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  • Buch mit Leinen-Einband

Produktdetails
  • Verlag: Residenz
  • Seitenzahl: 135
  • Abmessung: 15mm x 238mm x 271mm
  • Gewicht: 986g
  • ISBN-13: 9783701711550
  • ISBN-10: 3701711550
  • Artikelnr.: 07958326
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999

Zauberberg dritter Klasse
Der Dichter schweigt, die Exegeten reden / Von Ulrich Weinzierl

Zu Lebzeiten war er Österreichs begnadetster Provokateur. Erregungen und Skandale säumten seinen Weg. Das gelang ihm auf denkbar einfache Weise. Der Übertreibungskünstler beschimpfte von der Bühne herab oder auf gedrucktem Papier Land und Leute so virtuos, bis sie sich ebenso widerwärtig und vertrottelt verhielten, wie er es ihnen immer nachgesagt hatte. Noch im Grabe sollte der Dichter einen Rest von aggressionsfördernder Kraft bewahren: Thomas Bernhards zehnter Todestag am 12. Februar entfesselte zwischen Boden- und Neusiedlersee einen publizistischen Sturm sondergleichen. Plötzlich hatte jeder Einschlägiges mitzuteilen, wobei der Wunsch nach Originalität in einen Wettbewerb um die törichteste Stellungnahme auszuarten drohte. Allein, jetzt da das Schlimmste ausgestanden ist, fällt die Wahl nicht schwer. Werner Schneyder, dem Kabarettisten und Autor, gebührt ohne Zweifel die Palme des Sieges. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" verkündete Herr Schneyder nämlich, Bernhard sei ein "kranker", um "jedwede Sexualität betrogener Mann" gewesen, mit dem Talent, "eine ganze Kulturgesellschaft zu manipulieren". Bei Bernhards Stücken wie "Die Macht der Gewohnheit" handle es sich um "lächerliches Geschwätz", und überhaupt, da ist sich Werner Schneyder sicher: "In fünfzehn Jahren hat der Mann absolut keine Geltung mehr." Der Dramolett-Spezialist Antonio Fian brauchte nichts weiter zu tun, als in seinem hübschen Opusculum "Der Verführer. Eine Bewältigung" Schneyders Zitate einer fiktiven Leni Riefenstahl in den Mund zu legen und jenem verbales Kopfnicken zu verordnen. Manche, übereifrige Objekte der Satire erleichtern dem Satiriker die Arbeit ungemein. Indes verzeichnete auch die seriösere Literatur zu Bernhard aus gegebenem Anlaß eine kurzfristige Hochkonjunktur. Der Salzburger Residenz Verlag läßt dem schönen Bildband "Thomas Bernhards Häuser" (1995) die kommentierte Photosammlung "Thomas Bernhards Welt" folgen, diesmal über "Schauplätze seiner Jugend". Wiederum hat Wieland Schmied, Bernhards Freund bis zuletzt, einen klugen Essay verfaßt, wieder hat Erika Schmied Orte und ihre Schicksale mit der Kamera eingefangen. Als eine Art Baedeker für des Schriftstellers Erdenwandel dient Bernhards fünfbändige Autobiographie seiner jungen Jahre. Und siehe: Die Beschreibungen, vom ländlichen Salzburger Idyll bis zur Schreckenskammer der Moribunden im Spital, waren erstaunlich realistisch. Am eindrucksvollsten innerhalb des Stationendramas präsentieren sich die Aufnahmen rund um die Lungenheilstätte Grafenhof im Pongau. Das alpine Luftlazarett für Schwindsüchtige erinnert an einen "Zauberberg" dritter Klasse, ist offenbar in der Tat eher medizinische Kaserne als Sanatorium gewesen.

In Grafenhof hat der achtzehnjährige Kaufmannslehrling Thomas Bernhard den älteren Musiker Rudolf Brändle kennen- und schätzengelernt. Die Liebe zur Musik brachte sie zusammen, es entstand - so heißt es in Bernhards Erinnerungsbuch "Die Kälte" - "eine Zeugenfreundschaft wie keine zweite". Merkwürdig viele Figuren aus seinem Schaffen sind ja nach Bernhards Tod leibhaftig auferstanden, um sich - in der Regel geschwätzig - zu Wort zu melden. Doch der pensionierte "Akkordarbeiter", wie sich der Theaterkapellmeister Brändle mit einem Bernhard-Begriff nennt, gehört zu den sympathischsten dieser Wiedergänger. Sehr schlicht und schnörkellos berichtet Brändle von gemeinsamen Erfahrungen, von Bernhards juvenilem Zeitungsappetit, aus dem schließlich veritable Gefräßigkeit wurde, sorgsam vergleicht er die literarische Verfremdungstechnik des Memoirenschreibers mit den Tatsachen aus seiner Sicht. All die Detailabweichungen und Überspitzungen mögen zwar nicht unbedingt aufregend oder gar weltbewegend sein, für die Gemeinde der Bernhard-Liebhaber und -Forscher freilich ist dergleichen allemal aufschlußreich. Auch zum Kapitel Thomas Bernhard und sein "Lebensmensch" (die Wahltante Hedwig Stavianicek) weiß Brändle einiges nachzutragen. Und das unrühmliche Ende von Bernhards Sängerkarriere faßt er in eine von diesem selbst oft zum besten gegebene Anekdote - der Dirigent Josef Krips habe ein Vorsingen des lautstarken Bassisten mit der Ermunterung abgefertigt: "Was wollns denn, werdns a Fleischer!" Weit umfassenderen Anspruch als die beiden bescheidenen, gleichwohl respektablen Beiträge zu Leben und Werk Bernhards erhebt eine gewichtige Studie des Wiener Philosophieprofessors Alfred Pfabigan. Bereits der Untertitel geht aufs Ganze: "Ein österreichisches Weltexperiment". Energisch zieht die Einleitung gegen einen "Bernhard-Konformismus" zu Felde, wobei unklar bleibt, was der Verfasser darunter genau verstehen mag. Jedenfalls aber will er tabula rasa mit den bisherigen Interpretationsbemühungen machen. Das fällt ihm schon deshalb nicht schwer, weil sein Literaturverzeichnis Mut zur Lücke beweist. Hier fehlen nicht beliebige Dissertationen oder wissenschaftliche Aufsätze in entlegenen Zeitschriften, hier fehlen philologische Standardtexte. Vielleicht muß das so sein: Wer einen radikalen Neuansatz sucht, wirft bei seinen geistigen Höhenflügen gerne Ballast ab beziehungsweise nimmt ihn gar nicht erst an Bord.

Unbefangenheit heißt des revolutionären Interpreten Devise. Pfabigans Ziel ist es, den Prosaisten Bernhard (den Dramatiker klammert er vorsichtshalber aus) als "äußerst präzisen Denker" vorzustellen. Darauf war, wohl mit zureichendem Grund, vor ihm noch niemand gekommen. Die Methode scheint so verblüffend wie einleuchtend. Der Deuter wird zum Nacherzähler, der allerdings die chronologischen Verwerfungen und Sprünge des Originals glattbügelt - somit eine lineare Charaktergeschichte der Protagonisten vorzuführen vermag. Also feiert Pfabigan, darin mehr Nietzscheaner als Bernhardiner, einen doppelten, ja zwiegespaltenen Bernhard. Er unterscheidet zwischem einem "chthonischen" und einem "apollinischen Werkblock" - mit den Bänden "Der Untergeher", "Holzfällen" und "Alte Meister". Derlei ließe sich, gewiß unziemlich simplifizierend, auch minder bedeutsam ausdrücken. Dem ausweglos düsteren Frühwerk entspricht nun einmal ein Spätwerk, in dem Bernhards kalter Witz und Hohn, sein Sterbensgelächter stärker hervortreten. Aber statt germanistischer Schriften konsultiert der garantiert humorfreie Experte Pfabigan lieber psychoanalytische Muster und Rezepturen - mit unterschiedlichem Erfolg, zuweilen jedoch amüsanten Ergebnissen. Die assoziative Gleichsetzung von literarischen Hervorbringungen mit kindlichen Ausscheidungen ist keineswegs neu - die Identifikation von Bernhards testamentarischem Bannfluch gegen Österreich mit trotzig-infantiler Stuhlverweigerung sprich Verstopfung schon. Zudem liegt über Pfabigans Verständnis von "Humaniora" - es schwankt zwischen Gestank und eiternden Wunden und Geschlechtsteilen - ein Hauch von Eigenwilligkeit an der Grenze zum Bizarren. Und Ästhetisches, das OEuvre Bernhards in seiner poetischen, musikalischen Qualität, ist ihm herzlich egal.

Dies einschränkend vorausgeschickt, sei nachdrücklich betont: Alfred Pfabigans Werkanalyse enthält eine Fülle intelligenter, anregender, erhellender Einzelheiten. Sein Blick gewinnt gerade in der Zusammenschau von scheinbar Disparatem an Schärfe, und bis dato unbemerkte Querverbindungen werden deutlich. Daß sich der im Roman selbst etwas unmotiviert, beinah zufällig wirkende Titel "Holzfällen" (1984) durch den Rückbezug auf eine Passage der Erzählung "Amras" (1964) als Chiffre für Homosexualität zu erkennen gibt, dürfte die spektakulärste Entdeckung Pfabigans sein. Im Unterschied zu anderen Vermutungen und Phantasien hat sie den Vorzug, sowohl auf Anhieb zu überzeugen als auch einer Plausibilitätsprüfung standzuhalten. Darum sind wir betrübt: Hätte Pfabigan auf sein grandioses, also naturgemäß größenwahnsinniges Bernhardtotalerklärungsmodell verzichtet, wäre ihm wohl ein kleines, großes Kunststück geglückt: von der Oberfläche der Bernhardschen Satzkaskaden in deren Tiefenschichten vorzudringen - zu Genuß und Belehrung des gemeinen Lesers wie der Wissenschaft. So aber hat er nur ein dickes Buch über Thomas Bernhard geschrieben - mit glänzenden und noch mehr leeren, weil bloß buchstabengefüllten Seiten.

Wieland Schmied/Erika Schmied: "Thomas Bernhards Welt. Schauplätze seiner Jugend". Mit einem Essay und hundert Photographien. Residenz Verlag, Salzburg 1999. 138 S., geb., 93,- DM

Rudolf Brändle: "Zeugenfreundschaft. Erinnerungen an Thomas Bernhard". Residenz Verlag, Salzburg 1999. 132 S., geb., 36,80 DM.

Alfred Pfabigan: "Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment". Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999. 440 S., geb., 58,- DM.

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