Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 4,30 €
Produktdetails
  • Verlag: Perseus Books; Basic Books
  • Erscheinungstermin: März 2014
  • Gewicht: 650g
  • ISBN-13: 9780465031252
  • ISBN-10: 0465031250
  • Artikelnr.: 39149828
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2014

Die Tyrannei der Entwicklungsexperten

In der Entwicklungshilfe tummeln sich die Technokraten. Missachten sie systematisch die Rechte der Armen?

VON LENA SCHIPPER

An einem Sonntagmorgen zu Beginn des Jahres 2010 geschah im westlichen Niedersachsen ein Skandal: Während die dort ansässigen Bauern in der Kirche saßen, stürmten Soldaten ihre Felder, erschossen Schweine und Kühe und steckten die Häuser an; ein Kind starb in den Flammen. Als die Bauern aus der Kirche kamen, blickten sie in die Gewehrläufe der Soldaten: Verschwindet, dieses Land gehört euch nicht mehr. 20 000 Menschen wurden vertrieben, das Land bekam eine britische Firma, die darauf mit Geldern der Weltbank Wiederaufforstung betreiben wollte.

Die Geschichte kommt Ihnen nicht bekannt vor? Das liegt daran, dass sie nicht stimmt: Der Skandal ereignete sich nicht in Westniedersachsen, sondern in Mubende, Uganda. In seinem Buch "The tyranny of experts" hat der amerikanische Entwicklungsökonom William Easterly ihn ins ländliche Ohio verlegt. Er illustriert damit die zentrale These des Buches: Armut entsteht dort, wo die Macht des Staates unbegrenzt ist und die Menschen keine Rechte haben. Mit technischen Lösungen (die Wiederaufforstung sollte nach dem Willen der Weltbank die Einkommen der Einwohner von Mubende erhöhen) ist dem nicht beizukommen, im Gegenteil: Sie machen oft nur alles schlimmer.

Bei uns, schreibt Easterly, ist ein solches Ereignis dagegen nahezu unvorstellbar. Die Bauern in Niedersachsen und Ohio haben Eigentumsrechte, auf die sie sich verlassen können. Sollten tatsächlich bewaffnete Truppen in ihre Häuser eindringen, um ihr Land zu stehlen, würden die Täter bestraft.

Easterly ist nicht der Erste, der argumentiert, dass Armut eine Folge von Rechtlosigkeit ist. In Demokratien, schrieb Amartya Sen schon Ende der siebziger Jahre, gibt es keine schweren Hungersnöte. Doch Easterly geht noch weiter: Die Entwicklungsexperten, die angetreten sind, um die Armut der Menschen in Ländern wie Uganda zu lindern, tragen seiner Meinung nach seit Jahrzehnten dazu bei, das Los der Armen zu verschlimmern.

Easterly zufolge liegt das daran, dass die "Experten" - Ökonomen der Weltbank, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und westliche Politiker - einer "technokratischen Illusion" anhängen. Sie betrachten Armut als ein technisches Problem, das sich auch mit ebensolchen Lösungen, also etwa der Verteilung von Moskitonetzen, landwirtschaftlichen Techniken oder Impfkampagnen bekämpfen lässt. Diese Überzeugung ist nicht nur falsch, schreibt Easterly - sie führt dazu, dass westliche Entwicklungsexperten die Rechte der Menschen missachten, denen sie helfen wollen. Dadurch behindern sie nicht nur lokale Initiativen, sondern verleihen auch autokratischen Herrschern unverdiente Legitimität, weil diese sich besonders gut als Partner für technokratische Projekte eignen.

Die Ursprünge dieses autoritären Entwicklungsansatzes verortet Easterly in der Denkweise der Kolonialzeit, in der die armen Bewohner der Kolonien nicht als Bürger mit Rechten betrachtet wurden, sondern als hilflose "Kinderrassen", deren Leben sich nur mittels von oben verordneter zivilisatorischer Maßnahmen verbessern ließ. Dieses Argument lieferte den Kolonialherren eine Rechtfertigung, ihre Macht zu erhalten, als die Kolonialreiche ins Wanken gerieten. Nach deren Kollaps diente es postkolonialen Autokraten als Entschuldigung, die Demokratisierung hinauszuzögern - Armut zu bekämpfen, galt als wichtiger als die Schaffung politischer Rechte. Den Parteien im Kalten Krieg war das recht. Doch echte Entwicklung, schreibt Easterly, gibt es nur dort, wo Freiheit herrscht.

Dass an dieser Kritik vieles berechtigt ist, akzeptieren auch die "Experten", die Easterly in seinem Buch heftig angeht. Die Frage, mit welchen Regierungen man zusammenarbeiten darf, stellt sich in ihrer Arbeit immer wieder. Auch die Gefahr, dass die Hilfe lokale Abhängigkeiten schafft, die der Wirtschaft schaden, ist bekannt. Wenn etwa in Afghanistan Universitätsprofessoren als Sicherheitsleute bei NGOs arbeiten, weil das Gehalt besser ist, liegt etwas im Argen.

Easterly macht es sich allerdings zu einfach, wenn er die technischen Bemühungen in der Entwicklungshilfe mit der Missachtung grundlegender Rechte gleichsetzt. Selbst seine eigenen Beispiele geben das nicht her: Der Land-Skandal in Uganda, mit dem sein Buch beginnt, kam zum Beispiel dank Nachforschungen der Hilfsorganisation Oxfam ans Licht. "Er hat natürlich recht, wenn er auf die Bedeutung der Menschenrechte hinweist, aber dass wir uns mit den Diktatoren gegen die Armen verschworen haben, ist Quatsch", sagt Owen Barder, Direktor der europäischen Abteilung des Center for Global Development. Zudem verordneten die meisten Entwicklungsorganisationen nicht im großen Stil Rundumlösungen. Im Gegenteil fördern sie genau die kleinteiligen Initiativen, die Easterly lobt: Mikrofinanzprojekte, lokale Landwirtschaftshilfen, Weiterbildung von Ärzten.

Diese Projekte sind oft gerade dort sinnvoll, wo die politische Situation von Demokratie weit entfernt ist. "Manchmal ist die Zusammenarbeit mit Autokraten das kleinere Übel", sagt Barder. Ausländische Organisationen könnten nur begrenzt politisch Einfluss nehmen. Und zwischen der Durchsetzung politischer und anderer Rechte gebe es Konflikte: "Soll ich aufhören, jemanden vor dem Verhungern zu retten, nur weil ich ihm nicht gleichzeitig das Wahlrecht zusichern kann?"

Entwicklungshelfer sollten vor allem bescheidener werden, schrieb einst - William Easterly.

"The tyranny of experts. Economists, dictators and the forgotten rights of the poor" von William Easterly ist bei Basic Books erschienen. Eine deutsche Übersetzung liegt bisher nicht vor.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr