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Im Laufe von rund dreißig Jahren schrieb Hermann Lenz die Geschichte seines Alter ego auf, die des Schriftstellers Eugen Rapp. Die Romanfolge über diesen "Kollegen" erscheint hier zum ersten Mal in einer Kassette versammelt.

Produktbeschreibung
Im Laufe von rund dreißig Jahren schrieb Hermann Lenz die Geschichte seines Alter ego auf, die des Schriftstellers Eugen Rapp. Die Romanfolge über diesen "Kollegen" erscheint hier zum ersten Mal in einer Kassette versammelt.
Autorenporträt
Hermann Lenz, eigentlich Eugen Rapp, wurde am 26. Februar 1913 in Stuttgart geboren und starb am 12. Mai 1998 in München. Nach seinem Studium in Heidelberg kehrte er 1937 in seine Heimatstadt zurück. Im 2. Weltkrieg war er Soldat und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. 1951 hielt er eine Lesung vor der "Gruppe 47". Er lebte zunächst in Stuttgart, bevor er 1975 wieder nach München zog. 1993 gründete Hermann Lenz eine Stiftung zur Förderung junger Autoren und Literaturwissenschaftler. Er schrieb zahlreiche Gedichte, Erzählungen und Dramas. 1978 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt, 1997 erhielt er den Würth-Preis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.02.2013

Die subversiven Idyllen des Eugen Rapp

Hermann Lenz ist der Autor, in dessen Büchern sich der junge Peter Handke geborgen fühlte: Zum Hundertsten von Lenz erscheint noch einmal der Roman "Neue Zeit".

Hermann Lenz, der heute vor hundert Jahren in Stuttgart geboren wurde und am 12. Mai 1998 in München starb, ist einer der subversivsten Schriftsteller unserer Literatur.

Dabei war er ein ganz friedlicher, freundlicher, sanftmütiger Mensch, vollkommen unfähig zu Streit und Polemik, vollkommen ungeeignet zu Hass und Verachtung, absolut desinteressiert an Einfluss, gar Macht. Und er hat in allen Gedichten, Erzählungen und Romanen seines langen, mehr als sechs Jahrzehnte währenden Schreiblebens auch das ihm Mögliche getan, um den äußeren Eindruck, den er, ein so feiner, gebildeter, bescheidener Herr, auf sein Gegenüber machte, durch Stil und Sujet seiner Werke zu beglaubigen und zu bekräftigen.

Bis zum 22. Dezember 1973 hat ihn diese Haltung dann auch zu einem Dichter im stillen Winkel gemacht, zu einem, der Jahr für Jahr in kleinen und kleinsten Verlagen vor sich hin publizierte, ohne im Grunde wahrgenommen zu werden - traditionell gestimmte, oft reimende Lyrik über alltägliche Dinge und die ihn umgebende Natur, mal novellen-, mal romanhafte Geschichten zudem, die er mit Vorliebe im Wien des fin de siècle ansiedelte und mit handlungsmüden Adligen und deren Dienern bevölkerte. Er war schon über fünfzig, als er sich in der Figur des Eugen Rapp einen literarischen Doppelgänger schuf und mit dieser, wie er es nannte, "Volksausgabe meiner selbst" auf Vergangenheitserkundung ging - erst zurück ins neunzehnte Jahrhundert und in die schwäbische Welt seiner Vorfahren ("Verlassene Zimmer", 1966), danach sich vortastend in die Zeit der eigenen Jugend und des aufkommenden Nationalsozialismus ("Andere Tage", 1968).

So hätte es weitergehen können, und so ging es auch weiter: Bis zu seinem Tod erschienen in toto neun Rapp-Romane. Der letzte heißt "Freunde" (1997) und erzählt, maßvoll verschlüsselt, vom Münchner Lebensabend des Ehepaars Hanne und Hermann Lenz. Und doch hatte sich für diesen Autor inzwischen alles geändert. Denn am 22. Dezember 1973 druckte die "Süddeutsche Zeitung" einen Aufsatz mit dem Titel "Tage wie ausgeblasene Eier - Einladung, Hermann Lenz zu lesen". Geschrieben hatte ihn der nahezu dreißig Jahre jüngere, dafür aber bereits hochberühmte Autor Peter Handke. Und von Stund' an war auch Lenz berühmt, erhielt einen wichtigen Literaturpreis nach dem anderen, reiste von einer Ordensverleihung zur nächsten, wurde, wiederum dank Handkes Intervention, Autor in Siegfried Unselds Verlagen Suhrkamp und Insel, erlebte Neuauflagen und Neuausgaben von soeben noch unverkäuflichen Büchern - und war's auf seine zurückhaltende Art zufrieden. "Sapperlot!", sagte er bisweilen, indem er Eugen Rapp zitierte, der das auch immer sagt, wenn er sich wundert. Eine wirkungsmächtigere Empfehlung jedenfalls als jene, die Handke für Lenz gab, wird man in unserer Literatur schwerlich ein weiteres Mal finden.

Was aber hatte ihn so fasziniert? "Ich bekam", notiert Handke, "vom Lesen ein Kindheitsgefühl; ... kaum jemals hatte ich mich so geborgen gefühlt." Aber er spürte naturgemäß auch, dass solche Begütigung vor allem ein Antidot für "die Angst" darstelle, die alle Bücher von Hermann Lenz grundiere. Damit war der Kern des Werks benannt. Es gibt sich an der Oberfläche gerne gefällig, ja bisweilen harmlos - und es wiederholt immer aufs Neue das nie auftrumpfende Außenseitertum der Hauptfiguren, ihr Nicht-Mitmachen, ihren Rückzug ins Private, ihre Lust zur Weltflucht. Aber solcher Quietismus hat einen Preis, denn die Verhältnisse der Zeit und die herrschenden Normen der Gesellschaft verlangen jeweils nach Teilhabe, Dabeisein, Einordnung und, vor allem, Unterordnung. Wer da nicht mitmachen kann, kommt nahezu zwangsläufig unter die Räder,

Nirgendwo hat Hermann Lenz dies genauer und zugleich radikaler dargestellt als in dem 1975 erstmals erschienenen Rapp-Roman "Neue Zeit", dessen Handlung sich von Ende 1937 bis Anfang 1946 erstreckt, also vom Vorabend des Zweiten Weltkriegs bis zu dessen Nachwirren. Rapp, der in München Kunstgeschichte studiert und erste zarte Bande zu der Halbjüdin Hanni Treutlein geknüpft hat, wird zu Beginn des Frankreichfeldzugs zur Wehrmacht eingezogen und im Winter 1941 mit seiner Einheit an die russische Front versetzt: Leningrad soll eingeschlossen und ausgehungert werden. Bis Januar 1944 werden dabei mehr als eine Million Menschen das Leben verlieren.

Im Herbst 1942 wird der Scharfschütze Rapp, der bisher nicht einen einzigen Schuss abgegeben hat, Zeuge einer Exekution. "Da wurde in einen Menschenkopf eine Maschinenpistolensalve hineingejagt", notiert er und fährt dann, weiterhin von sich selbst in der dritten Person redend, sogleich fort: "und trotzdem schrieb er wenig später Verse, in denen nur heller Schein und Schimmer war". Das lyrische Idylle heißt "Rote Schuhe" - und findet sich im Band "Zeitlebens", in dem Lenz 1981 seine ihm wichtigsten Gedichte versammelte. Das Subversive dieses Autors wird an dieser ungeheuerlichen Stelle exemplarisch. Es zeigt sich darin, dass gerade das bloße Beiseitestehen, das schiere Beobachten, das Nicht-Mitmachen Schuld erzeugt - und dass der Versemacher deshalb "vielleicht verachtenswert" ist. So hält Hermann Lenz Gerichtstag über Eugen Rapp, also gegen sich selbst. Das ist die Wahrheit seiner Literatur.

Dass gerade dieser Roman zum hundertsten Geburtstag in einer Neuausgabe veröffentlicht wird, ist sehr angemessen. Dem Band beigefügt sind einige Briefe, die sich Lenz und Hanne Trautwein, das "Fräulein Treutlein" des Romans, in jenen Jahren tatsächlich geschrieben haben: Es ist das erste Mal überhaupt, dass aus der umfangreichen Korrespondenz der beiden Proben an die Öffentlichkeit finden. Ganz beiläufig erfährt man dabei auch, dass es sich bei dem frühen Verehrer der nachmaligen Hanne Lenz um den jungen Franz Josef Strauß gehandelt hat. Im Roman heißt er Hackl und hasst den Helden.

JOCHEN HIEBER

Hermann Lenz: "Neue Zeit". Roman. Mit einem Anhang: Briefe von Hermann und Hanne Lenz 1937 - 1945. Ausgewählt von Peter Hamm.

Insel Verlag, Berlin 2013. 431 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.04.2013

Scharfschütze des Hinschauens
So wie dieser erzählt kein Großvater vom Krieg: Eine erweiterte Neuausgabe von Hermann Lenz’ Roman „Neue Zeit“ zum 100. Geburtstag des Schriftstellers
Natürlich war es Zufall, dass die Ausstrahlung des viel diskutierten ZDF-Dreiteilers „Unser Mütter, unsere Väter“ zusammenfiel mit der Neuausgabe des Weltkriegs-Romans „Neue Zeit“ von Hermann Lenz, die sein Verlag zum 100. Geburtstag des am 26. Februar 1913 in Stuttgart geborenen, im Mai 1998 in München gestorbenen Schriftstellers herausgebracht hat. Und doch stellte die Wiederlektüre dieses dritten Teils aus dem autobiografischen Roman-Zyklus um Lenz’ literarisches Alter Ego Eugen Rapp die bessere Alternative zum Fernsehfilm dar.
  Durch die Intervention Peter Handkes, der 1973 in dieser Zeitung eine Lanze für den verkannten Außenseiter des Literaturbetriebs gebrochen hatte, war Lenz aus dem stillen Winkel heraus und zu Suhrkamp geholt worden, Auszeichnungen und Ehrungen folgten bis hin zum Georg-Büchner-Preis. Trotzdem blieb Hermann Lenz ein Autor mit überschaubarer Lesergemeinde. Erhellender aber als das TV-Stahlgewitter ist Lenz’ stille Subversion, weil sie das publizistische Oberkommando widerlegt, das die Fernsehnation vor den Bildschirm befohlen hatte. Denn dem historischen Konstrukt der Objektivität hält Lenz die Erkenntniskraft einer stoischen Subjektivität entgegen, welche die schwer erträglichen Widersprüche mit der Legitimität des literarischen Chronisten unversöhnt stehen lässt.
  Von der Schwabinger Studentenbude wird der verträumte Schöngeist Eugen Rapp in den Schützengraben katapultiert. Später wechselt er, wie er sagt, noch einmal den Beruf: vom Soldaten zum Kriegsgefangenen in Montana, der mit dem Stempel n.n. (no nazi) 1946 nach Hause darf. Den Frankreichfeldzug erlebt er noch als vergleichsweise bukolische Landverschickung. Erst als „Sumpfkrieger“ an der Ostfront fühlt er sich wie ein Zeitreisender, den es in ein archaisches Getümmel verschlagen hat. Die Kameraden – ein Wort, das Rapp hasst – rekrutieren sich mehrheitlich aus einfachen, leutseligen Männern, mit wenig Verständnis für die Mörike-Gedichte, die Rapp als geistige Notration im Brotbeutel mit sich führt. Die Offiziere sind biedere Studienräte, die in der Wehrmachts-Bücherei angelegentlich in der Stifter-Ausgabe blättern und Rapp auch dann noch beschützen, als er mit einer defätistischen Äußerung in einem Flugblatt der Sowjet-Armee zitiert wird.
  Alles könnte relativ unbedroht wirken, kämen nicht ständig Menschen um, viele von ihnen im friendly fire der eigenen Geschütze, während andere, der Homosexualität oder politischen Opposition verdächtig, verschwinden, gäbe es nicht die bürokratisch durchgeführten Gräueltaten und die Stapel nackter Leichen, die im Tauwetter stinken. Und auch die sexuelle Aufgeheiztheit, dieses als „Desaster-Sex“ bekannte Phänomen. Rapp leistet keinen offenen Widerstand, aber er hat sich geschworen, „bis in jede Einzelheit“ alles im Gedächtnis zu behalten, denn: „Die Erinnerung galt doch für das ganze Leben“.
  Obwohl er gut schießen kann, übersteht Rapp den Krieg, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern. Aber ein Scharfschütze ist dieser Erzähler als genauer Beobachter. „Neue Zeit“, mit dem Titel ist die Zeit im Runen-Zeichen jenes „kellergesichtigen“ Mannes mit dem viereckigen Bärtchen gemeint, der Rapp einmal am Münchner Siegestor im Auto überholt. Die neue Zeit steht aber, in grimmiger Ironie, auch für die private Ära, die beginnt, als Rapp vor Kriegsausbruch im kunstgeschichtlichen Seminar der Münchner Universität seine spätere Frau Hanne Trautwein kennenlernt, die im Buch Treutlein Hanni heißt. Da sie Halbjüdin ist und im Straßenbahndepot Tramwagen schrubben muss, bangt Rapp im russischen Schlamm mehr um ihr als um sein eigenes Leben.
  Es ist eine weitere Ironie des Romans, dass Rapp sich bereits, bevor er Soldat wird, freiwillig mit einer Pistole bewaffnet, und zwar gegen einen zudringlichen Nebenbuhler um Hannis Gunst, im Buch heißt er Hackl, tatsächlich verbirgt sich dahinter der junge, heißblütige Franz Josef Strauß. Dass der Erzähler seine Verlobte immer nur formelhaft Treutlein Hanni nennt, befremdet ebenso wie die Repetition redensartlicher Wendungen, etwas Lenz’ berühmtes „Au net schlecht“. Wenn man jedoch die Briefe des Paares aus jener Zeit liest, die dem Band beigefügt sind und in denen Lenz sich weitaus offener, was seinen Hass auf die Nazis, fiebernder, auch koketter, was seine Liebe zu Hanne betrifft, äußert, der versteht, dass es sich um einen Kunstgriff handelt. Dieser erzählende Quietist, eine Art ziviler Ernst Jünger, hat sich eine „Schutzschicht“ zugelegt. Um so sträflicher ist die lieblose Auswahl der Briefe sowie der Verzicht auf Kommentierung und Nachwort.
  Gleichwohl ist die „Neue Zeit“ gut gewählt, um an Hermann Lenz zu erinnern, der immer noch im Ruf steht, ein provinzieller Traditionalist zu sein. Der Roman enthält die Quintessenz seines Schreibens: Die eskapistische Traumwelt der guten alten Zeit vor dem Epochenbruch, in die Rapp an der Front immer wieder entflieht und über die Lenz in seinen frühen Büchern geschrieben hat. Und die äußere Welt, die er thematisierte, als er zum Historiografen der „neuen Zeit“ wurde. Zugleich zeigt das Buch mit seinen beherzten Zeitsprüngen, seiner Preisgabe naturalistischer Anbiederung und seiner kolloquialen Auflockerung einer oft gravurhaften Stilistik die Modernität dieses scheinbar so bedächtigen Erzählers. Sollen die Großväter vom Krieg erzählen, keiner wird es so tun wie dieser.
CHRISTOPHER SCHMIDT
Hermann Lenz: Neue Zeit. Roman. Mit einem Anhang: Briefe von Hermann Lenz und Hanne Lenz 1937-1945. Ausgewählt von Peter Hamm. Insel Verlag, Berlin 2013. 432 Seiten, 22,95 Euro.
Hermann Lenz (1913-1998) hatte sich nach lyrischen und im 19.
Jahrhundert angesiedelten Werken erst spät in Eugen Rapp einen literarischen Doppelgänger erfunden, um seine eigene Zeit zu erforschen. FOTO: BRIGITTE FRIEDRICH
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