Ministerium schon mehrfach ein "tolles Institut".
Es muß an dieser Kongenialität von Politik und Satire liegen, daß in Österreich das Sprachdenken künstlerische wie philosophische Dignität erlangt hat: Aus dem mehr oder weniger gedankenlosen Mißbrauch der Sprache leitete Kraus den Ersten Weltkrieg her, Wittgenstein die Grundprobleme der Philosophie. Achleitner, der aus der experimentellen Wiener Gruppe kommt, fängt in seinen konstruktiven Sprachspielen Splitter jenes postmodernen Irrsinns ein, den wir für die Welt halten. Die Texte tauchen schwebend aus dem Nichts, ein Wort gibt das andere, und schon hat ein Wirtschaftsforscher, der das Wort "kuhhandel" erklären möchte, die Wirtschaftsforschung erklärt.
Ähnlich konzis verfährt der Text "gugelhupf, als whiskyflasche betrachtet". Napfkuchen (horribile dictu) und Glasbehältnis werden durch Designerjargon so austauschbar, daß die Sprachmaske geläufiger Kunstkritik ins Rutschen kommt. Das "daumendrehen" wird hingegen als komplexer Kunstprozeß liebevoll beschrieben, bildet es doch ein "probates mittel, jede sekunde zur ewigkeit zu machen". Wer hätte indes Mitleid mit dem "misanthropen", der die "menschheit aus trotteln und arschlöchern" bestehen läßt, von seinen beiden Kategorien aber selbst in die Enge getrieben wird? Wer kennt keinen "radikalpensionisten"? Wer wüßte einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem Teufel, Engel und "ein gewisser marx" mit Neoliberalismus wie Kapitalismuskritik an der Wirklichkeit des Marktes von "trier" scheitern? Eine Worttapete für Gerhard Rühm als spätes Stückchen "Konkrete Poesie" warnt indes vor oberflächlichem, das heißt inhaltsorientiertem Lesen.
Achleitners Kunst entspringt der Sprache. Die Wirklichkeit verfängt sich nur beiläufig in ihr. Der Text "würdenträger" spielt allein zwischen Worten, der Titel "und oder oder und" verweist auf einen Dialog der beiden deutschen Konjunktionen, und die "klassiker unter sich" verdichten die österreichische Literaturgeschichte zu sieben Zeilen. Kaum ein Text enttäuscht, und alles in allem liefert er nicht weniger als eine praktische Einführung in die österreichische Spielart reflexiver Sprachkritik. Nicht nur deutschen Hochschulpolitikern sei das Buch zur Vorbeugung ans Herz gelegt.
THOMAS POISS
Friedrich Achleitner: "und oder oder und". Paul Zsolnay Verlag, Wien 2006. 109 S., geb., 14,90 [Euro].
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