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Peter Brückner, Antifaschist und nach Kriegsende Mitglied der KPD, wurde 1972 und 1977 wegen des Vorwurfs von Kontakten zur RAF sowie der Herausgabe des anonymen »Mescalero«-Textes »Buback. Ein Nachruf« von seinem Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Hannover suspendiert.Seine politisch-psychologischen Analysen sind ein Zeugnis für die Streitbarkeit der 68er. Diese Auswahl zeigt aber auch, dass Brückners Positionen durch ihre begriffliche und intellektuelle Schärfe noch heute große Schlagkraft besitzen und neuralgische Punkte auch demokratischer Gesellschaften treffen: Vorurteil, Mitläufertum, Zivilcourage, Gehorsam.…mehr

Produktbeschreibung
Peter Brückner, Antifaschist und nach Kriegsende Mitglied der KPD, wurde 1972 und 1977 wegen des Vorwurfs von Kontakten zur RAF sowie der Herausgabe des anonymen »Mescalero«-Textes »Buback. Ein Nachruf« von seinem Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Hannover suspendiert.Seine politisch-psychologischen Analysen sind ein Zeugnis für die Streitbarkeit der 68er. Diese Auswahl zeigt aber auch, dass Brückners Positionen durch ihre begriffliche und intellektuelle Schärfe noch heute große Schlagkraft besitzen und neuralgische Punkte auch demokratischer Gesellschaften treffen: Vorurteil, Mitläufertum, Zivilcourage, Gehorsam.
Autorenporträt
Peter Brückner wurde 1922 in Dresden geboren. Seit 1939 hatte er Kontakte zu Antifaschisten und Kommunisten, die er auch beibehielt, nachdem er 1941 nach Wien eingezogen worden war. Nach Kriegsende wurde er Mitglied der KPD, übersiedelte 1948 zunächst nach Westberlin, dann nach Münster, wo er sein Psychologiestudium mit der Promotion abschloss. Nach einiger Zeit im sozialpädagogischen Bereich wandte er sich der Sozialpsychologie zu, machte eine Ausbildung zum Psychoanalytiker und übernahm 1967 den Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Hannover. 1972 und 1977 wurde er von seinem Dienst suspendiert, zum einen wegen des Vorwurfs von Kontakten zur RAF, zum anderen wegen der Dokumentation und Herausgabe des indizierten Textes »Buback - ein Nachruf«, der anonym unter dem Namen »Mescalero« erschien. Kurz nach Aufhebung der disziplinarischen Maßnahmen starb Brückner 1982 in Nizza.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2018

GEGEN AUTORITÄTEN HILFT HÖLDERLIN
Peter Brückner ist als Staatsfeind in der Erinnerung geblieben. Seine Essays zeigen ihn aber als eher einfühlsamen Denker

Die Jugend, denkt man beim Lesen dieser Aufsätze, die Peter Brückner in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern geschrieben hat, die Jugend hat sich damals doch gewaltig überschätzt, als die Studenten, unversöhnlich und siegessicher, die Begriffe aus den Kontexten herausgruben wie die Steine aus dem Straßenpflaster, um sie als Waffen und Wurfgeschosse gegen das Establishment zu schleudern, gegen Professoren und Polizei, gegen die Repräsentanten des Staats und des Kapitalismus, von denen schon klar war, dass sie entmachtet werden mussten.

Peter Brückner war, als die Studenten revoltierten, schon in seinen frühen Vierzigern, habilitierter Psychologe, Sympathisant der Revolte, ohne dass er sich anbiedern wollte - und dass man heute so erstaunt ist, über den erwachsenen, unaufgeregten und grundsätzlich menschenfreundlichen Ton und Stil, in dem er damals seine Essays schrieb: Das liegt daran, dass, wer sich überhaupt an den Namen erinnert, ihn als Staatsfeind Nummer zwei oder drei, als unversöhnten Gegner deutscher Verhältnisse, ja womöglich als Sympathisanten des RAF-Terrors im Gedächtnis abgespeichert hat.

Richtig daran ist, dass Brückner, als Ulrike Meinhof einmal vor seiner Tür stand, sie weder weggeschickt noch an die Polizei ausgeliefert hat - zu einem Zeitpunkt allerdings, da sie schon gesucht wurde, das Morden aber noch nicht begonnen hatte. Richtig ist auch, dass Brückner später zu den Professoren gehörte, die den berüchtigten sogenannten Mescalero-Nachruf auf den von der RAF ermordeten Siegfried Buback wiederveröffentlichten - auch wenn sie sich von dessen Haltung distanzierten. Und Brückner verstand seinen Auftrag als Psychologe immer auch so, dass es auch darum ging, die Gewalt der RAF zu erklären - was oft als Verständnis, ja als Einverständnis gedeutet wurde.

Und so kommt es, dass man sich Brückner als einen Kämpfer vorstellt, als einen trotzigen, unbeugsamen Mann. Und das ist ein Bild, das nicht zu seiner Prosa passt, nicht zu seiner Methode und zu seinem Denken nur insofern, als er seine intellektuelle Integrität nicht nur gegen seine Feinde, sondern auch gegen seine Freunde und Parteigänger verteidigt.

Es fängt an mit einem Aufsatz zur Sozialpsychologie des Mitläufers, die fast schon provokant wirkt in ihrer Weigerung, über diesen Typus ein Urteil zu sprechen, in ihrer Verstehensbereitschaft und der Ideologiefreiheit, mit der Brückner zu erklären versucht, weshalb unter den Bedingungen der Diktatur es nicht etwa die Parteigänger der ersten Stunde, nicht die Überzeugungstäter sind, die sich bedingungslos unterwerfen; vielmehr, so führt Brückner aus, seien es jene, die eigentlich mit Politik und den Parteien nichts zu tun haben wollten, die dann aber, wenn es nur noch eine Partei gibt, die absolut herrscht, sich absolut unterordnen, zwischen sich und dem herrschenden Willen keinerlei Distanz mehr zulassen - ja, dass sie glauben, der Herrschaft etwas schuldig zu sein, schon um ihre lange Indifferenz wiedergutzumachen.

Es ist in diesem Essay weder von Klassen die Rede noch von vermeintlich objektiven Bedingungen; es lässt sich mit Brückners Modell nicht nur nationalsozialistische, sondern auch stalinistische Herrschaft erklären. Es geht weiter mit Essays über das Vorurteil, über die Kommunen-Bewegung und was daraus wurde - und wer andere linke Texte dieser Zeit vor Augen hat, der wundert sich, dass hier das Klappern der angeblich allseits brauchbaren Begriffe und Kategorien nicht zu hören ist; nirgends ist von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen die Rede, schon gar nicht von Basis und Überbau - Marx wird zitiert, Lenin auch, aber mit gleichem Wahrheitsanspruch auch eine Gedichtzeile von Friedrich Hölderlin.

Brückner war nicht nur Psychologe; er war Psychoanalytiker - was man in der Sekundärliteratur nachlesen kann; in den Texten finden sich kaum Hinweise: Vom Ich ist viel die Rede, vom Es und vom Über-Ich eher nicht. Und womöglich offenbart sich Brückners antiautoritärer Impuls genau darin: dass sich dieses Schreiben nicht auf wissenschaftliche Autoritäten beruft; ja dass es die Autorität der Wissenschaftlichkeit für sich gar nicht beanspruchen möchte.

Was aber, von heute aus betrachtet, diese Schriften liebenswert altmodisch erscheinen lässt. Es geht in diesem Denken vor allem ums Ich, um das Subjekt (das zur selben Zeit in Paris gerade entmachtet wird) - und während der SDS vom Klassenkampf spricht, sorgt sich Brückner darum, wie das Ich sich gegen die Zwänge einer Gruppe, jeder Gruppe behaupten kann. Es ist ein Denken, das außer dem eigenen Verstand und der eigenen Erfahrung wenig Handwerkszeug braucht; man kann Brückner gewissermaßen zusehen beim Nachdenken - und was dabei herauskommt, zeigt sich zum Beispiel sehr schön in dem Aufsatz über die Kommunen, wo der Autor zu zeigen versucht, dass einem Kind, welches gerade lernt, die Welt und deren Gegenstände zu erfassen, zu begreifen und zu benennen, die Kategorien "mein" und "dein" völlig unverständlich sein müssten.

Eine Anleitung zur Revolution ist das nicht. Aber ein Ansporn zum Selberdenken.

CLAUDIUS SEIDL.

Peter Brückner: "Ungehorsam als Tugend". Wagenbach, 130 Seiten, 10 Euro (erscheint in einer neuen Ausgabe am 9. März)

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