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'Nieder mit der Grübelei! Es lebe das Leben! Es lebe die Leere!' Mit diesem Motto gedenkt sich Matthieu Cazavel, Architekt und charmanter Lebemann, sein vom Hausarzt prognostiziertes letztes halbes Lebensjahr zu versüßen. Rastlos hastet Matthieu fortan durch die Stadt, abwechselnd von Selbstmitleid und Selbsterkenntnis geplagt. Vergeblich sucht der Bonvivant bei Sonia, Mathilde und Helene Trost, vergeblich betäubt er sich mit Nikotin. Schmerzlicherweise muß er erkennen, daß das Herz von Paris auch ohne ihn weiterschlägt.

Produktbeschreibung
'Nieder mit der Grübelei! Es lebe das Leben! Es lebe die Leere!' Mit diesem Motto gedenkt sich Matthieu Cazavel, Architekt und charmanter Lebemann, sein vom Hausarzt prognostiziertes letztes halbes Lebensjahr zu versüßen. Rastlos hastet Matthieu fortan durch die Stadt, abwechselnd von Selbstmitleid und Selbsterkenntnis geplagt. Vergeblich sucht der Bonvivant bei Sonia, Mathilde und Helene Trost, vergeblich betäubt er sich mit Nikotin. Schmerzlicherweise muß er erkennen, daß das Herz von Paris auch ohne ihn weiterschlägt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.1995

Wird schon werden
Françoise Sagan hat eine Romanidee bei Proust gefunden

"Ich muß Ihnen sagen", antwortete mir die Herzogin, "daß ich keinen übertriebenen Wert darauf lege, Swann zu begegnen. Denn nach dem, was ich soeben von Madame de Saint-Euverte gehört habe, scheint es, als habe er den Wunsch, daß ich vor seinem Tode die Bekanntschaft seiner Frau und seiner Tochter mache. Mein Gott, daß er krank ist, tut mir wirklich leid, aber zunächst einmal hoffe ich, es wird nicht gar so schlimm sein, und schließlich ist das doch kein Grund; dann würde ja alles gar zu einfach sein. Ein talentloser Schriftsteller brauchte nur zu sagen: ,Wählt mich in die Akademie, meine Frau liegt im Sterben, und ich möchte ihr diese letzte Freude bereiten.' Mein Kutscher könnte mir gegenüber auftrumpfen: ,Es geht meiner Tochter sehr schlecht; sorgen Sie dafür, daß sie eine Einladung zur Prinzessin von Parma bekommt.'" Marcel Proust erzählt diese Anekdote in "Sodom und Gomorrha". Vorher war Swann bei der Herzogin, der er, wie der Leser der "Recherche" weiß, nahezu sein ganzes Leben geweiht hat, um ihr mitzuteilen, daß er nicht mehr lange zu leben habe.

Proust widmet dem Todkranken mit den ausgehöhlten Wangen eine der schönsten Beschreibungen: "Vielleicht ließ in seinen letzten Tagen die Rasse den für sie charakteristischen Typ bei ihm rein körperlich in Erscheinung treten wie das Gefühl moralischer Solidarität mit den anderen Juden." Der Herzogin indes kommt er sehr ungelegen. Sie klopft ihm gleichsam auf die Schulter: "Wird schon werden, wird schon werden!" Françoise Sagan, von der man weiß, daß sie eine Verehrerin von Proust ist - hat sie doch sogar ihren Namen der "Recherche" entnommen -, kennt selbstverständlich die Stellen, in denen sich Proust mit dem Tod beschäftigt, und erzählt in ihrem neuen Roman "Und mitten ins Herz" exakt die oben zitierte Anekdote in einer modernen Variation nach.

Der Architekt und alternde Playboy Matthieu Cazavel erfährt am Morgen von seinem Hausarzt, daß er Lungenkrebs habe und höchstens noch ein halbes Jahr zu leben habe. Die Welt stürzt für ihn ein. Er trifft seinen guten Freund Gaubert. Der hat keine Zeit für ihn, er steckt zu sehr in seinen Geschäften, um sich um das tragische Geschick des Freundes kümmern zu können. Die von ihm ausgehaltene Freundin Sonia heuchelt zwar Trauer, aber er traut ihr nicht. Er nimmt an, daß sie in Wirklichkeit schon an seinen Nachfolger denke. "Und plötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen." Er bemitleidet sich selbst. "Mein armer Schatz", sagt er zu Sonia.

Er erzählt es jedem, dem er begegnet, nur noch ein halbes Jahr, obwohl er sich vorgenommen hatte zu schweigen. Eine frühere Freundin, die ihn einst verlassen hat, Mathilde, gibt ihm einen kleinen mütterlichen Trost. Aber Mathilde hält zu ihrem neuen Liebhaber. Die Herzogin von Guermantes hat es in ihrer rohen, wenngleich aristokratischen Art ausgesprochen: Sterbende können nicht erwarten, daß die Gesetze der Gesellschaft für sie außer Kraft gesetzt würden. Hélène, die derzeitige Ehefrau von Matthieu, die ihn bald verlassen will, erinnert ihn lediglich an eine Einladung zum Essen; mit seinen Problemen will er sie erst gar nicht belasten.

Die Roman-Idee der Sagan war glänzend. Die Ausführung ist es weniger. Mit allem, was sie sagt, bleibt sie an der Oberfläche. Zwar liest man das Buch interessiert, streckenweise ist es sogar amüsant, aber es bleibt auf dem Niveau des sogenannten Frauen- oder Ärzteromans: eine Seifenoper in Buchform. So kann es den Leser auch kaum noch erschrecken, daß auf der vorletzten Seite das Telefon klingelt: Der Arzt hat sich vertan und bittet um Entschuldigung. Kein Karzinom, kein halbes Jahr. Nicht einmal diesen billigen Scherz kann die Sagan uns ersparen. Hätte Proust das Buch gelesen, hätte er Monsieur de Charlus zugeflüstert: "Hoffentlich merkt keiner, daß die Idee von mir stammt." HANS SCHERER

Françoise Sagan: "Und mitten ins Herz". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Kirsten Ruhland-Stephan. Ullstein Verlag, Berlin 1995. 188 S., geb., 34,- DM.

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