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Mit diesem Roman ist dem Autor Chang-rae Lee - einem erfolgreichen Autoren Amerikas - das beeindruckende Porträt eines Mannes gelungen, der versucht, sich der Realität zu verweigern, und die packende, drei Generationen umfassende Geschichte einer Familie auf Long Island.
Ein Roman über Entfremdung und Identität, glänzend geschrieben und voller Tragik und Komik. Am glücklichsten ist Jerry Battle, wenn er in seiner kleinen Propellermaschine allein über Long Island fliegt, fern von aller unangenehmenRealität. Aber schmerzhafte Erinnerungen und die deprimierenden Tatsachen am Boden lassen sich…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Roman ist dem Autor Chang-rae Lee - einem erfolgreichen Autoren Amerikas - das beeindruckende Porträt eines Mannes gelungen, der versucht, sich der Realität zu verweigern, und die packende, drei Generationen umfassende Geschichte einer Familie auf Long Island.

Ein Roman über Entfremdung und Identität, glänzend geschrieben und voller Tragik und Komik. Am glücklichsten ist Jerry Battle, wenn er in seiner kleinen Propellermaschine allein über Long Island fliegt, fern von aller unangenehmenRealität. Aber schmerzhafte Erinnerungen und die deprimierenden Tatsachen am Boden lassen sich auf die Dauer nicht verdrängen. Dabei hatte er geglaubt, sich alles und alle vom Leibe halten zu können. Doch sein Vater Hank, der italienisch-stämmige Patriarch, will nicht im Altersheim bleiben, die intellektuelle Tochter Theresa kehrt schwer krank und schwanger mit ihrem koreanischen Mann nach Hause zurück, das Familienunternehmen - eine Landschaftsgärtnerei - geht unter Jerrys Sohn Pleite.
Autorenporträt
Chang-rae Lee, 1965 in Korea geboren, kam 1968 mit seinen Eltern in die USA. Nach dem Studium, u.a. in Yale, arbeitete er ein Jahr als Analyst an der New Yorker Börse. Für seinen ersten Roman "Native Speaker" erhielt er den Hemingway Foundation/Pen Award. Lee lebt als freier Schriftsteller in der Nähe von New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Was blubbert denn da im Schmelztiegel?
Eloquenz des Durchschnitts: Chang-rae Lees Familienroman / Von Rose-Maria Gropp

Battle, Jerome Battle - das ist ein Name wie ein Programm. Zumal wenn einer Amerikaner ist und wenn seine aus Italien gekommenen Vorfahren eigentlich Battaglia geheißen haben und der Vater noch in Brooklyn groß geworden ist. Dann paßt es schon, wenn es einer bis in eine Vorstadt auf Long Island gebracht hat und wenn er auf sein Haus, dessen Dach er mit einem farbigen X markiert hat, von seinem kleinen Privatflugzeug aus hinuntersehen kann.

Jerry Battle also, ein Mann in seinem sechzigsten Jahr, der seine vom Vater übernommene Firma für Gartengestaltung bereits an seinen Sohn Jack übergeben hat und der jetzt, um irgend etwas zu tun, in einem Reisebüro jobbt, ist durch und durch durchschnittlich. Weil man das Attribut durchschnittlich nicht steigern kann, möchte man ihn als vollkommen mediokre Existenz bezeichnen. Sein Hauptmerkmal ist eine Art Trägheit des Herzens - an sich eine Eigenschaft, die traditionell heller belichteten und dunkler verschatteten Gemütern vorbehalten ist.

Nun hat aber Chang-rae Lee, der Autor, Jerry Battle zum Ich-Erzähler seines langen Romans (unter dem amerikanischen Originaltitel "Aloft", soviel wie "Empor" oder "Hoch oben") gemacht, der in der deutschen Übersetzung "Turbulenzen" heißt. Daß das Leben eben keine Blumenwiese ist, muß auch Battle, der Spezialist für bereinigte Landschaft, erfahren, der sich am liebsten säuberlich geordnete Oberflächen aus seiner Cessna herab betrachtet. Für diese wohlfeile Erkenntnis stellt der Autor seinem Hauptdarsteller mehr als vierhundert Seiten zur Verfügung; damit stattet er einen aus, der sich selbst immer wieder dadurch charakterisiert, daß sein Dilemma darin besteht, eigentlich sprachlose Beziehungen zu seiner Umwelt zu unterhalten: Die grundlegende Irritation des Romans liegt in dem Widerspruch, daß dieser Jerry Battle zu so viel Eloquenz gar nicht in der Lage sein kann, zu schweigen von gelegentlichen Anflügen vitaler Reflexion.

Der Autor Chang-rae Lee wurde 1965 in Korea geboren und ist als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Amerika gekommen. Inzwischen ist er Professor für creative writing an der Princeton University, und genau das führt er vor: Er schlägt verbale Funken an allen Ecken und Enden; mehr Wörter als er, gebettet in vorsätzliche Umgangssprachlichkeit und eingefühlt in das schlichte Gemüt seines Jerry, kann man kaum beherrschen: ",Jerry, bitte, laß das', sagt sie und schnieft ganz erbärmlich. Ich sehe, wie sie sich mit 'ner Rosette aus Papiertaschentüchern, die das Ausmaß einer voll erblühten Pfingstrose hat, die Nase betupft."

Die Frau, von der da die Rede ist, Kelly heißt sie und ist im Buch eine Neben-Geliebte, wird immerhin kurz darauf einen Selbstmordversuch unternehmen. Das Parkhaus des Mid County Hospital ist dann Ort für neue Spritzigkeiten dieser Art - "es geht zu wie auf dem Dauerparkplatz am La Guardia Airport in der Thanksgiving-Woche. Man könnte echt glauben, die Leute lieben Krankenhäuser (auch wenn sie's nicht zugeben), denn schließlich tun sie, was sie können (Rauchen, Rasen, Drogennehmen), um in so 'ner Klinik Unterschlupf zu finden." Gesetzt, mit solchen Sätzen verbirgt sich ein Autor hinter seinem klassischen Erzähler, was sind sie dann also? Ironie? Sarkasmus? Regieanweisung für einen supercoolen Schnitt?

Der Roman ist deutlich im Hinblick auf seine Filmtauglichkeit geschrieben. Im Grunde ist jede der auftretenden Personen leicht auf ein Abziehbild zu reduzieren: Jerry Battle selbst, graumeliert und sehnig-attraktiv, Hauptdarsteller und Sprecher aus dem Off; sein Vater, Pop genannt, verwirrt in seinem hohen Alter, aber zu fragwürdiger Komik bestens tauglich. Jack, Jerrys Sohn, der smarte Möchtegern in der Vorstadt, der den Familienbetrieb zum Schickeria-Unternehmen aufdonnern will unter Anleitung seiner Gattin Eunice, die englisch-deutscher Provenienz ist; Teresa, Jerrys Tochter, als praktizierende Intellektuelle, und Paul, ihr schriftstellernder Mann, der als "asiatisch-amerikanisch" zu bezeichnen ist; endlich Daisy, die Mutter von Jerrys Kindern - "meine vor vielen Jahren verstorbene Ehefrau, ja selbst Asiatin" -, die einen Auftritt nächtens nackt auf dem Schulhof hat und deren manisch-depressives Leiden von Jerry als "Graufäule" apostrophiert wird; endlich ist da Rita, die gutaussehende puertoricanische Geliebte, die sich von Jerry nach mehr als zwanzig Jahren getrennt hat und die endlich doch zum Beleg seiner anhaltend viril getönten Anziehungskraft dient.

Tatsächlich rührt Chang-rae Lee mit einiger Verve im melting pot, der Schmelztiegel blubbert nur so, und der Verfasser schöpft aus ihm die Kraft der zwei Herzen, ganz Amerikaner ist er und zugleich doch einer, der aus der Fremde eines anderen Kontinents dazugekommen ist. Man darf vermuten, daß sich Chang-rae Lees Roman im aktuellen Europa anders liest als in den Vereinigten Staaten der Gegenwart. Schon der Titel "Aloft", bei dem Aufschwung und Emporkommen anklingen, ist dort gut für das Gemüt und für die hoffnungsfrohe Botschaft, daß auch der amerikanischen Suburbia ein Leben vor dem Tod abzuringen sei.

Leider wird der Erkenntnisprozeß, den Jerry Battle im Zuge der, gemessen an seinem Lebenshorizont, einigermaßen grundstürzenden Ereignisse durchmachen soll, nur als Behauptung des Autors plausibel. Er gerinnt in strohtrockenen Sätzen wie dem folgenden: "Und vielleicht fügen ja im Laufe der Zeit grade diese vorausgeahnten Turbulenzen einer Familie den größten Schaden zu, dieses uneingestandene Wissen, über das man an einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr hinwegfliegen kann, so sehr man sich auch bemüht."

Notgedrungen wird sich Chang-rae Lees Geschichte mit den anderen, ethnisch gefärbten Familienromanen seiner Zeitgenossen vergleichen lassen müssen, von Philipp Roth, Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides. Hat man aber erst einmal diese kristalline Schärfe des Unausweichlichen gewittert, wie sie zumal in Eugenides' zum Weinen komischen "Selbstmordschwestern" in der Vorstadt Einzug hält, dann verblaßt Chang-rae Lees mokanter Gestus immer wieder zur Slapstick-Einlage und in manchen Momenten gar zu eklatanter Peinlichkeit, wenn es etwa über die Freundin des geistig abbauenden Vaters im Heim heißt: "Bea hat ein kleines Problem mit ihrem Kurzzeitgedächtnis, das mich aber nicht weiter stört, weil wir uns eh nicht viel zu sagen haben, und da ist es gar nicht schlecht, sich immer wieder von neuem vorzustellen." Solche zu Literatur deklarierten Scherze sind nicht mehr jedermanns Geschmack, auch wenn man einräumt, daß Chang-rae Lee vorsätzlich aus der Perspektive verinnerlichter Mittelmäßigkeit eines alternden Mannes heraus schreibt, der ihm, dem Autor, eine Lebenshälfte voraushat.

Offensichtlich geht es ihm dabei um einen Appell an die Möglichkeit, daß seine polykulturelle Versuchsanordnung, nachdem sie ausreichend durchgeschüttelt wurde, zu einer gewissen Ruhe finden darf; es geht ihm um Harmonie, nicht um Wirklichkeit. Als solches Wunschdenken läßt sich auch das Quasiverschwinden des Ich-Erzählers in der Gemeinschaft am Ende begreifen. Für alle, die das Buch noch lesen wollen, sei sein Ausgang verschwiegen. Es gibt da unterwegs eine gewisse tragische Klimax, die in ein versöhnliches Schlußtableau mündet; im letzten Absatz steht, garantiert ironiefrei: "Wo ist denn Jerry? fragt jemand, die Laute fliegen über mir dahin, kaum hörbar, so weit weg, daß ich mich nicht gleich melden muß. Gut so. Kein Problem. Sie werden sehn, die fangen auch ohne mich an." - Wie wahr.

Chang-rae Lee: "Turbulenzen". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Schuenke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 440 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2004

800 Meter über der Erde
Expedition Suburbia: Ein Interview mit dem Schriftsteller Chang-Rae Lee
Steigt man an einem Sommernachmittag in Princeton aus einem der New Yorker Vorortzüge, hat die Ruhe erstmal eine betäubende Wirkung. Da rauscht eine Brise durchs Laub der Bäume, Vögel zwitschern und nur ab und zu rollt ein Auto durch die Straßen. Der Schriftsteller Chang-Rae Lee lehrt hier als Professor an der Fakultät für Literatur, an der unter anderen auch Joyce Carol Oates, Toni Morrison und Edmund White unterrichten. Der 39-Jährige ist mit dem Fahrrad zum Bahnhof gekommen. Mit seinem Polohemd und den kurzen Khakihosen trägt er die klassische Sommertracht der Suburbiabewohner. Er will das Interview nicht in seinem Büro führen, sondern lieber an einem der Picknicktische im Park.
Nach seinem Debutroman „Native Speaker” und dem Roman „Fremd im eigenen Leben” hat er jetzt mit „Turbulenzen” (Kiepenheuer & Witsch, 442 Seiten, 22,90 Euro) sein drittes Buch vorgelegt. Gleich zu Beginn liefert Chang-Rae Lee, der in diesen Tagen in Deutschland auf Lesereise ist, darin ein perfektes Bild für das Lebensgefühl der Suburbia. Jerry Battle, Frührentner und Erzählerfigur, sitzt in seinem Sportflugzeug und kreist über Long Island. „Von hier oben, achthundert Meter über der Erde, sieht eigentlich alles ganz perfekt aus”, hebt er an. Eine Beobachtung, die Lee dann auf 440 Seiten meisterhaft widerlegt. Allerdings verlässt sich Lee dabei nicht auf die bewährten literarischen Pfade durch jene Landschaft aus Einfamilienhäusern, Einkaufszentren und baumbestandenen Straßen. Die New York Times feierte „Turbulenzen” als Wiedergeburt des Suburbiaromans. Chang-Rae Lee stelle sich damit in eine Reihe mit John Cheever, John Updike und Philip Roth.
SZ: Hinter Jerry Battle lauern keine Abgründe, keine erotischen Verirrungen oder selbstzerstörerische Manien.
Chang-Rae Lee: Ich bewundere die Figuren von Updike und Roth. Aber das waren nicht die Menschen, die ich aus meinem Leben kenne.
SZ: Wie gut kennen Sie die Suburbia denn?
Lee: Ich bin dort aufgewachsen. Meine Eltern sind mit mir nach New York emigriert, als ich drei Jahre alt war, und dann haben sie die Stadt wie alle Immigranten so schnell wie möglich verlassen. Und so wie Amerika entwickelt und gebaut wurde, ist das Leben dort immer noch einfacher als in jedem anderen Land der Welt.
SZ: Wieso?
Lee: Es gibt in der amerikanischen Suburbia immer noch eine Menge günstigen Wohnraum. New Rochelle, wo wir dann lebten, war voll von Einwanderern, die dort genau wie wir hingezogen waren, weil die Stadt eben zu eng, zu teuer und zu dreckig war.
SZ: Aber ist die Suburbia nicht auch ein sehr isolierter, dezentralisierter Ort, an dem es schwer fällt, Fuß zu fassen?
Lee: Damals war es noch nicht ganz so dezentralisiert, weil die Suburbias immer noch als Schlafstädte für Pendler konzipiert wurden, die sich um eine Stadt herum gruppierten.
SZ: Das ist allerdings nicht die Suburbia, die Sie in „Turbulenzen” beschreiben.
Lee: Nein, das ist ein sehr verwirrender Ort. Die Suburbias der zweiten und dritten Generation haben irgendwann ihre Anbindung an die Stadt verloren, weil die Arbeit den Menschen gefolgt ist und die Pendler nun zwischen all diesen undefinierten Ortschaften hin- und herfahren. Das ist ein sehr losgelöstes und wurzelloses Leben. Deswegen personifiziert Jerry dieses Leben auch so gut. Er ist nicht gerade unsympathisch oder ungesellig. Aber er braucht seine Pufferzone, die ihm erlaubt, sein virtuelles Leben zu leben. Jerry ist der Typ, der dreißig Jahre lang in einer Gegend leben kann, ohne irgendjemanden richtig kennen gelernt zu haben. Aber das stört ihn auch nicht weiter.
SZ: Sie haben auch schon in New York gelebt. Wo ist es Ihnen denn lieber?
Lee: Ein befreundeter Städteplaner, mit dem ich lange über das Buch gesprochen habe, meinte, ich sei unverbesserlicher Urbanist. Aber die Suburbia ist immer noch der ultimative amerikanische Traum. Der Urbanismus ist eine eher europäische Kultur. Hier in Amerika erobert sich die Suburbia deswegen inzwischen schon die Städte. Selbst New York wird suburbanisiert. Mit diesem Time Warner Center, bestimmten Shopping Malls. Natürlich gehört es in New York immer noch zum Alltag, zu Fuß zu gehen und in Läden einzukaufen. Wie in Paris oder Amsterdam. Wer würde in Paris schon in eine fünfstöckige Mall gehen. Aber ich höre, dass sich jetzt sogar immer mehr Leute einen Swimming Pool einbauen lassen. Das sind natürlich sehr reiche Leute. Aber das sind alles Zeichen dafür, wie sich die suburbane Kultur in den Städten breitmacht.
SZ: Die meisten Figuren in Ihrem Buch scheinen für bestimmte Bereiche des amerikanischen Lebens zu stehen.
Lee: Das stimmt, aber ich habe sie nicht als Allegorien geschrieben. Das hat sich so ergeben. Ich schreibe auch nicht bewusst von A nach B. Meine Figuren und Handlungen entwickeln sich erst während der Arbeit am Text.
SZ: Seine manisch-depressive Frau scheint aber ganz exemplarisch die Berg- und Talfahrten eines amerikanischen Lebens zu verkörpern. Alleine ihre manischen Einkaufstouren.
Lee: Ich habe mir das trotzdem nicht als Symbol für irgendetwas ausgedacht. Ihre psychischen Probleme könnte sie überall bekommen. Auch wenn die Suburbs natürlich nicht gerade der ideale Ort für eine labile Einwandererfrau sind. Da sind die Leute zu sehr sich selbst überlassen.
SZ: Deswegen geschehen in der Suburbia ja so eigenartige und oft auch bizarre Dinge.
Lee: Die bizarren Seiten sind es ja auch, die die meisten an der Suburbia so faszinieren. Das ist ja auch die Tradition der Suburbialiteratur, dass es da eine dunkle Seite gibt, die irgendwann in einem spektakulären Feuerball über den beschaulichen Straßen explodiert. Aber das hat mich nicht so sehr interessiert. Natürlich passieren in meinem Buch schlimme Dinge. Jemand wird krank, jemand wird alt, jemand stirbt, jemand verliert, jemand geht pleite. Wie in den meisten Familien. Ich wollte Jerry Battle durchschütteln. Aber Jerry Battle ist kein Ehebrecher, kein Trinker oder irgendein anderer dieser suburbanen Alpträume. Er hat keine verborgenen dunklen Seiten. Und genau so wollte ich ihn haben. Er sollte sich immer noch im Bereich der Realität bewegen.
SZ: Ist es nicht ungemein schwer, in der Suburbia einen klaren Realismus durchzuhalten?
Lee: Ich wollte mich durch die Sprache und den Rhythmus über den reinen Realismus erheben. Ich wollte ja keine Reportage schreiben. Aber was mich an diesem Buch gereizt hat, war in Jerrys Mustern, seiner Sprache und der Melodie seine Sehnsüchte zu finden. Das ist vielleicht altmodisch. Die Leute wollen ja keine literarischen Überhöhungen mehr, keine Form der Erhabenheit. Vielleicht liegt das an unserer Realitykultur in den Medien.
SZ: Hat die überhaupt etwas mit Realität zu tun? Ist das nicht pure Häme?
Lee: Reality Shows sind nur darauf angelegt, den Leuten die letzten Reste von Würde und Größe zu nehmen und sie zum Nichts zu schleifen. Da wird die Menschlichkeit verhökert. Ein guter Roman kann zwar die tiefsten Abgründe ausloten, aber es wird immer einen Funken Hoffnung geben.
Nehmen sie Manns „Tod in Venedig”. Das ist nun wirklich ein ausgesprochen düsteres Buch. Da geht dieser arme Schreiber am Strand buchstäblich drauf und ergeht sich trotzdem in seiner Besessenheit. Aber durch Manns Eleganz und Sinn für Herrlichkeit und Glauben bekommt das eine Form der Bestimmung und Herrlichkeit. Für mich ist diese Erhabenheit allerdings mit einem ganz bestimmten Optimismus verknüpft. Und ich bin unverbesserlicher Optimist.
SZ: Aber trotzdem basiert auch Ihr Roman auf einem ganz bewussten Realismus.
Lee: Das schon, aber eben nicht auf einem faktischen Realismus. Unsere Gesellschaft begnügt sich immer mehr mit reinen Fakten und Informationen. Das kommt aus diesem postmodernen Denken, dass jede Geschichte und ihr Erzähler prinzipiell suspekt sind. Daran glaube ich eben nicht. Ohne eine Orchestrierung und Leitung ist Information wertlos.
Interview: Andrian Kreye
Die Schienen, die in die Vororte führen: Chang-Rae Lee
Foto: Andrian Kreye
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

"Zwar ist Chang-rae Lees Protagonist Jerry Battle, New Yorker Sohn italienischer Immigranten, mittlerweile sechzig, doch einen "altersweisen, mit Lebensklugheiten gesättigten" Lebensrückblick soll man von ihm nicht erwarten, baut die Rezensentin Marion Lühe falschen Erwartungen vorr. Jerrys Überlegungen, so Lühe, folgen vielmehr der jähen Eingebung seiner Erinnerung, betreffen aber vor allem seinen Vater, der sich im Gastland gleichsam aus dem Nichts emporgearbeitet hat. Angesichts der insgesamt katastrophalen Situation der Familie Battle, so die Rezensentin, kann man in "Turbulenzen" einen Roman "über den Verfall einer zu Wohlstand und Ansehen gelangten Einwandererfamilie" sehen. Mit einer Besonderheit: Lee verfalle nie ins "Lamento", sondern bewahrt den Leser mit seinem "pointierten, lakonischen Tonfall" (den Christa Scheunke wunderbar ins Deutsche übertragen habe) vor "mittelhochgestochener poetischer Kacke". An dieser Familiengeschichte entlang entwerfe Lee zudem ganz nebenbei eine Art "Phänomenologie des amerikanischen Selfmademans", die die Frage nach der charakterformenden Wirkung von sozialer Kälte stellt. Das wirkliche Glanzlicht des Romans sieht die Rezensentin allerdings im "ungleichen Tennisduell", das sich Jerry und der superreiche Anwalt Ritchie Coniglio (der ihm die Geliebte abgeluchst hat) liefern.

©
"Chang-rae Lee hält dem amerikanischen Traum mit all seinem Glanz und seinen trügerischen Versprechungen den Spiegel vor." (The New York Times)
"Turbulenzen"verzaubert den Leser völlig und lässt an die Werke von Meistern wie John Cheever und John Updike denken." (People)
"Eins der besten Bücher des Jahres." (The Christian Science Monitor)
"Wenn man "Turbulenzen2 liest, weiß man, warum man Literatur liest." (Los Angeles Times)
"Turbulenzen" hat einen lockeren, spritzigen Ton, einen schwingenden Rhythmus, der wunderbar lebendig wirkt." (Poets and Writers Magazine)