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Dieses Buch untersucht Situationen und gesellschaftliche Legitimationen von Gewaltanwendung in den verschiedensten Epochen und Zivilisationen von den frühen Hochkulturen bis zu den mechanisierten Großkriegen der modernen Industriegesellschaften und den Stammesfehden in der Welt von heute. In ungewöhnlicher Bandbreite weisen Kultur- und Geisteswissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen auf, wie hochkomplex die geschichtlichen Konstellationen sind, die kollektive Tötungsbereitschaft auslösen oder deren Eindämmung bewirken können. Deutlich treten dabei ständig wiederkehrende Muster…mehr

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Produktbeschreibung
Dieses Buch untersucht Situationen und gesellschaftliche Legitimationen von Gewaltanwendung in den verschiedensten Epochen und Zivilisationen von den frühen Hochkulturen bis zu den mechanisierten Großkriegen der modernen Industriegesellschaften und den Stammesfehden in der Welt von heute. In ungewöhnlicher Bandbreite weisen Kultur- und Geisteswissenschaftler der unterschiedlichsten Fachrichtungen auf, wie hochkomplex die geschichtlichen Konstellationen sind, die kollektive Tötungsbereitschaft auslösen oder deren Eindämmung bewirken können. Deutlich treten dabei ständig wiederkehrende Muster und langfristige Tendenzen in der Form der Kriegsführung und im Antrieb zu töten hervor. So kann der Tötungswille und die Bereitschaft zum Sterben rituell oder rechtlich begründet, durch Aussicht auf soziale Anerkennung und durch Leit- oder Feindbilder oder durch Erlösungsvorstellungen jeglicher Art aktiviert sein.
Autorenporträt
Professor Dr. Heinrich von Stietencron leitete bis zu seiner Emeritierung 25 Jahre lang das Seminar für Indologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Tübingen und ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Prof. Dr. Jörg Rüpke war von 1995 bis 1999 Professor für Klassische Philologie an der Universität Potsdam und von 1999 bis 2008 Professor für Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Europäische Polytheismen an der Universität Erfurt und dort Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms Römische Reichs- und Provinzialreligion. Seit 2008 ist er Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive und Fellow für Religionswissenschaft am Max-Weber-Kolleg Erfurt. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der Universität Aarhus und im Jahr 2012 wurde er in den Wissenschaftsrat berufen.

Prof. Dr. Jörg Rüpke war von 1995 bis 1999 Professor für Klassische Philologie an der Universität Potsdam und von 1999 bis 2008 Professor für Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Europäische Polytheismen an der Universität Erfurt und dort Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms Römische Reichs- und Provinzialreligion. Seit 2008 ist er Sprecher der DFG-Kollegforschergruppe Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive und Fellow für Religionswissenschaft am Max-Weber-Kolleg Erfurt. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der Universität Aarhus und im Jahr 2012 wurde er in den Wissenschaftsrat berufen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.1995

Die ungeheure Befugnis, offen über das Menschenleben zu verfügen
Was heißt gesellschaftlich legitimiertes Töten? / Vermischte Beiträge zu einer historischen Anthropologie des Krieges

Das Freiburger Institut für Historische Anthropologie wollte untersuchen, "wie unterschiedliche menschliche Gesellschaften mit der Möglichkeit des gesellschaftlich legitimierten Tötens umgegangen sind und noch heute umgehen". Dieser höchst vage Satz wird gleich auf der ersten Seite als "Fragestellung" ausgegeben. Damit ist man beim Problem dieses Bandes.

Gesellschaftlich legitimiertes Töten ist sowohl, was im Auftrag eines Staates (oder vergleichbarer politischer Einheiten) ausgeführt wird, als auch, was zwar nicht angeordnet, aber zugelassen ist. Hinrichtungen und Krieg also zum einen, Gladiatorenkämpfe, Fehde, Notwehr zum andern. Töten im Krieg wiederum kann man unterteilen in das Töten im Kampf und das von Wehrlosen, Kriegsgefangenen und Geiseln etwa, Juden im Zweiten Weltkrieg, inzwischen zunehmend auch anderen Nichtkombattanten. Es kann geradezu die Gelegenheit zum Töten gesucht werden, wenn darauf etwa Prämien ausgesetzt sind, es kann in der Wut, in der Gier nach Rache zu Tötungsorgien kommen. Jedenfalls ist das Töten im Kampf in der Regel mit dem Risiko verbunden, selbst verwundet oder getötet zu werden.

Warum machen Menschen das? Was machen sie mit ihrer Angst, von der etwa Cäsar offen sprach, während Friedrich der Große fand: "Sie gehen, wohin sie geführt werden, und verrichten Wunder, wenn das Beispiel tapferer Offiziere sie anfeuert." Sind, diesseits des Ausrastens, dem Töten, überhaupt dem Kampf Grenzen gesetzt, sei es, daß sie sich einfach eingeschliffen haben, sei es, daß sie durch Abmachungen festgelegt sind, etwa die Haager Landkriegsordnungen? Wieweit haben Offiziere ihre Mannschaften unter Kontrolle? Wieweit gilt bei ihnen Ritterlichkeit? Von wo an ist all dies überfordert?

Die Fragen, die sich hier auftun, werden im allgemeinen kaum aufgeworfen. "Die Stadt wurde erobert, die Männer erschlagen, Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft", liest man zum Beispiel bei Thukydides. Wer aber versucht, sich auch nur vorzustellen, wie das vor sich ging, wenn etwa die Athener nach der Eroberung von Mytilene aufgrund eines Volksbeschlusses tausend Männer umbrachten? Ursprünglich hätten es alle, also mindestens zehntausend, sein sollen, davon war man abgegangen. Durch Christopher Brownings Untersuchung des Reserve-Polizeibataillons 101 wissen wir inzwischen einiges über die "ganz normalen Männer", die in Polen Zehntausende von Juden erschossen. Anfangs hatte der Kommandeur ihnen die Teilnahme sogar freigestellt. Einige konnten sich lange heraushalten, aber das Gros war immer bereit, die Befehle zu befolgen; zuweilen wurde ihnen die Mordaktion durch Alkohol erleichtert.

Wer kann sich schon eine Schlacht zwischen Streitwagen, zwischen Schlachtreihen, ja die Kämpfe unserer Väter und Großväter in den Weltkriegen vorstellen? Mit welchen Mechanismen etwa der Solidarisierung im Kampf, des Hasses und der Kriegswut haben wir zu rechnen? Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Was bedeutet es, daß Soldaten, wenn sie den Schützengraben wegen unmittelbarer Bedrohung eigentlich nicht verlassen dürfen, wenn ihnen aber der Verwesungsgeruch der vor den Linien liegenden Leichen schwer zu schaffen macht, immer noch nach Freund und Feind zu unterscheiden pflegen, indem sie am ehesten die eigenen Kameraden bergen und bestatten? Hier also eröffnen sich viele Fragen - bis hin zu der, wieweit sich die Menschennatur in kriegerischen Extremsituationen besonders unverhüllt zeigt, wie etwa Thukydides behauptet.

Der andere große Fragenkomplex liegt im wesentlichen vor dem Töten. Das ist die Frage, wie es zum Krieg kommt, grundsätzlich und im Einzelfall. Hier geht es um Probleme der politischen, gesellschaftlichen, vielleicht der Weltordnung, um materielle Interessen, Risikobereitschaft, Religion, Moral und Ehre, um vielerlei, vielfach sich überschneidende Anschauungen und Wertsetzungen, die Bestimmung des Feindes und verschiedene Rituale. Carl Schmitt hat 1927 das Kriterium der Unterscheidung von Freund und Feind als Merkmal des Staats im Unterschied etwa zur sozialistischen Internationale festgestellt. Nur der Staat hat das ius belli, also die "ungeheure Befugnis . . . , Krieg zu führen und damit offen über das Leben von Menschen zu verfügen".

Die beiden Fragenkomplexe hängen zwar in der Sache eng zusammen, aber sie führen in gänzlich verschiedene Bereiche, erfordern unterschiedliche Sachkenntnisse. Will man sie interdisziplinär mit Gewinn behandeln, so muß man sich entscheiden, was man will. Denn dazu braucht man eine klare Fragestellung.

Heinrich von Stietencron aber stellt in der Einleitung nur Betrachtungen über Kriegsgründe an, kommt auf Gier, Haß, Angst und Machttrieb zu sprechen, auf Ideen, Feind- und Weltbilder und anderes. Jan Assmann handelt über ägyptische Vorstellungen von gerechter Ordnung und deren Gefährdung, nur am Ende kurz auch vom Krieg. Für Mesopotamien erfährt man einiges über die Vorstellung von Fremden, auch über die vom Chaos, aber wiederum so gut wie nichts über den Krieg. Relativ nahe zum Thema ist der Beitrag zum antiken Israel. Für China gibt es einen längeren Beitrag über Fürstenmord, immerhin ein Töten, aber keines im Krieg, und einen kurzen, bündigen Beitrag zur Sache, der zweieinhalb Seiten lang ist. Für Indien werden an einer Reihe von Mythen wechselnde Einstellungen zu Krieg und Kriegern aufgewiesen.

Mit Gewinn kann der am Problem des Tötens im Krieg Interessierte den Aufsatz zur griechischen Geschichte von Walter Burkert lesen. Es folgen zwei weitere über die römische Republik, der eine mit einer Fülle einschlägiger Details. Allein, bei interdisziplinärer Zusammenarbeit hätte man eigentlich erwarten sollen, daß zumindest die Beiträge aus der klassischen Altertumswissenschaft aufeinander Bezug genommen hatten. Warum führen die Griechen ihre Kriege nicht zur Eroberung, während die Römer das ständig tun? Wie wirkt sich das auf die Kriegsform aus - oder wird von ihr mitbedingt? Wie hängt es mit der inneren Ordnung zusammen, der Vereinzelung und Exklusivität dort, Bindungswesen und relativer Offenheit hier, mit den verschiedenen Auffassungen vom Bürger, vom Menschen, mit den Formen kollektiver Identität? Und, nicht zu vergessen, mit Weisen der Politik, wovon man eigentlich gerade für Rom hätte Kenntnis nehmen sollen. Bei aller Neigung zur Nutzbarmachung ethnologischer Kategorien auch für das "klassische" Altertum: Kann man Roms Expansion einfach auf den Wettbewerb von Konsuln zurückführen? Hätte das überhaupt gutgehen können? Ob nicht vielleicht doch im Senat auch Politik gemacht wurde?

Viel zu lernen ist aus den ethnologischen Beiträgen, etwa zur Bedeutung des Tötens für Ansehen und Befähigung des Mannes wie zur Angst vor der Rache der Toten, vor Befleckung und dem langen Prozeß verschiedener Reinigungsriten, mit denen man ihr begegnet. Hier scheinen, zumindest verschiedentlich, erhebliche kulturelle Tötungshemmungen am Werk zu sein, auch wenn sie immer zu überwinden waren.

Die christliche Rechtfertigung des Krieges und der Kampf gegen die Fehde führen ins Mittelalter. Auch der Heilige Krieg in christlicher Sicht und der "a priori legitime Krieg im Islam" werden behandelt. Schließlich wird mit einem großen Sprung über viele, hochbedeutende Veränderungen in Kriegführung und Mentalität hinweg die jüngere Neuzeit erreicht. Man findet einen Beitrag über "Kampfmotivation und Mobilisierungsstrategien im Ersten Weltkrieg, der manche Aufschlüsse bietet, freilich auch vieles ausläßt, zum Beispiel die Quermotivationen von Mann zu Mann und von Einheit zu Einheit und - daß der Krieg auch immer wieder sich selbst erzeugte. Man fragt sich am Ende, wie dieser Krieg so lange hat dauern können. Den Beschluß macht Gottfried Schramm, indem er eine "starke Hoffnungslinie" freilegt. Die Zahl der Kriege nimmt ab, fast parallel dazu wird die Todesstrafe abgeschafft. Es ist ein "Wunder", daß die Supermächte nach 1945 wider alle Erwartung sich immer friedlicher miteinander einrichteten.

Für sich genommen, bieten die Beiträge der zum Teil hochrangigen Gelehrten zumeist viel Interessantes und Bedenkenswertes. Und es mag ja auch sein, daß man erst mal mit einer überdimensionalen Botanisiertrommel über das Land ziehen und ein Sammelsurium vereinen muß, um Material zu gewinnen. Trotzdem könnte man sich vorstellen, daß die Beteiligten weitergekommen wären. Die These, die Victor Davis Hanson 1989 aufstellte, wonach mit den Griechen, mit dem entschlossenen Kampf Mann gegen Mann "die westliche Art der Kriegführung" erfunden wurde, mit der sich schließlich Europa fast die ganze Welt unterworfen habe, kam vielleicht zu spät, doch wären auch andere beherzte Hypothesen denkbar, die die Arbeit am Thema hätten befruchten können. Hervorzuheben ist das ausführliche Register am Ende. CHRISTIAN MEIER

Heinrich von Stietencron/Jörg Rüpke (Hrsg.): "Töten im Krieg". (Historische Anthropologie Band 6.) Verlag Karl Alber, Freiburg/München 1995. 496 S., geb., 128,- DM.

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