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"Ich gewöhne mich bis zur Abhängigkeit sogar ans Glücklichsein. Selbst an die Schwermut und an das Scheitern und an meine täglichen Peinlichkeiten habe ich mich gewöhnt. Bloß an die Langeweile und daran, dass auf nichts Verlass ist, kann ich mich trotz aller Anstrengung nicht gewöhnen." Melancholisch und zerrissen, aber auch selbstironisch und lebensfähig - der widersprüchliche Protagonist dieses Romans ist der typische Anti-Held der Neunziger.

Produktbeschreibung
"Ich gewöhne mich bis zur Abhängigkeit sogar ans Glücklichsein. Selbst an die Schwermut und an das Scheitern und an meine täglichen Peinlichkeiten habe ich mich gewöhnt. Bloß an die Langeweile und daran, dass auf nichts Verlass ist, kann ich mich trotz aller Anstrengung nicht gewöhnen." Melancholisch und zerrissen, aber auch selbstironisch und lebensfähig - der widersprüchliche Protagonist dieses Romans ist der typische Anti-Held der Neunziger.
Autorenporträt
Markus Seidel, geboren 1969 in Wilhelmshafen, studierte Germanistik und Philosophie in Hannover, Wien und Berlin. Sein erster Roman Umwege erhöhen die Ortskenntnis (erschienen 1998) wurde von der Kritik begeistert aufgenommen. Mit Freischwimmer festigte er seinen Ruf als einer der interessantesten jungen deutschen Autoren und für seinen Roman Vom Stand der Dinge wurde er mit dem von Günter Grass ins Leben gerufenen Alfred-Döblin-Stipendium ausgezeichnet. Markus Seidel lebt heute in Hamburg und arbeitet als Autor und Journalist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.1999

Gefühl, wo bist du?
Wien, Prag, Berlin: Markus Seidel schätzt die Umwege

Einem jungen Mann ist hinterrücks der Lebenssinn verlorengegangen. Er stöpselt das Telefon aus, geht nicht mehr zur Tür, wenn es klingelt, und verbringt viele Tage mit Lesen und Briefeschreiben. Als er auch davon genug hat, stöpselt er das Telefon wieder ein. Den Freund, der als erstes anruft, hätte er beinahe gefragt, ob jener noch immer dieselbe Adresse hat. Planlos geht er dann in Berlin spazieren.

Mit selbstironischer Genauigkeit sammelt er seine alltäglichen Erlebnisse und seine Gedanken, denen zu mehr als zur reinen Zustandsbeschreibung die Kraft fehlt: "Jetzt fällt mir der Kafka ein, der sich angeblich oft ganz verzweifelt nach einem tiefen, echten Gefühl sehnte, und ich kann ihn wirklich nur zu gut verstehen, mir geht's nämlich leider ganz ähnlich; ich gewöhne mich an alles, weniges nur begeistert mich durch seine Einzigartigkeit oder Besonderheit; bloß an die Langeweile und darauf, daß auf nichts Verlaß ist, kann ich mich trotz aller Anstrengungen nicht gewöhnen."

Er steht auf einer Brücke und denkt an seinen älteren Bruder Max. Als Kind, das noch nicht schwimmen konnte, war Max einmal ohne Vorwarnung von einer Brücke gesprungen. Vor einem Jahr hat Max sich das Leben genommen, er hat sich an einer Brücke erhängt. Der Erzähler steht also auf einer Brücke, und alles scheint auf einen schwarzen Fluchtpunkt zuzulaufen, als eine Frau vorbeigeht. Ihr Parfüm erinnert den jungen Mann an Wien und an glücklichere Zeiten, und er beschließt zu verreisen. Das ist der Beginn dieses Buches, das handelt vom langsamen Zurückfinden aus einem depressiven Zustand in die große Banalität namens Leben.

"Umwege erhöhen die Ortskenntnis" ist ein kluger Satz und dabei so schlank, wie ein guter Aphorismus sein muß; das Buch, das sich hinter diesem Titel verbirgt, ist manches, jedoch kaum ein Roman. Es ist am ehesten eine leichte, locker geschriebene Erzählung, voll mit hübschen Beobachtungen und darangeknüpften klugen Gedanken, zuerst atmosphärisch bedrückend, später, auch dank der Wienerinnen und ihres Akzents, den der junge Mann "übrigens irrsinnig sexy" findet, geradezu happy-endend. Das Buch hat ein einziges Zentrum, den Ich-Erzähler, und keine andere Struktur als dessen Reise, die ihn von Berlin über Prag nach Wien, aus der Depression über einen rätselhaften Flirt in ein kleines, neue Glück führt.

Markus Seidel, der noch nicht dreißigjährige Autor, hat sich mit seinem ersten Roman als eine weitere Stimme im gedämpften Chor der jüngsten deutschen Schriftstellergeneration vorgestellt, einer Generation, die die kleine Form bevorzugt und den leichten, unangestrengten, vermeintlich kunstlosen Ton.

Ein boshafter Mensch könnte nun bemerken, daß es nicht allzu schwierig sei, eine solche Schreibhaltung zu kultivieren - die ist wie eine wegwerfende Handbewegung oder ein nachlässiges Abschiedswinken -, wenn man auf nichts anderes als die Beschreibung des eigenen Umkreises von zirka hundert Metern zielt. Gut, würde der boshafte Mensch immerhin einräumen, auch dazu gehört, daß man gut beobachtet und präzise beschreibt, aber hat Literatur nicht schon mal mehr geleistet als das planquadratische Vermessen der eigenen Befindlichkeit?

Doch lassen wir das. Schicken wir den boshaften Menschen hinaus in die stürmische Weltliteratur voller Pathos, Phantasie und Leidenschaften, und werden wir Markus Seidel innerhalb seines eigenen stillen Kosmos gerecht. Das tut beiden besser. EVA MENASSE

Markus Seidel: "Umwege erhöhen die Ortskenntnis". Roman. Verlag Rütten & Loening, Berlin 1998. 142 S., geb., 27,- DM.

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