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Im technokratischen Fortschrittsglauben, im Folklorismus und in der Ökologiebewegung werden politische Einstellungen zum Ausdruck gebracht, die wir weitgehend als antagonistisch wahrnehmen. Die Analyse eines nationalen Mythos "der Schweizer Kuh" zeigt indes, daß jene Tendenzen in einem unbewußten inneren Zusammenhang stehen. Entledigt eine aufs Funktionale reduzierte industrielle Landwirtschaft die Viehhaltung ihrer expressiv-ästhetischen Momente, läßt umgekehrt der folkloristische Diskurs die Kuh als Sinnbild nostalgisch verbrämter Natursehnsucht wiederauferstehen. Der ökologische Diskurs…mehr

Produktbeschreibung
Im technokratischen Fortschrittsglauben, im Folklorismus und in der Ökologiebewegung werden politische Einstellungen zum Ausdruck gebracht, die wir weitgehend als antagonistisch wahrnehmen. Die Analyse eines nationalen Mythos "der Schweizer Kuh" zeigt indes, daß jene Tendenzen in einem unbewußten inneren Zusammenhang stehen. Entledigt eine aufs Funktionale reduzierte industrielle Landwirtschaft die Viehhaltung ihrer expressiv-ästhetischen Momente, läßt umgekehrt der folkloristische Diskurs die Kuh als Sinnbild nostalgisch verbrämter Natursehnsucht wiederauferstehen. Der ökologische Diskurs versucht, gerade das kompensierende Verhältnis zwischen technokratischen Profitinteressen und schönem Folkloreschein aufzudecken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.1996

Kultur macht muh: Kathrin Oester hütet ein Nationalsymbol

Wer an die Schweiz denkt, denkt an Kühe: an gutgenährte und vor allem glückliche Kühe auf saftig grünen Wiesen, vor dem erhabenen Prospekt der Alpen. Dieses Bild einer vollkommenen Idylle nährt den Stolz der Schweizer auf ihr schönes und friedliches Land, doch ist es auch Quelle eines nationalen Unbehagens. Nur allzu leicht läßt die Verkörperung der Ruhe, der Harmonie und des Einklangs mit der Natur sich umdeuten zum Emblem der Rückständigkeit und Provinzialität. Wie Kathrin Oester in ihrer Studie über die Rhetorik heimatlicher Bilder zeigt, zeigt sich das Schwanken der Schweizer zwischen Stolz und Scham besonders klar an ihrem Umgang mit der Kuh in Wort und Bild.

Über die Kuh wird nicht nur in den Fachzeitschriften der Agrarwissenschaft debattiert, sie ist auch politischer Zankapfel auf Flugblättern und in der Tagespresse. In Cartoons wird sie mehr oder weniger liebevoll bespöttelt, auf Ansichtskarten wirbt sie für ihr Land und in der Reklame für Schokolade. Oester unterteilt die Rede über die Kuh in einen technokratischen, einen folkloristischen und einen ökologischen Diskurs. Als Objekt technokratischen Fortschrittsglaubens erscheint das Tier als optimierbares Produkt der Viehzucht, das immer bessere Milch und immer besseres Fleisch spenden soll, auch wenn dies zu Lasten der von den Züchtern und der Tourismusbranche geschätzten "ästhetischen" (das heißt der ausdrucksstarken) Qualitäten geht.

Der Aufruf zu moderner Ökonomie ist entlarvend; die Glocke, Zeichen traditioneller Viehhaltung in den Bergen, soll ersetzt werden durch ein Nylonband mit Zahlencode und Transponder, mit dessen Hilfe das Grasen über einen Computer überwacht werden kann. Die hier entfalteten Allmachtsphantasien stehen keineswegs allein im Dienst der perfekten Zucht und Haltung. Sie überdecken vielmehr das Minderwertigkeitsempfinden einer Agrarnation, die vorauseilend Landwirtschaft mit Provinzialismus identifiziert.

Im Gegensatz zur bedrohlich frisierten Hochleistungskuh entwirft der folkloristische Diskurs eine Kuh, die als Figur des Ursprünglichen und Natürlichen an eine genuin schweizerische Vergangenheit erinnern soll. Unterstützt durch Bilder von schäumender Milch im Holzbottich und Trachtenmädchen mit rosigen Wangen, kompensiert die Kuh nicht nur die tatsächliche Entwertung und gleichzeitige Technisierung der Landwirtschaft, sie wird zum sentimentalischen Symbol nationaler Identität schlechthin.

Die ökologische Rede über die Kuh wiederum nimmt für sich in Anspruch, die imaginäre Kuh, wie sie uns in den Ursprungssehnsüchten der Folkloristen entgegentritt, als solche entlarvt und ihre Kompensationsfunktion erkannt zu haben. Mit apokalyptischen Mahnungen werden technokratische Prinzipien abgewehrt, Fortschritt gilt als Angriff auf den als intakt und unversehrt phantasierten natürlichen "Körper", sei es den des Tieres, des Menschen oder, in metaphorischer Verdichtung, der Gesellschaft. Nach bewährtem Täter-Opfer-Schema werden technologische Praktiken mit genau dem Schmutz beworfen, der - unter anderen Vorzeichen - auch den eigenen Verfahren anhaftet.

Semiotik und Psychoanalyse erweisen sich (sieht man vom terminologischen Overkill ab) als tragfähige methodische Grundpfeiler der Studie, die die Autorin selbst der "symbolischen Anthropologie" zuordnet. Oester zeigt, daß sich im Text "Kuh" die unterschiedlichen Besetzungen des Wiederkäuers durchkreuzen. Die in politischen Grabenkämpfen als Kontrahenten inszenierten Kräfte, Naturzerstörung und Naturverherrlichung, entpuppen sich jedoch als Teil derselben "kulturellen Dynamik". Da wird Idylle im Zeichen der Kuh unheimlich. BEATE SÖNTGEN

Kathrin Oester: "Unheimliche Idylle". Zur Rhetorik heimatlicher Bilder. Böhlau Verlag, Köln 1996. 211 S., 21 s/w-Abb., br., 78,- DM.

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