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Wie kam die Vervielfältigungsmaschine, die wir 'Leben' nennen, in Gang und wohin führt ihr Weg? Dawkins beschreibt die Evolution als einen Fluß der Gene, in dem sich die verschiedenen Gene treffen, miteinander verbinden (oder konkurrieren) und immer wieder trennen. Die Körper der Lebewesen bilden praktisch bloß die Grfäße, in die sich dieser Fluß - vorübergehend - ergießt. Der 'Urfluß' der genetischen Information hat sich in dreißig Millionen Arme geteilt: Das ist die Anzahl der heutzutage bekannten Arten. Wie alle anderen Lebewesen ist der Mensch also lediglich Träger von Informationen, die…mehr

Produktbeschreibung
Wie kam die Vervielfältigungsmaschine, die wir 'Leben' nennen, in Gang und wohin führt ihr Weg? Dawkins beschreibt die Evolution als einen Fluß der Gene, in dem sich die verschiedenen Gene treffen, miteinander verbinden (oder konkurrieren) und immer wieder trennen. Die Körper der Lebewesen bilden praktisch bloß die Grfäße, in die sich dieser Fluß - vorübergehend - ergießt. Der 'Urfluß' der genetischen Information hat sich in dreißig Millionen Arme geteilt: Das ist die Anzahl der heutzutage bekannten Arten. Wie alle anderen Lebewesen ist der Mensch also lediglich Träger von Informationen, die in seinen Genen gespeichert sind. Der Zweck des Lebens besteht in der Verbreitung der Gene. Der Schluß aus dieser Erkenntnis ist eindeutig: Du bist nichts, deine Gene sind alles!
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.1996

Wem nützt ein halbes Auge?
Für Richard Dawkins sind Lebewesen Überlebensmaschinen / Von Josef H. Reichholf

Die Welt hat sich mit Lebewesen gefüllt, die das Zeug zu Vorfahren haben." Mit Hilfe "guter Gene" erzeugen sie Nachkommen, die selbst wieder Vorfahren für weitere Nachkommen werden. Das ist der Gang des Lebens. Es muß sich fortpflanzen, sonst erlischt es. Diese Erkenntnis ist alles andere als neu. Originell ist nur die Art der Formulierung, die Richard Dawkins gewählt hat. Sie hat gute Gründe. Denn anders als in der Biologie üblich sieht er in der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen nicht primär die ununterbrochene Abfolge von Organismen, die sich fortpflanzen, sondern einen "Fluß von abstrakten Anweisungen", einen Strom von Informationen. Sie stecken im Erbgut, der Körper der Lebewesen bedienen sie sich nur als Vehikel auf ihrem Weg in die Zukunft.

"Leben", so Dawkins, "besteht schlicht aus Bytes und Bytes und Bytes digitaler Information." Dieses Leben ist "durch und durch digital"; es hat uns, auch uns Menschen, zu "Überlebensmaschinen" gemacht. Wer diesem Gesetz der digitalen Information nicht gehorcht, stirbt aus. Sein Ast im Strom der Evolution bricht ab wie der Seitenarm eines Flusses, der austrocknet. Das digitale genetische System, das im Leben steckt, kann nicht anders. Nach Dawkins ist das Jahr 1953 der Endpunkt der "mystischen, vernebelten Sicht des Lebens" geworden. Damals haben Francis Crick und James Watson die Struktur des Erbgutes entdeckt und erkannt, daß alle Anweisungen für die Lebensprozesse in einer Art chemischer Schrift darin gespeichert sind. Seit dieser Zeit ist die Biologie, wie Dawkins meint, "endgültig digitalisiert" worden.

Doch der "Fluß in Eden" ist kein Buch für Computerfreaks. Francis Crick, der von Dawkins so verehrte Nobelpreisträger, wirbt dafür mit dem erstaunlichen Satz: "Ich beschwöre Sie, um Ihrer Seele willen, lesen Sie Dawkins' Buch!" Von der Seele handelt es allerdings nicht, und Seelisches wird sich darin auch schwerlich finden lassen; zumindest nicht in der herkömmlichen Vorstellung davon, was Seele ist oder sein könnte. Dawkins' Begriff vom Leben kommt ganz ohne Seele aus. Im endlosen Fluß von Informationen finde sie weder ihren Platz, noch hätte sie eine Berechtigung. Dawkins bringt das Geistige, an dessen Existenz auch er nicht zweifelt, auf dieselbe Bahn wie den genetischen Informationsfluß: "Meme" breiten sich, als Einheiten der Gedanken, wie die Gene im Erbgut aus. Sie konkurrieren miteinander, pflanzen sich fort und fließen als Strom geistiger Informationen in die Zukunft. Gute Gedanken sind also ähnlich befähigt wie gute Gene, Vorfahren zu werden. Werden sie nicht weitergedacht, verändert und verbessert, verschwinden sie wieder. Die Gedanken sind genau wie Dawkins' "egoistische Gene" eifersüchtig und eigennützig darauf bedacht, weiterzuexistieren.

Wie es dazu kommen konnte, daß dieser Informationsfluß in Genen und Memen entstand und weiterströmt, das ist die eigentliche Frage des Buches. Mit seinem "digitalen Denken" versucht Dawkins, Grundfragen und Kernprobleme der Evolution verständlich zu machen; vor allem auch solche, die uns Menschen unmittelbar betreffen.

So zeigt er im Kapitel "Mutter Afrika und ihre Kinder" anhand des Ursprungs unserer Gattung, wie Evolution abläuft. Bisher waren wir auf Vermutungen und durch Fossilienfunde einigermaßen überzeugend begründete Annahmen angewiesen. Nun aber hält die moderne Genetik Möglichkeiten bereit, Genaueres über unsere Herkunft zu erfahren. Diese Vergangenheit steckt in den Genen. Sie verraten uns, wo wir entstanden sind und wann wir unsere Urheimat Afrika verlassen haben. Dawkins gibt aber auch zu, daß das Erbgut einen hochentwickelten Apparat zur Fehlerkorrektur hervorgebracht hat, der die kleinen Abweichungen, die Mutationen, immer wieder berichtigt, an denen wir unsere Vergangenheit ablesen könnten. So bleibt am Ende doch nahezu die gleiche Unsicherheit wie bei den herkömmlich mit Fossilien arbeitenden Forschern.

Spannender sind die nächsten beiden Kapitel. In "Heimlicher Nutzen" versucht Dawkins nachdrücklich, die häufig vorgebrachten Einwände gegen die Evolution zu entkräften; Einwände der Art, daß Zwischenstadien nicht die Vorteile des Endprodukts hätten bringen können - warum aber sind sie dann, obwohl zwecklos, zustande gekommen? Ein "halbes Auge" könne doch nicht funktionieren. Doch der Erfolg läßt sich nicht allein am Endergebnis messen. Die Entwicklungsschritte müssen sich jeweils im Verhältnis zum vorherigen Zustand bewähren. Und da gibt es jede Menge kleiner Verbesserungen, die für den Fortschritt ausreichen und die Entwicklung in Gang halten. Lichtempfindliche Organe, aus denen Augen werden können, sind auch für sich genommen so vorteilhaft, daß es weit geringerer Zeitspannen bedarf, sie hervorzubringen, als die Evolution zur Verfügung hatte. Augen sind denn auch mehrfach ganz unabhängig voneinander entwickelt worden. Entscheidend ist stets der unmittelbare Nutzen.

Daß sich nicht aus dem Endergebnis ableiten läßt, was im Strom der digitalen Information das Zeug zu Vorfahren hat, führt Dawkins für den Kampf der Geschlechter am Beispiel der Balz der Vogelmännchen aus, bei der es "fast so aussieht, als wäre Gottes Nutzenfunktion manchmal an den Maßstäben der Miss-World-Wettbewerbe ausgerichtet, nur, daß hier Männer über den Laufsteg schreiten". Nur selten ergibt sich der größtmögliche Nutzen für die größtmögliche Zahl von Nutzern, denn alles geht aus einem unkoordinierten Durcheinander hervor, in dem es nur um egoistische Gewinne geht. Wirtschaftstheoretiker werden Dawkins vielleicht folgen können.

Der digitale Fluß, der die Organismen nur als Vehikel für seine Zwecke benutzt, zwingt sie dazu, zu altern und zu sterben. Sie müssen nur rechtzeitig vorher Nachkommen erzeugt haben. Diese Notwendigkeit zündet zwangsläufig die "Replikationsbombe". In allen Lebewesen steckt ausnahmslos das zentrale Programm der Vermehrung um jeden Preis; auch um den des Todes. Ähnlich wie eine explodierende Sonne, so Dawkins, breitet sich das Leben deshalb explosionsartig aus und wird vielleicht von der Erde ins All hinausgreifen. Ein Fünkchen Geist fliegt bereits voraus; eingeschlossen in eine Rakete und verschlüsselt in eine intelligente Botschaft. Meme haben die irdischen Gene hinter sich gelassen.

Leben ist, so betrachtet, etwas Zwangsläufiges. Es wird ferngesteuert vom Egoismus der Gene. Die Lebewesen selbst bleiben ohne Belang, sofern sie sich nur als gute Vorfahren erweisen. Dawkins' Theorie läßt sich nicht leicht angreifen. Sie ist brillant konzipiert, sehr gut formuliert und scheint eine erdrückende Fülle von Befunden aus der Biologie auf ihrer Seite zu haben. Schwachpunkte verbirgt Dawkins geschickt im Detail; etwa wenn er auf den "DNA-Schrott" hinweist, der im Erbgut zwar (in großem Umfang) vorhanden ist, von den Organismen aber nicht genutzt wird. Sind die darin enthaltenen Informationen nur faule Mitreisende, die andere im digitalen Fluß für sich tätig werden lassen? Den Sprung von der Erbinformation zu den freien, von Gehirnen produzierten Gedanken verdeckt Dawkins mit der Bezeichnung "Meme" mehr, als daß er sie erklärt. Diese seine Erfindung haben weder er noch andere bislang konkretisiert. Und so wird sich Dawkins' Darwinismus weiterhin im Überlebenskampf der Theorien herumschlagen und bewähren müssen.

Richard Dawkins: "Und es entsprang ein Fluß in Eden". Das Uhrwerk der Evolution. Aus dem Englischen von Sebastian Vogel. Bertelsmann Verlag, München 1996. 189 S., Abb., geb., 36,80 DM.

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