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Vaters Meer erzählt von einem Schicksalsschlag, der eine ganze Familie trifft, von einer Vater-Sohn-Beziehung, die abrupt endet, von Migration und Zugehörigkeit. Deniz Utlu zeichnet die unerwarteten Wege des Lebens wie der Erinnerung nach. Sein Roman zeugt von der Kraft des Erzählens - die dann am deutlichsten wird, wenn die Sprache das Letzte ist, was einem bleibt.
Yunus ist dreizehn Jahre alt, da erleidet sein Vater zwei Schlaganfälle und ist fortan nahezu vollständig gelähmt. Er kann nur noch über Augenbewegungen kommunizieren. Zehn Jahre wird er von Yunus' Mutter gepflegt, erst in einem
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Produktbeschreibung
Vaters Meer erzählt von einem Schicksalsschlag, der eine ganze Familie trifft, von einer Vater-Sohn-Beziehung, die abrupt endet, von Migration und Zugehörigkeit. Deniz Utlu zeichnet die unerwarteten Wege des Lebens wie der Erinnerung nach. Sein Roman zeugt von der Kraft des Erzählens - die dann am deutlichsten wird, wenn die Sprache das Letzte ist, was einem bleibt.

Yunus ist dreizehn Jahre alt, da erleidet sein Vater zwei Schlaganfälle und ist fortan nahezu vollständig gelähmt. Er kann nur noch über Augenbewegungen kommunizieren. Zehn Jahre wird er von Yunus' Mutter gepflegt, erst in einem Heim, dann zu Hause, bevor er stirbt. Und Yunus, der zum Studium ausgezogen ist aus der elterlichen Wohnung, ruft sich immer wieder Bilder aus seiner Kindheit wach: Erlebnisse und Gespräche mit dem Vater, von denen er manchmal gar nicht mehr wusste, dass er sie noch in sich trägt. Sie fügen sich zu dem warmherzigen Porträt eines Mannes, der mit lauter Stimme lachte oder auf Arabischfluchte, der häufig abwesend und leicht reizbar war und der einst aus Mardin nahe der türkisch-syrischen Grenze nach Istanbul ging, dort den Militärputsch miterlebte und schließlich mit einem Frachtschiff nach Deutschland kam.

»Dieses Buch hat mein Herz gebrochen und wieder zusammengeflickt. Die Figuren und die Sprache, sie werden mich für immer begleiten.« Fatma Aydemir
Autorenporträt
Deniz Utlu, geboren 1983 in Hannover, studierte Volkswirtschaftslehre in Berlin und Paris. Von 2003 bis 2014 gab er das Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext heraus. Sein Debütroman, Die Ungehaltenen, erschien 2014 und wurde 2015 im Maxim Gorki Theater für die Bühne adaptiert. 2019 erschien sein zweiter Roman Gegen Morgen. Außerdem hat er Theaterstücke, Lyrik und Essays verfasst. Er forscht am Deutschen Institut für Menschenrechte und veranstaltet am Maxim Gorki Theater die Literaturreihe Prosa der Verhältnisse. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Alfred-Döblin-Preis und dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Der zentrale Satz von Deniz Utlus drittem Roman ist "Ich stellte mir vor", findet Rezensent Guido Graf: Der Erzähler Yunus sucht in der Beschäftigung mit seinem Vater, der nach zwei Schlaganfällen unter dem Locked-In-Syndrom leidet, die eigene Stimme. Das geschieht, so Graf, im Modus der Möglichkeiten und Vorstellungen, die sich Yunus über den Vater, über dessen Leben zwischen Türkei und Deutschland, über die Einsamkeit macht. Für den Kritiker ein einfühlsames und melancholisches Buch über Erinnerungen und ihre Möglichkeiten, wie er schließt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.08.2023

Eine Brücke ins All
Deniz Utlu hat sein bisher bedeutendstes Buch geschrieben, ist verrissen
und verteidigt worden, alles noch, bevor der Roman jetzt endlich erscheint.
Durch Hannover mit dem Autor von „Vaters Meer“
VON MARIE SCHMIDT
Da ist der große Butterkeks. Goldenes Aushängeschild am Hauptsitz der Firma Bahlsen, deren deutsches Standardprodukt so verlässlich nach gar nichts schmeckt. Einleuchtend, dieses Wahrzeichen in der Stadt zu sehen, die Normalität ausstrahlt wie kaum ein anderer Ort der Republik. „Der Keks wird auch schon mal geklaut“, sagt Deniz Utlu. So was macht Schlagzeilen in Hannover.
Wahrscheinlicher wäre es, den Schriftsteller in Berlin zu treffen. Er lebt seit Jahren in Schöneberg. Aber in Hannover ist er aufgewachsen, und in seinem neuen Roman „Vaters Meer“ spielt die Stadt eine Rolle. Seit er hier 2003 das Kulturmagazin Freitext gegründet hat, war seine Stimme als Essayist, Theaterautor etwa am Berliner Ballhaus Naunynstraße, am Gorki-Theater und als Autor zweier Romane immer deutlicher zu hören. Sein drittes Buch nun liest sich, als mache er darin den Stoff seines Lebens zu Literatur. Er korrigiert vorsichtig: „Meines bisherigen Lebens“. Über Zeki, die Vaterfigur der Geschichte, heißt es im Roman: „Er erzählte, dass ihn Hannover beruhige, er gern hier sei, aber irgendwann zurück in die Türkei gehen werde.“ Dazu kommt es nicht. Nach zwei Schlaganfällen leidet der Vater unter dem Locked-in-Syndrom und verbringt das Jahrzehnt vor seinem Tod im Bett eines Pflegeheims in Hannover.
Dort jetzt also erst mal auf einen Espresso ins Café Mezzo am Anfang der Lister Meile. Hier habe er, sagt Deniz Utlu, das erste Mal mit jemandem über seine Texte geredet. Als Fünfzehnjähriger hatte er dem Dichter Oskar Ansull ein Gedicht geschickt. Er solle mehr schicken, antwortete der: Wem eins gelingt, der hat vielleicht einfach nur Glück gehabt. „Er hat mir dann etwas gezeigt, das ich heute noch mache“, sagt Deniz Utlu: Nicht über Sätze und Bilder nachdenken, die nicht funktionieren, sondern die starken Stellen heraussuchen, den Rest weglassen und mit dem stabilen Kern neu anfangen. Für „Vaters Meer“ habe er über tausend Seiten geschrieben und im vergangenen Jahr mit einer weißen Seite beginnend alles neu zusammengesetzt. Die Druckfassung zählt keine 400 Seiten mehr. In Wewelsfleth, dem legendär einsamen Ort nördlich von Hamburg, an dem Günter Grass dem Land Berlin ein Haus zur Förderung der jungen Autorenschaft hinterlassen hat, habe er während eines Stipendiums 200 Seiten gebraucht, um zum Schlaganfall des Vaters vorzudringen. Eine Szene, die im fertigen Buch wenige, beinahe fragmentarisch angelegte Seiten einnimmt.
Die Stimme des Ich-Erzählers Yunus steht in diesem Roman manchmal im Vordergrund, dann wieder tritt sie ganz in die Kinderperspektive und hinter andere Figuren zurück. Jahre nachdem sein Vater Zeki gestorben ist, versucht der Sohn zu verstehen, wer dieser Mann war, den er als Erwachsener nicht mehr kennenlernen konnte, und was mit der Familie passiert ist, „in dem Sommer, in dem mein Vater zwei Mal fiel“.
Er findet und erfindet: „Ich gehe aus von dem, was ich weiß, oder glaube zu wissen“, heißt es da. Wo er an die Grenzen dessen gerät, was er als kleiner Junge vom Leben der Eltern mitbekommen konnte, beginnt er – „Ich stelle mir vor“ – zu fabulieren. Er sucht Anhaltspunkte in den Geschichten der Großeltern, sagenumwobener Ahnen, Tanten und Onkel, die zum Teil in Deutschland leben, zum Teil in Mardin, der jahrtausendealten Stadt in Anatolien, wo Arabisch, Kurdisch, Türkisch und Aramäisch gesprochen wird und die Gotteshäuser vieler Religionen stehen.
Damit gehört „Vaters Meer“ auch in die wachsende Bibliothek der Bücher aus der zweiten oder dritten Einwanderergeneration, die in Hannover, Freising, Leipzig spielen, aber weit über das Land und den Kontinent hinausreichen: Wie Ronya Othmanns „Die Sommer“, Fatma Aydemirs „Dschinns“ oder Sasha Marianna Salzmanns „Im Menschen muss alles herrlich sein“ unter anderen. Eine kosmopolitische Literatur mit flirrender Sensibilität für die Ungewissheit des Lebens und deshalb die interessanteste der Gegenwart. Das Wort „postmigrantisch“ ist dafür erfunden worden: „Ich würde den Begriff auf mich nicht anwenden“, sagt Deniz Utlu. Die Sichtbarkeit, die ein Schlagwort bewirkt, hat einen Preis: Man wird darauf festgelegt und muss immer wieder dieselben Fragen beantworten.
Deniz Utlu redet lieber über Erzählebenen, darüber, wie Sprache und Wahrnehmung zusammengehen, und das, was er in einer Poetikvorlesung den „Prozeß der Veränderung ins Unbekannte“ genannt hat. Dem müsse man sich mit jedem Text neu ausliefern, das sei die Kunst. Fünfzehn Jahre lang hat ihn die Geschichte von „Vaters Meer“ beschäftigt. Wie sie ihn verändert, da ist er sich, kurz bevor der Roman erscheint, noch unsicher. Es sind Wochen besonderer Verletzbarkeit, in denen ein Buch fertig ist, aber noch nicht veröffentlicht, schon gedruckt, aber noch nicht in den Händen von Leserinnen und Lesern.
Aus dem Café tritt man in den gemütlichen Vormittagsbetrieb einer deutschen Einkaufsstraße. Ein Stück nach Norden auf der Lister Meile sagt Deniz Utlu: „Wo jetzt Rossmann ist, war mal Woolworth.“ Da habe er als Schüler gejobbt, und als er eines Tages krank wurde und sich beim Filialleiter abmelden wollte, ließ der ihn warten. Er sei nach einer Weile wütend gegangen und als er wieder zur Arbeit kam, zum Chef zitiert worden: „Ich weiß, was Sie da machen“, habe er dem gesagt, „ich habe ,Das Kapital‘ gelesen. Sie müssen uns ausbeuten, aber Sie verstehen auch, dass ich nicht einverstanden bin.“
In seinem Roman sieht man den Teenager Yunus an einem unaufgeräumten Schreibtisch sitzen, „mit dem dicken blauen Buch“, und Marx lesen, Wort für Wort. Wenn man so vorgeht, sagt er sich, „gibt es nichts, keinen einzigen Text, der jemals verfasst worden ist, den du nicht verstehen wirst“. Deniz Utlu biegt vor dem Hauptquartier der Firma Bahlsen ab, dann fängt der Stadtwald an, die Eilenriede, auf einmal Ruhe.
Wenn überhaupt, dann ist die unsachgemäße Frage nach den biografischen Anteilen der Erzählung vielleicht jetzt erlaubt: „Es ist ein Roman“, sagt er: „Ich habe allerdings an anderer Stelle schon darüber geschrieben, dass ich aus Hannover komme und mein Vater früh gestorben ist. Dass er das Locked-in-Syndrom hatte, würde ich nicht verschweigen. Ich gehe von meinen Erfahrungen aus, auch von meinen Erinnerungen. Gerade der Raum, der zwischen Erinnertem und Imaginiertem entsteht, fasziniert mich.“
Das zeigt er in „Vaters Meer“: wie aus Kindheitserlebnissen, Familienlegenden und verpassten Gesprächen eine eigene Geschichte entsteht. Wie der Alltag in Hannover durchzogen ist von Bildern aus Mardin. Das untere Ende der Eilenriede durchquert man in einem kleinen Bogen und läuft dann allmählich auf das Opernhaus zu, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und seit den Fünfzigerjahren in aller klassizistischer Gefälligkeit wieder steht. Deniz Utlu zitiert aus dem Kopf den Vater seines Romans: „in seinem Land zerstörten sie, was alt war, hier bauten sie es wieder auf: Zwei Wege, so zu tun, als wäre nichts geschehen.“ Die Krise des Erinnerns ist eben nicht nur eine familiäre.
Die Erzählung zieht in „Vaters Meer“ Kreise um die Lebensdaten der Eltern. Der Sohn füllt sie bei jeder Umdrehung mit Details, probiert Grade von Nähe und Distanz aus. „Bist du sicher, dass er so etwas zu dir gesagt hat?“, fragt die Mutter und zweifelt am Vaterbild ihres Sohnes: „Nein, sicher bin ich mir nicht. Die Bilder, die ich sehe, sind meine. Die Worte, die er sprach, kamen aus mir.“ Es ist ein Buch voller Trauer und Respekt für das, was man nicht wissen kann, aber versuchen muss zu lernen: als Kind über seine Eltern, als Erzähler über seine Figuren, als Gesellschaft über die Einzelnen, die in ihr leben.
Ein Kapitel daraus hat Deniz Utlu im Juni beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis vorgelesen. Es endet mit einem Streit zwischen Mutter und Sohn. Er kam als letzter der zwölf Autorinnen und Autoren an die Reihe, die dieses Jahr antraten. Seiner eigenen Mutter hatte er den Ausschnitt vorher vorgelesen und sie zum Lachen gebracht. Das Publikum in Klagenfurt wirkte bewegt. Aber die Kritiker-Jury schien innerlich schon eingepackt zu haben. Ohne sich sonderlich um den Text zu bemühen, ließ man Utlu durchfallen. Ein Schlag in der zerbrechlichen Verpuppungsphase vor dem Erscheinen eines Romans: „Ich wusste, es ist ein Wagnis“, sagt Deniz Utlu, „aber ich habe noch nie etwas nicht gemacht, weil die Gefahr bestand, verletzt zu werden.“
Die Verteidigung folgte auf dem Fuße: Ela Gezen und Maha El Hissy, Literaturwissenschaftlerinnen in Amherst und München, schrieben in der taz, die Klagenfurter Jury missachte die Verbindungen, die Utlu zur deutsch-türkischen Literaturgeschichte ziehe. Sie verwiesen auf den „turkish turn“, den die US-amerikanische Germanistik seit Jahrzehnten in der deutschsprachigen Literatur ausmacht, während man in Deutschland noch deutsche von türkischen oder migrantischen Geschichten trennt. Im einschlägigen Buch dazu benutzt die Germanistin Leslie A. Adelson ein deutliches Bild. Über Autoren, die von mehr als einer Herkunft erzählen, sage man, sie stünden „zwischen zwei Welten“. Das heiße doch, so Adelson: Man lasse die, die man noch im zweiten, dritten Glied für Migranten hält „unerbittlich auf einer Brücke stehen, die nirgendwohin führt“.
In Hannover löst Deniz Utlu jetzt Eintrittskarten fürs Sprengel-Museum, weil es da diese merkwürdig düstere Assemblage von Niki de Saint Phalle gibt. Und die Rekonstruktion des Merzbaus, den Kurt Schwitters in seiner Hannoveraner Wohnung errichtet hat: eine Räume überwuchernde Collage, die dazu bestimmt war, ewig zu wachsen und erstarrte, als Schwitters ins Exil musste. Hier könnte man über der Wiederkehr der Brückenmetapher in Deniz Utlus Roman meditieren. Sie wirkt Schwitters’ Geist näher als gegenwärtigen Literaturdebatten: „Stell dir eine Brücke vor, sie verbindet Dorf A mit Dorf B“, sagt der Vater Zeki zu einem Freund: „Jetzt stell dir vor, es kommt zu einem nicht verzeichneten Sog aus dem Weltall, der die Brücke in die Unendlichkeit zieht. Das ist immer noch eine Brücke, aber eine, die nichts mehr verbindet, sondern nur durch das All schwebt.“ Auch so ein unwahrscheinlicher Bau wie der von Schwitters. Der Freund versteht nicht ganz: „Zeki sagte nur, unter so einer Brücke bin ich eingeschlafen.“
Nach mehr als tausend
Seiten fängt er
auf einer weißen Seite
neu an
Durchgefallen:
ein Schlag in
dieser sensiblen
Phase
„Ich habe noch nie etwas nicht gemacht, weil die Gefahr bestand, verletzt zu werden“: Der Schriftsteller Deniz Utlu, 1983 in Hannover geboren.
Foto: Regina Schmeken
Deniz Utlu:
Vaters Meer. Roman.
Suhrkamp, Berlin 2023.
384 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»[Der] Roman Vaters Meer über einen Hannoveraner Teenager und den Verlust seines Vaters ist ein literarisches Meisterwerk. ... Deniz Utlu hat ein starkes und bleibendes Stück Prosa geschaffen.« Andreas Fanizadeh taz. die tageszeitung 20231017