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Fabio Bosch, zwanzig Jahre alt, träumt von einem abenteuerlichen Leben. Er bricht das Studium ab, ebenso den Militärdienst. Für letzteres erhält er eine zehnmonatige Gefängnisstrafe; statt diese abzusitzen, geht er in seiner Heimatstadt, dem schweizerischen Chur, auf Tauchstation, ein aberwitziges Unternehmen, das nur gelingen kann, weil er eine Reihe Helfer weiblichen Geschlechts findet. Der gebürtige Schweizer Silvio Huonder legt einen übermütigen, witzigen und zugleich melancholischen Roman über die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens vor.

Produktbeschreibung
Fabio Bosch, zwanzig Jahre alt, träumt von einem abenteuerlichen Leben. Er bricht das Studium ab, ebenso den Militärdienst. Für letzteres erhält er eine zehnmonatige Gefängnisstrafe; statt diese abzusitzen, geht er in seiner Heimatstadt, dem schweizerischen Chur, auf Tauchstation, ein aberwitziges Unternehmen, das nur gelingen kann, weil er eine Reihe Helfer weiblichen Geschlechts findet. Der gebürtige Schweizer Silvio Huonder legt einen übermütigen, witzigen und zugleich melancholischen Roman über die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens vor.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.1999

Tapfer wie ein Hausbursche
Silvio Huonder übt sich in der Liebe

Ein begabter junger Mann von zwanzig Jahren, in einer netten Schweizer Kleinstadt, mit einer hübschen Freundin und besten Berufsaussichten probt den Aufstand. Es ist nicht gerade ein Amoklauf, sondern eher so etwas wie eine Waldwanderung, wenn auch eine rebellische. Das ist ein schöner, nicht eben neuer, aber durchaus tragfähiger Romanstoff. Nicht jeder Schweizer, der durch den Wald geht und sich dabei seine Gedanken macht, muß ja gleich ein Robert Walser sein; und Fabio Bosch, der Held in Silvio Huonders zweitem Roman, hat in seinem reinen und naiven Individualismus allenfalls eine schwache und entfernte Ähnlichkeit mit Bruder Tanner. Fabios literarische Verwandte sind die vielen jungen Männer, die in Romanen ausziehen, um berühmte Schriftsteller, erfahrene Liebhaber, große Abenteurer, aber zunächst einmal: erwachsen zu werden.

Was Fabio Bosch allerdings nicht hat, und das macht ihn auf eine unspektakuläre Weise sehr zeitgenössisch, ist das Gefühl der künstlerischen Auserwähltheit. Mit unverwüstlichem seelischen Gleichgewicht und heiterem Pragmatismus geht er seines Wegs. Von den Altersgenossen, mit denen er sich in Disco und Kneipe trifft, unterscheidet er sich nur sehr wenig. Und mit jenen empfindsamen und einsamen Buben, die sehnsüchtig auf das lebhafte Treiben der "Blonden und Blauäugigen" schielen, hat er schon gar nichts gemein. Er hört gerne Eric Clapton. Er raucht unendlich viele Zigaretten, trägt eine zerbeulte Kordjacke und dazu ("Jeder muß seinen Stil finden") ungebügelte weiße Hemden vom Flohmarkt. Das Haar hat er sich gerade erst abschneiden lassen, denn im Kino läuft seit kurzem "Saturday Night Fever".

Dies ist jetzt fast zwanzig Jahre her. Den Soundtrack zu diesem Roman nach autobiographischen Motiven eines über vierzigjährigen Autors könnte auch Eric Burdon liefern: When I Was Young. Da hatte der strebsame Junge plötzlich keine Lust mehr auf Armee und Veterinärmedizin. Er will endlich richtig leben, und das heißt: Sex mit tollen Frauen haben, und Bestseller darüber schreiben - am besten gleichzeitig. Aber für diese authentische Literatur, die ihm da vorschwebt, fehlt es in seinem Leben noch an Stoff.

Und ohne daß ihm selbst diese Logik ganz klar zu sein scheint, tut der Soldat Bosch beim nächtlichen Marschieren seinen entscheidenden Schritt - mehr ein Stolpern ist es als ein Schritt - vom Wege. Die Kolonne zieht ohne ihn weiter und er, allein im Wald und überwältigt von der Erkenntnis "So ist das nichts, das Leben", geht desertieren. Zuvor allerdings bringt er in aller Ruhe sein Armeepferd in die Kaserne zurück. Auf so gemächliche und fürsorgliche Art und Weise kann man sich dem Leben auch in die Arme werfen.

Das Leben. Es beginnt - wie auch das Buch - in einem Zugabteil: mit einer Flasche Schampus, einer schönen Unbekannten und Liebe auf dem Klo im dahinrasenden Zug. Wie in einem französischen Film. Fabio feiert seine Flucht. Die Gefängnisstrafe wegen Dienstverweigerung will er nicht absitzen, denn zum politischen Märtyrer taugt er ebensowenig wie zum schmerzensreichen Dichter.

Taugt er aber überhaupt zum Dichter? "Ich schreibe, aber ich will nichts erfinden. Was wirklich geschieht, ist interessant genug. Ich will die Wahrheit. Ungeschminkt, roh, unmittelbar." Der Auftakt im Zug war ja diesbezüglich schon recht vielversprechend, und wäre es in dieser Art weitergegangen, hätte sogar ein ganz anderes Buch daraus werden können. Aber leider scheint das schöne Graubünden mit seinem gesunden Klima und den netten Einwohnern kaum geeignet für Ausbrüche wilder Lebenslust. Und selbst in Zürich erweist sich Fabios verruchte Reisebekanntschaft als verklemmte Schauspielerin, die sich nur für die Rolle der Marion in "Dantons Tod" in Stimmungen bringen wollte. Von wegen roh und ungeschminkt!

Nicht einmal die Polizei schenkt dem Justizflüchtling Aufmerksamkeit. Und bald weiß die halbe Stadt Chur, daß sich der Fabio illegalerweise herumtreibt; trotzdem sind alle weiterhin nett zu ihm, mit Ausnahme vielleicht seiner sportlichen und ewig frisch gewaschenen Freundin. Aber der junge Schriftsteller in spe lernt die Wirkung des Nimbus eines Gesetzlosen auf nette Frauen schnell zu nutzen. So füllt sich sein Schreibheft nach und nach mit Authentizitäten hauptsächlich sexueller Art. Zwischendurch wird auch protokolliert, wie es sich am Waldrand sitzt und im Heu schläft, was es so zu essen gibt, was die Freunde sagen und wieviel Geld für Gelegenheitsarbeiten abfällt. Hin und wieder ist die Rede von kleineren Komplikationen - etwa in der Frauenwohngemeinschaft, wo Fabio als eine Art Hausbursche dient.

So sammelt sich eine Niederschrift an vom normalen Leben unter den Bedingungen einer Schweizer Kleinstadt im Jahr 1979. Zwar hätte man selbst da den einen oder anderen finsteren Abgrund vermuten können, eine Perversion vielleicht oder Verrat, wenigstens mal ein bißchen Verzweiflung: Aber nein. Allen geht es gut. Nicht einmal Fabio muß ins Gefängnis; statt dessen reist er am Schluß nach Amsterdam, eskortiert von seiner netten Familie, um dort, versehen mit den besten Empfehlungen, ein Leben der Kunst und der Kultur zu führen. An einer derart erfolgreichen kleinen Rebellion, ganz ohne Politik und Gewalt, dafür individuell und konsequent und noch dazu kreativ, kann keiner etwas auszusetzen haben.

Silvio Huonder erzählt diese blasse und nette Geschichte so präzis und glasklar, daß sie wirkt wie eine Dokumentation. Oder wie die digitalisierte Neuaufnahme einer alten Platte. Es ist das Buch von einem, der auszog, das Leben zu beschreiben, und es tatsächlich beschrieb. Und siehe da, es war genauso mittelmäßig, wie man immer befürchtet hatte. Tapfer, wer sich traut, dies zum Thema zu machen. KATHARINA DÖBLER

Silvio Huonder: "Übungsheft der Liebe". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 208 S., geb., 34,- DM.

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