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Dieses Buch setzt den Voltaire-Dialog fort, den Lessing, Moses Mendelssohn und Goethe begonnen haben, der dann über David Friedrich Strauß und Nietzsche weitergeführt worden ist bis zu dem großen deutschen Romanisten Victor Klemperer.

Produktbeschreibung
Dieses Buch setzt den Voltaire-Dialog fort, den Lessing, Moses Mendelssohn und Goethe begonnen haben, der dann über David Friedrich Strauß und Nietzsche weitergeführt worden ist bis zu dem großen deutschen Romanisten Victor Klemperer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.02.1999

Deutsche pflegen Gartenzwerge
Voltaire ließen sie nicht herein: Er zählte zu den Großen

Man kennt, so begründet der emeritierte Romanist Jürgen von Stackelberg seine jüngste Veröffentlichung, Voltaire zuwenig. In Deutschland gelte er von einem Klischee denkerischer Tiefe her als zu seicht, auch habe Voltaire selbst mit dem Ausspruch, er werde sich "so oft wiederholen, bis die Übel, die er anprangert, aus der Welt sind", die Rezeption einseitig auf seine in der Tat etwas ermüdende Kirchen- und Religionskritik gelenkt. Um dagegen auf "die Themen oder Gegenstände" aufmerksam zu machen, "greife ich hier hinein und dort hinein und erzähle, wie es mir dabei gegangen ist, nämlich, daß ich verblüfft und erstaunt war, so vieles zu finden, auf das ich vorher nicht gefaßt war".

Fünfundzwanzig Miszellen. Aus Voltaires lebenslangem Interesse für die Quäker könne man schließen, daß ihm religiöse Fragen ernsthaft am Herzen lagen und er durchaus um die richtige Gotteserkenntnis rang. Die Kenntnis der chinesischen Kultur habe Voltaire geholfen, sein eurozentrisches Weltbild abzubauen. Der Erfolg der dramatischen Bearbeitung von Richardsons "Pamela" belege, daß Voltaire seinem Jahrhundert nicht nur als Vollender klassizistischer Bühnenkunst, sondern auch als ein Wegbereiter des bürgerlichen Theaters erschienen ist. Die Erzählung "Die Weiber seien untertan ihren Männern" beweise Voltaires Zugehörigkeit zur Geschichte der feministischen Aufklärung. Der frühe "Essai sur la poésie épique" stelle die klassische Regelgebung grundsätzlich in Frage, vollziehe eine historische und nationale Relativierung des Geschmacksurteils, angesichts derer gar von einer Sturm-und-Drang-Ästhetik gesprochen werden könne. "Voltaire ist in seiner Kunstauffassung ein Revolutionär gewesen, der zu einem Konservativen geworden ist, indes er ideell, als Aufklärer, noch revolutionärer wurde." Wie sich diese Ungleichheit allerdings erklärt, die um so erstaunlicher ist, als der Historiker hermeneutische Relativierungen bewegt, fragt von Stackelberg leider nicht.

Das ist nun alles nicht sonderlich neu. Auch ist das Buch ärgerlich nachlässig produziert: Im Inneren trägt es einen anderen Titel als auf dem Umschlag, das Titelfoto ist nicht nachgewiesen, die Zitierweise ist chaotisch, ein Literaturverzeichnis fehlt, die Tipp- und Satzbaufehler oder wenigstens viele von ihnen blieben unredigiert. Dennoch liest man es seltsamerweise gerne. Der sympathische unaggressive, etwas betulich professorale Plauderton unterhält, und die Bemerkungen zu den Jesuiten in China oder zu den Pariser Theatern, die man genauso im Lexikon nachschlagen könnte, was man aber eben meist doch nicht tut, füllen krügeweise das Faß der Allgemeinbildung. Selbst daß Voltaire zu den ganz Großen gehören solle, Goethe durchaus vergleichbar, sieht man dem Autor nach als Liebe zu seinem Objekt.

Ist Voltaire also in Deutschland als Dichter und Denker zuwenig bekannt? Die gängige Behauptung, von dem politisch offenbar weniger interessierten Verfasser übrigens nicht vertreten, daß in Deutschland ein politischer Autor ein garstiger Autor sei, leuchtet kaum ein. Als Repräsentant der Haltung aufrechter und geistreicher Kritik ist er ja im Allgemeinbewußtsein durchaus präsent, fungiert sein Name fast als Synonym für Aufklärung. Nur haben die Gegenstände seiner Kritik ihre Dringlichkeit verloren, wenn denn die Kritik katholischer Institutionen in Deutschland nicht schon damals bedeutungslos war. Als Literat und Historiker beerbt er, was in verschiedenen der Miszellen herausgehoben wird, Größere, Vergil, Rabelais, Bayle. Und den Vorwurf der Seichtigkeit bestätigt von Stackelberg indirekt, wenn er auf die Entprofessionalisierung des Philosophen in der französischen Aufklärung deutet. Philosoph bezeichne weder den Welterklärer noch den Systemdenker à la Hegel, sondern den Menschen der Gesellschaft, der vernünftig denkt und sich vernünftig benimmt. Allemal wäre es eher Diderot, der mehr gelesen werden müßte.

Voltaires eigentliche Bedeutung, der Lessings und Johnsons vergleichbar, dürfte in seinem Beitrag zur Konstitution des französischen nationalen Selbstbewußtseins liegen. Mit der "Henriade", dem "Siècle de Louis XIV", dem "Essai sur les moeurs" und dem großen Corneillekommentar hat er das Konzept des "Âge classique" als Epoche, in der der Weltgeist in Frankreich zu Hause war, durchgesetzt. Die deutsche kulturelle Identität aber definiere sich genau im Anstoß von dieser Voltaireschen Konstruktion. So daß Voltaire vielleicht wirklich besser studiert werden müßte. Nicht allerdings, weil er selbst des Studiums wert wäre, sondern um zu prüfen, wie Ludwig XIV. zum Bild des absoluten Herrschers werden konnte, um Poussins Zeichnung gegen Rubens' Farbe, Rameaus Harmonie gegen Corellis (und damit auch Händels) Melodie und Racines Form gegen Shakespeares Lebensfülle zu rehabilitieren. Denn als Kritiker des steifen französischen Klassizismus sind wir alle, deutschlehrervermittelt, Antivoltairianer. GUSTAV FALKE

Jürgen von Stackelberg: "Über Voltaire". Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 217 S., br., 58,- DM.

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