt werden muss: das Leben, eine tägliche Gratwanderung.

Produktbeschreibung
"Engel heben sich die schönen Flügel für besondere Tage auf."

Catrin Barnsteiners Geschichten stehen in der Tradition der amerikanischen Short Stories. Was ihre Helden erleben, ist alltäglich genug, um jederzeit und überall zu geschehen - und so außerordentlich, dass es erzählt werden muss: das Leben, eine tägliche Gratwanderung.
Autorenporträt
Catrin Barnsteiner, geboren 1975, arbeitet seit 2001 als Redakteurin im Ressort "Reportage" bei der Zeitung Die Welt, zuvor tätig als freie Journalistin für u. a. den Stern. Sie wurde zweimal für den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten nominiert und veröffentlichte erotische Kurzgeschichten in Playboy. Die Autorin lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2004

Die Namen der Äpfel
Schwieriges Alter: Catrin Barnsteiners Erzähldebüt

An der vollkommenen Lakonik der Geschichten von Raymond Carver soll, so heißt es, sein rigide eingreifender Lektor einigen Anteil gehabt haben. So jemand hätte der neunundzwanzigjährigen Berliner Journalistin und Reporterin Catrin Barnsteiner auch nicht schlecht getan, die nun ihren ersten Band mit short stories vorlegt.

"Mein Bruder ist Psychiater, und ich hasse ihn dafür, daß er Sätze über mir ausschütten kann wie Rotwein auf einem hellen Flokati." So holprig sollen literarische Debüts nicht anfangen, sonst ist es wie mit dem hellen Vorleger: Ein Fleck bleibt. Der Flokati liegt in der Wohnung von Rosalie, die ihren dreißigsten Geburtstag feiern will, aber nicht weiß, wie. Aus Ratgebern schreibt sich die Einsame zusammen, was zu beachten ist, von Salzstangen bis Partymusik. Damit nichts schiefgeht, lädt sie sogar zu einer Probeparty ein, bei der, man ahnt es schon, dann alles schiefgeht. Die Kollegen amüsieren sich, aber auf Kosten der Gastgeberin. Am Ende rupft Rosalie ihren Flokati und "würde nie mehr aufhören".

In ihren Zwangshandlungen und unbewußten Gesten offenbaren Barnsteiners Figuren ihr innerstes Unglück. Für solche ergiebigen Kleinigkeiten hat die Autorin eine große Lupe. So muß der Detektiv der längsten der zehn kurzen Geschichten dauernd Totenköpfe in Tische ritzen. Dabei geht es in "Eine Detektivgeschichte" gar nicht zuerst um ihn. Jene anonyme Auftraggeberin, welche die Berichterstattung über eine dereinst bekanntere Schauspielerin bestellt, erweist sich als die frühere Diva selbst; so sehr wünscht sie, daß noch einmal über sie geschrieben wird. Heute läßt sie sich vom Chauffeur in schwarzer Limousine zum Altglascontainer kutschieren, morgen kauft sie am Kiosk einen Seniorenfahrschein für den Nahverkehr. Das Objekt der Begierde der dicken Bianca ist ein stark rosafarbenes Paillettenkleid, Größe 36, wie für eine Eiskunstlaufprinzessin. Weil irgendwo gerade Winterspiele stattfinden, kann man sich im Kaufhaus als Paillettenprinzessin fotografieren lassen. Bianca, Größe 44, aus der Textilabteilung, kommt jeden Tag, um sich in das Kleid zu zwängen, aber die Fotos wirft sie fort.

Dicke Mädchen, alternde Diven, einsame Sekretärinnen: das Personal von Catrin Barnsteiners Sammellust der Obsessionen sind nicht eben originell. Aber auch die dicke Bianca hat ein Gegenüber mit Eigenleben. Es ist die Fotografin, deren Künste vor der korpulenten Prinzessin versagen. Wir treffen sie dann in der Schuhabteilung, vor lindgrünen Manolo-Blahnik-Stilettos mit satiniertem Absatz (elf Zentimeter) und Fesselriemchen "in schimmernder Limone". Wo, wie hier, die Optik von dem Album der Absonderlichkeiten zurückschwenkt auf die nur scheinbar nicht Auffälligen, die Normalen, erreichen Barnsteiners stories unvermutet Raumtiefe und schöne Rätselhaftigkeit. Einem Kleingärtner wird die blitzneue Thermoskanne, die seine Frau ihm mitgibt, zum Bild für die hermetisch gewordenen Wärme-Kälte-Verhältnisse seiner Ehe. "Es erstaunt ihn, daß ihm plötzlich nichts einfallen will, was so glatt ist wie diese Thermoskanne. Und dann macht es ihn wütend. So eine Kanne ist das."

Von überwiegend sanften, ungeschickten Menschen erzählt Barnsteiner, alle ein bißchen erniedrigt und beleidigt. Etwa der greise Apfelhändler, der den Golden Delicious, Gravensteinern und Braeburn die Namen verflossener Schöner gibt, statt ans Geschäft zu denken; bei dem die Boskop "nebeneinander in ihren Seidenpapiermänteln ruhen dürfen wie vornehme, leicht erschöpfte Kranke". Überhaupt ist der Vergleich Catrin Barnsteiners treffendstes Mittel. In der Detektivgeschichte weht es einmal Schnee herein, der "auf dem Teppich schmilzt wie eine Botschaft, die sich vor dem Lesen selbst vernichtet". Dann wieder brennt sie in der Partygeschichte ein Pointenfeuerwerk ab - jeder Satz ein Kracher -, als ob es ein Handbuch für Auftakterzählungen in Debüts so befohlen hätte.

Manchmal geht der Wille zur leserfreundlichen Gestaltung auf Kosten von Genauigkeit und Wahrscheinlichkeit. Daß der schon der Welt abhanden gekommene, weil ganz seinen Äpfeln lebende Alte der Kundschaft "leise und stolz" von seinen früheren Lieben erzählt, will nicht in das Bild des Sonderbaren passen, das die Autorin bis dahin souverän zu zeichnen versteht. Und der verdruckste Elektriker, dessen Leidenschaft eine aus tausenden Glühbirnen zusammengesetzte Leuchtreklamenzigarette ist, wird kaum "Briefe mit zwei amerikanischen Tabakplantagen gewechselt" haben, um die korrekte Bezeichnung für den weißen Teil der Zigarette zu ermitteln. Kleinigkeiten, und doch mag man der Autorin ihre Figuren dann nicht mehr ganz abnehmen. Bemerkenswert allerdings bleibt, wie die 1975 geborene Erzählerin sich gleichermaßen überzeugend in zwei alte Mädchen versenken kann, die sich die Haus-Beichte des angehimmelten Herrn Pfarrers mit gut erfundenen Sünden erkaufen, oder in ein Girlie von heute, das von sich sagen kann, "ich bin in einem schwierigen Alter", und das einen Zaun streichen muß, um sich Rollschuhe mit kleinen weißen Flügeln hintendran zu verdienen: "Ich denk' mir, daß die Zaunlatten hungrige Kinder aus Afrika sind, die in einer Reihe stehen und auf meine Farbe warten wie auf was zu essen. Das klappt ganz gut. Man kann nicht wirklich im Gras rumsitzen, wenn hungrige Kinder aus Afrika auf was zu essen warten."

Catrin Barnsteiner: "Verglüht". Erzählungen. Verlag SchirmerGraf, München 2004. 168 S., geb., 17,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht ganz zufrieden ist Rezensent Holger Noltze mit diesem Erzähldebüt, in dem seinen Informationen zufolge allerlei ein bisschen Erniedrigte und Beleidigte die Gelegenheit haben, ihr innerstes Unglück zu offenbaren. Zwar lobt der Rezensent, wie souverän sich die 1975 geborene Erzählerin in manche der von ihr beschriebenen Figuren versenken kann. Insgesamt findet er allerdings das "Personal von Catrin Barnsteiners Sammellust der Obsessionen" wenig originell. Schon der holprige Anfang lässt Noltze nichts Gutes ahnen und liest sich für ihn, als ob Anweisungen befolgt würden, die "ein Handbuch für Auftrakterzählungen befohlen" habe.

© Perlentaucher Medien GmbH