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Die Leiden des Romanciers Fontane aus der Sicht der heutigen Medizin "Ich bin von dem allem so sehr durchdrungen, daß ich darüber, am liebsten in einer Medizinischen Zeitschrift, mich auslassen möchte, um vor groben Fehlern zu warnen; ich habe aber nicht mehr die Kraft dazu und muß hoffen, daß sich über kurz oder lang statt meiner ein Andrer findet." So beklagt sich Fontane darüber, daß die von ihm selbst so tief empfundene seelische Erkrankung im Jahr 1892 weder von seinen Ärzten noch von seiner Umgebung erkannt wurde. Gravenkamp holt dieses Versäumnis nun nach. Anhand der Quellen, auch…mehr

Produktbeschreibung
Die Leiden des Romanciers Fontane aus der Sicht der heutigen Medizin "Ich bin von dem allem so sehr durchdrungen, daß ich darüber, am liebsten in einer Medizinischen Zeitschrift, mich auslassen möchte, um vor groben Fehlern zu warnen; ich habe aber nicht mehr die Kraft dazu und muß hoffen, daß sich über kurz oder lang statt meiner ein Andrer findet." So beklagt sich Fontane darüber, daß die von ihm selbst so tief empfundene seelische Erkrankung im Jahr 1892 weder von seinen Ärzten noch von seiner Umgebung erkannt wurde. Gravenkamp holt dieses Versäumnis nun nach. Anhand der Quellen, auch bisher ungedruckter, und unter Berücksichtigung der Schriften des Professors Ludwig Hirt, der Fontane 1892 untersucht hat, kommt Gravenkamp zu dem Schluß, daß der Schriftsteller unter einer endogenen Depression litt. Diese seelische Störung aus körperlicher Ursache war für Fontanes Ärzte noch nicht erkennbar. Gravenkamps Diagnose stützt sich auf frühere gleichartige Störungen, für die sich Hinweise in Werken und Briefen finden, und auf die Familienanamnese.
Autorenporträt
Dr. med. Horst Gravenkamp, Internist, Leitender Landesmedizinaldirektor a. D., war nach pathologisch-anatomischer und langjähriger klinischer Tätigkeit Gutachter in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung. Veröffentlichungen zur Silikose und über die Anamnese (Krankenbefragung) als wichtigstes medizinisches Diagnostikum.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2004

Zug ist Horror
Kein Ventilationsenthusiast: Theodor Fontane litt an Depressionen

Haltung war für den Preußen Fontane alles. Kerzengerade ging er durchs Leben. Noch am letzten Tag stieg der achtundsiebzigjährige mühelos die drei Treppen zu seiner Wohnung empor. Nach dem Essen räsonierte er gerade über Spinoza und Kant, ging zum Digestif ins Nebenzimmer, drei lautlose Minuten später fand man ihn tot über sein Bett gebeugt. Ein schönes Ende, das auch die meisten seiner Figuren finden. Sie sterben jedenfalls ohne langes Leid und viel Aufhebens durch Mord oder Totschlag, Duell oder Suizid, manchmal auch bloße Erkältung. Für detaillierte und damit häßliche Krankengeschichten ist in Fontanes idealer Wirklichkeitspoetik kein Platz.

"Krankengeschichten sind langweilig", erklärt er ausgerechnet im Jahre 1892, in dem es ihm ganz und gar nicht gutgeht. Aus zahlreichen Briefstellen und Dokumenten rekonstruiert jetzt der Mediziner Horst Gravenkamp, daß Fontane ein paarmal im Leben, besonders schwer aber im Jahre 1892, an einer endogenen, also körperlich verursachten Depression litt. Neurasthenie nannte man damals diese Modekrankheit, die auf die Melancholie und Hypochondrie, das Werther-Leiden des achtzehnten Jahrhunderts, folgte. Bei Fontane probiert man allerlei gegen diese "starke Nervenpleite": Brom und Opiate - der letzte Schrei -, galvanische Kur, auch Tierhodenextrakt wird erwogen, ist ihm dann aber doch "etwas unheimlich". Unheilvoller wirkt der Ortswechsel von der Großstadt Berlin ins Riesengebirge. Gerade die vermeintliche Erholung durch Entzug der täglichen Pflichten und Forderungen verschlimmern, wie man heute weiß, Symptome wie Freudlosigkeit und Antriebsschwäche. Die Diagnose eines Arztes der Zeit, die Gravenkamps hübscher Studie den Titel gibt, besagt indes, daß Fontane wohl doch nicht in Gefahr stand, in einem Suizid völlig die Haltung zu verlieren.

Natürlich geht es in dem Büchlein auch um andere Krankheiten Fontanes. Am schönsten ist die bis zum Spleen gesteigerte Angst, sich zu erkälten. Ständig schimpft er, selbst in literarischen Rollen, auf "Ventilationsenthusiasten" und Freunde mit übertriebenem "Luftbedürfnis - ein euphemistischer Ausdruck"! -, bei denen "alle Fenster aufgerissen" werden. "Zug" gilt ihm als Horror. Nie, auch nicht im Sommer, zeigt er sich ohne Halstuch - "und binde es um so wie ich ein Lüftchen spüre". In der Londoner Zeit beeindruckt er als "foreigner with the fur" sogar die um keine Exzentrizität verlegenen Engländer. Er sorgt für mehr Aufsehen, als wenn er "die erste Zeitung der Welt redigieren würde": Völlig unbeachtet "könnte ich mir brennende Räucherkerzchen in die Nase stecken bis ich todt wäre, aber diesem Pelz kann London auf Dauer nicht widerstehen".

ALEXANDER KOSENINA

Horst Gravenkamp: "Um zu sterben muß sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen". Theodor Fontane als Patient. Wallstein Verlag, Göttingen 2004. 144 S., br., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alexander Kosenina zeigt sich in seiner kurzen Kritik von diesem Buch über die Krankheiten Theodor Fontanes von Horst Gravenkamp sehr angetan. In dieser "hübschen Studie" wird nicht nur die endogene Depression, unter der Fontane zeitweise litt, aus zahlreichen Briefen und Dokumenten nachgewiesen, sondern auch auf allerlei andere Gebrechen des Schriftstellers hingewiesen, berichtet der Rezensent. Am "schönsten" fand der ungerührte Kosenina die Berichte über die übertriebene Angst Fontanes vor Zugluft.

© Perlentaucher Medien GmbH