Richard is a modern day everyman; a middle-aged divorcee trading stocks out of his home. He has done such a good job getting his life under control that he needs no one. His life has slowed almost to a standstill, until two incidents conspire to hurl him back into the world. This story is set in Los Angeles
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007In den Donuts liegt die Hoffnung
A. M. Homes’ „Dieses Buch wird Ihr Leben retten”
Die New Yorker Schriftstellerin A. M. Homes hat bisher Erzählungen und Romane geschrieben, die von Sexualstraftätern, verschiedenen Spielformen menschlicher Perversion und grundsätzlich vom Abgründigen handelten. Angesichts der Wiedererkennbarkeit ihrer Sujets ist ihr neuestes Buch ein echter Bruch, ein literarischer Akt im Glauben an die Umarmbarkeit der Welt. Wie in einem Kinderbuch ist ein Eckchen aus der Welt herausgeschnitten, und das Böse, nur selten lugt es doch einmal hervor. In Homes’ Roman „Dieses Buch wird Ihr Leben retten” geht es sonderbar zu, aber die Utopie allumfassender Harmonie ist immer da. Ihre Verwirklichung ist eine Frage der Anstrengung, wobei die Anstrengung darin besteht, eine gewisse Lockerheit zu erlernen.
Der Lernende ist Richard Novak, fünfundfünfzig Jahre alt, mit Aktien reich geworden. Allein lebt er in einem stilvollen, mit wertvollen Gemälden vollgehängten Haus über Los Angeles, das er niemals verlässt. Seine Börsengeschäfte tätigt er, während er auf einer Trainingsmaschine joggt. Er hat eine Ernährungsberaterin, eine Haushälterin, eine Fitnesstrainerin und eine Masseuse, aber keine Freunde. Von seiner Frau lebt er getrennt, mit seinem siebzehnjährigen Sohn Ben spricht er so gut wie nie. Richard Novak ist ein Schreckbild des amerikanischen Traums von Unabhängigkeit. Seine Unabhängigkeit ist absurd und sie ist illusorisch. Er lebt in einer von Spezialisten verwalteten Welt, in der jeder Handgriff eine ausgepreiste Serviceleistung ist, in der ihm die Verantwortung abgenommen wird und ihm nach und nach die Fähigkeit abhanden kommt, sich allein im Alltag zurechtzufinden.
Doch so unauffällig geht die Geschichte nicht vonstatten. Denn wie der Titel schon andeutet, erzählt Homes eine Erbauungsgeschichte – auch wenn sie dem Roman das Gewand einer schwarzen Komödie übergestreift hat. Eines Tages suchen Richard starke Herzschmerzen heim. Ein Infarkt? Alles psychosomatisch? Panik, wovor? In der Klinik untersucht man ihn genau, entlässt ihn aber ohne Diagnose. Richard Novak konsultiert einen Spezialarzt. Der sagt: „Sie sind sterblich, Sie sind gescheitert, Sie sind nicht der Mensch, der Sie werden wollten, Ihre Mutter liebt sie nicht, Ihr Vater weiß nicht, wer Sie sind. Jeder hat es besser als Sie.” Der Tiefpunkt ist erreicht und der Weg vorgezeichnet für die Wiederbelebung des untoten Richard Novak. Die Geschichte ist nicht neu, und sie ist auf dem Stand zeitgenössischen Erzählens. Die Story „Emotionsloses Ekel mausert sich zu prima Kerl und krempelt sein Leben um” gibt es in zahllosen Büchern zu lesen und im Kino alle Monate zu sehen, zuletzt in dem Film „Stranger than Fiction”.
„Dieses Buch wird Ihr Leben retten” zeigt, dass auch für Geschichten, die vom Ausbruch aus dem Klischee handeln, literarische und filmische Klischees bereitstehen. Wie im genannten Film wird Homes’ Held aus der Routine gerüttelt, indem sein Haus demoliert wird. Und dies auf metaphorisch aufgeladene Art: Es droht in einem Loch zu versinken, das sich vor dem Fenster bildet und immer größer wird. Und wie der Held des Films bekommt Richard in einem Cookie-und-Donut-Laden den entscheidenden Impuls zur Änderung seiner Lebensweise. Cookies und Donuts sind amerikanisches Biedermeier. Wer sie backt, tut niemandem weh, trifft keine falschen Entscheidungen, führt keine Kriege, bleibt zu Hause und bereitet anderen eine Freude. Fast scheint es, als dienten all die Cookies und Donuts, die in letzter Zeit in Büchern und Filmen auftauchen, einigen US-Schriftstellern und Filmemachern als Sinnbilder der Emigration ins Innere und Häusliche, die sie nach der Wiederwahl von George W. Bush angetreten haben.
Ob das für Homes gilt, ist dabei gar nicht sicher. Sie ist eine doppelbödig erzählende Autorin, bei der man nicht immer weiß, ob sie parodiert. Man liest den Roman einerseits angetan vom Charme der rücksichtslosen Übertreibung, andererseits voll Unwillen gegen kitschige Szenen. Richards Herzweh ist nur eine Vorschau auf die Merkwürdigkeiten, die über den Helden hereinbrechen. Mülltonnen brennen ohne ersichtlichen Grund, das Fernsehen berichtet von prähistorischen Säbelzahntigern, die in der Gegend herumstreunen, auf einmal steht ein Pferd im Loch vor Richards Haus. Ein benachbarter Action-Schauspieler befreit das Tier mit einem Helikopter und entpuppt sich privat als Hausmann, der keinen Fernseher besitzt und liest, wenn er nicht kocht oder im Studio ist. Innerhalb weniger Tage macht Richard mehr Bekanntschaften als in den vergangenen Jahren zusammengenommen. Beim Einkaufen trifft er eine hübsche, psychisch angeschlagene Hausfrau, die er bei sich aufnimmt, als sie Mann und Kinder verlässt.
Der radebrechende Einwanderer Anhil führt den so wichtigen Donut-Laden und erteilt seinem Kunden Ratschläge zur Erneuerung seines Lebens, die besser wirken als das von Dr. Lusardi empfohlene einwöchige Schweige-Seminar bei dem Guru Joseph. Schließlich rettet Richard ein entführtes Mädchen aus einem Kofferraum und stellt den Täter; das Fernsehen zeigt die Heldentat in Endlosschleife. Richard ist wie ausgewechselt, kein Wunder, greift ihm Homes doch mit Gelegenheiten kräftig unter die Arme. So gelingt es ihm sogar, zu seinem vernachlässigten Sohn Ben wieder Kontakt aufzunehmen, der mit einem Freund durch Amerika fährt und unterwegs seinen Vater in L.A. besuchen soll. Ein Showdown der Empathie.
So ironisch der Titel gebrochen sein mag, so wenig kann das den missionarischen Antrieb des Buchs verdecken. Gegen Sport, gegen Medizin, gegen Individualismus, gegen Amerika, gegen Einkaufsexzesse, gegen gesunde, schlecht schmeckende Ernährung – dieses Buch ist gegen vieles, um Ihr Leben zu retten. Aber kann es gegen das Fernsehen sein? Man merkt ihm an, dass die Autorin auch fürs Fernsehen schreibt. Schmucklos wie Anweisungen in einem Drehbuch sind die Sätze, hart die Schnitte zwischen den Szenen. Der Humor kommt oft direkt von der Mattscheibe. Die Verfilmung des Buchs ist tatsächlich in Vorbereitung, und man überlegt zumindest einen Moment, ob man sich darüber freuen soll. KAI WIEGANDT
A. M. Homes
Dieses Buch wird Ihr Leben retten
Roman. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007. 446 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
A. M. Homes’ „Dieses Buch wird Ihr Leben retten”
Die New Yorker Schriftstellerin A. M. Homes hat bisher Erzählungen und Romane geschrieben, die von Sexualstraftätern, verschiedenen Spielformen menschlicher Perversion und grundsätzlich vom Abgründigen handelten. Angesichts der Wiedererkennbarkeit ihrer Sujets ist ihr neuestes Buch ein echter Bruch, ein literarischer Akt im Glauben an die Umarmbarkeit der Welt. Wie in einem Kinderbuch ist ein Eckchen aus der Welt herausgeschnitten, und das Böse, nur selten lugt es doch einmal hervor. In Homes’ Roman „Dieses Buch wird Ihr Leben retten” geht es sonderbar zu, aber die Utopie allumfassender Harmonie ist immer da. Ihre Verwirklichung ist eine Frage der Anstrengung, wobei die Anstrengung darin besteht, eine gewisse Lockerheit zu erlernen.
Der Lernende ist Richard Novak, fünfundfünfzig Jahre alt, mit Aktien reich geworden. Allein lebt er in einem stilvollen, mit wertvollen Gemälden vollgehängten Haus über Los Angeles, das er niemals verlässt. Seine Börsengeschäfte tätigt er, während er auf einer Trainingsmaschine joggt. Er hat eine Ernährungsberaterin, eine Haushälterin, eine Fitnesstrainerin und eine Masseuse, aber keine Freunde. Von seiner Frau lebt er getrennt, mit seinem siebzehnjährigen Sohn Ben spricht er so gut wie nie. Richard Novak ist ein Schreckbild des amerikanischen Traums von Unabhängigkeit. Seine Unabhängigkeit ist absurd und sie ist illusorisch. Er lebt in einer von Spezialisten verwalteten Welt, in der jeder Handgriff eine ausgepreiste Serviceleistung ist, in der ihm die Verantwortung abgenommen wird und ihm nach und nach die Fähigkeit abhanden kommt, sich allein im Alltag zurechtzufinden.
Doch so unauffällig geht die Geschichte nicht vonstatten. Denn wie der Titel schon andeutet, erzählt Homes eine Erbauungsgeschichte – auch wenn sie dem Roman das Gewand einer schwarzen Komödie übergestreift hat. Eines Tages suchen Richard starke Herzschmerzen heim. Ein Infarkt? Alles psychosomatisch? Panik, wovor? In der Klinik untersucht man ihn genau, entlässt ihn aber ohne Diagnose. Richard Novak konsultiert einen Spezialarzt. Der sagt: „Sie sind sterblich, Sie sind gescheitert, Sie sind nicht der Mensch, der Sie werden wollten, Ihre Mutter liebt sie nicht, Ihr Vater weiß nicht, wer Sie sind. Jeder hat es besser als Sie.” Der Tiefpunkt ist erreicht und der Weg vorgezeichnet für die Wiederbelebung des untoten Richard Novak. Die Geschichte ist nicht neu, und sie ist auf dem Stand zeitgenössischen Erzählens. Die Story „Emotionsloses Ekel mausert sich zu prima Kerl und krempelt sein Leben um” gibt es in zahllosen Büchern zu lesen und im Kino alle Monate zu sehen, zuletzt in dem Film „Stranger than Fiction”.
„Dieses Buch wird Ihr Leben retten” zeigt, dass auch für Geschichten, die vom Ausbruch aus dem Klischee handeln, literarische und filmische Klischees bereitstehen. Wie im genannten Film wird Homes’ Held aus der Routine gerüttelt, indem sein Haus demoliert wird. Und dies auf metaphorisch aufgeladene Art: Es droht in einem Loch zu versinken, das sich vor dem Fenster bildet und immer größer wird. Und wie der Held des Films bekommt Richard in einem Cookie-und-Donut-Laden den entscheidenden Impuls zur Änderung seiner Lebensweise. Cookies und Donuts sind amerikanisches Biedermeier. Wer sie backt, tut niemandem weh, trifft keine falschen Entscheidungen, führt keine Kriege, bleibt zu Hause und bereitet anderen eine Freude. Fast scheint es, als dienten all die Cookies und Donuts, die in letzter Zeit in Büchern und Filmen auftauchen, einigen US-Schriftstellern und Filmemachern als Sinnbilder der Emigration ins Innere und Häusliche, die sie nach der Wiederwahl von George W. Bush angetreten haben.
Ob das für Homes gilt, ist dabei gar nicht sicher. Sie ist eine doppelbödig erzählende Autorin, bei der man nicht immer weiß, ob sie parodiert. Man liest den Roman einerseits angetan vom Charme der rücksichtslosen Übertreibung, andererseits voll Unwillen gegen kitschige Szenen. Richards Herzweh ist nur eine Vorschau auf die Merkwürdigkeiten, die über den Helden hereinbrechen. Mülltonnen brennen ohne ersichtlichen Grund, das Fernsehen berichtet von prähistorischen Säbelzahntigern, die in der Gegend herumstreunen, auf einmal steht ein Pferd im Loch vor Richards Haus. Ein benachbarter Action-Schauspieler befreit das Tier mit einem Helikopter und entpuppt sich privat als Hausmann, der keinen Fernseher besitzt und liest, wenn er nicht kocht oder im Studio ist. Innerhalb weniger Tage macht Richard mehr Bekanntschaften als in den vergangenen Jahren zusammengenommen. Beim Einkaufen trifft er eine hübsche, psychisch angeschlagene Hausfrau, die er bei sich aufnimmt, als sie Mann und Kinder verlässt.
Der radebrechende Einwanderer Anhil führt den so wichtigen Donut-Laden und erteilt seinem Kunden Ratschläge zur Erneuerung seines Lebens, die besser wirken als das von Dr. Lusardi empfohlene einwöchige Schweige-Seminar bei dem Guru Joseph. Schließlich rettet Richard ein entführtes Mädchen aus einem Kofferraum und stellt den Täter; das Fernsehen zeigt die Heldentat in Endlosschleife. Richard ist wie ausgewechselt, kein Wunder, greift ihm Homes doch mit Gelegenheiten kräftig unter die Arme. So gelingt es ihm sogar, zu seinem vernachlässigten Sohn Ben wieder Kontakt aufzunehmen, der mit einem Freund durch Amerika fährt und unterwegs seinen Vater in L.A. besuchen soll. Ein Showdown der Empathie.
So ironisch der Titel gebrochen sein mag, so wenig kann das den missionarischen Antrieb des Buchs verdecken. Gegen Sport, gegen Medizin, gegen Individualismus, gegen Amerika, gegen Einkaufsexzesse, gegen gesunde, schlecht schmeckende Ernährung – dieses Buch ist gegen vieles, um Ihr Leben zu retten. Aber kann es gegen das Fernsehen sein? Man merkt ihm an, dass die Autorin auch fürs Fernsehen schreibt. Schmucklos wie Anweisungen in einem Drehbuch sind die Sätze, hart die Schnitte zwischen den Szenen. Der Humor kommt oft direkt von der Mattscheibe. Die Verfilmung des Buchs ist tatsächlich in Vorbereitung, und man überlegt zumindest einen Moment, ob man sich darüber freuen soll. KAI WIEGANDT
A. M. Homes
Dieses Buch wird Ihr Leben retten
Roman. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2007. 446 Seiten, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2007Pflaster für die Schmerzen des Alltags
"Dieses Buch wird Ihr Leben retten", verspricht ein neuer Roman, den man daraufhin natürlich sofort lesen will. Prompt geschehen seltsame Dinge: Ein Erfahrungsbericht nach überlebter Lektüre.
Von Edo Reents
Woody Allen sagt in einem Film, dass es verschiedene Gründe gibt, um derentwillen es sich zu leben lohnt, darunter Flauberts "Erziehung des Herzens". Die tröstende oder lebenserhaltende Wirkung von Kunst ist deren schlechteste nicht. Damit könnte sich eigentlich jedes gute Buch zufriedengeben. Flaubert hätte, wenn Woody Allen recht hat - wofür einiges spricht -, auf seinen Roman genauso gut draufschreiben können: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten". Er hat es nicht getan, aber die "Erziehung des Herzens" wurde auch so ein Erfolg.
Den strebt auch der Verlag Kiepenheuer & Witsch an mit einem Roman, der genauso heißt: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten". Also nicht: Dieses Buch wird Ihr Leben bereichern (was ja auch schon ein Erfolg wäre) oder: Dieses Buch wird aus Ihnen einen glücklicheren Menschen machen (was, auf die Dauer, schon unwahrscheinlicher ist) oder (was wohl auf die meisten zutrifft): Dieses Buch wird Ihnen Lebenszeit stehlen. Nein: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten" - drunter macht es die Autorin A. M. Homes nicht. Unwillkürlich denkt man an die alten, klobigen Feuermelder, die früher an Wänden hingen: "Nicht mutwillig zerstören, dieses Gerät könnte Leben retten." Also her mit dem Ding und mal durchgelesen! Und, was soll ich sagen: Ich denke jetzt noch mehr über Krankheiten nach als ohnehin schon und habe erste Konsequenzen gezogen: nur noch höchstens einmal am Tag zu McDonald's.
Bei Homes' im amerikanischen Herkunftsland bereits außergewöhnlich vielverkauftem Werk handelt es sich um eine Art Gesundheitsbuch, das der vom Verlag angezeigten Gattung "Roman" dennoch gehorcht. Die Handlung erinnert an so typisch-klamottige Achtziger-Jahre-Filme wie "Zoff in Beverly Hills" mit Richard Dreyfuss, Nick Nolte und Bette Middler (womit weder gegen das Buch noch gegen den Film etwas gesagt sein soll) und ist schnell erzählt: Richard Novak, ein reicher Mittfünfziger, lebt in einem schönen Haus in Los Angeles. Die viele freie Zeit, die er hat, verbringt er mit Terminen bei seiner Ernährungsberaterin und seiner Fitnesstrainerin, aber wenn ihm jemand einen schönen Tag wünscht, zuckt er zusammen. Seine Frau und den gemeinsamen Sohn Ben hat er vor Jahren ohne nähere Begründung verlassen; die beiden leben in New York und reagieren entsprechend frostig, wenn er mal anruft.
Eines Tages beziehungsweise schon ganz am Anfang des Romans bekommt Richard heftige Schmerzen in Brust und Rücken, sucht eine Klinik auf, wird ohne verlässliche Diagnose entlassen und lernt den Donut-Verkäufer Anhil kennen, einen Lebenskünstler, der ihn genauso auf andere Gedanken bringt wie das merkwürdige Erdloch hinter seinem Haus, das noch eine tragende beziehungsweise - da das Haus am Ende einstürzt- überhaupt nicht tragende Rolle spielen wird. Des Weiteren kommen vor: Nic, ein untergetauchter Erfolgsschriftsteller, der so vor sich hin gammelt, aber noch einen Roman in der Schublade hat; ein Filmstar namens Tad Ford; Cynthia, die Richard aus ihrer Familienhölle rettet; dazu die eine oder andere verkrachte Existenz.
Nun ist es so, dass die Sorgen eines Mannes, der nicht weiß, wohin mit sich und seinem Geld, nicht jedermanns Sorgen sind. Insofern wäre der Buchtitel schon mal etwas gewagt. Als McDonald's-Esser muss ich auch sagen, dass mich der leitmotivische Einsatz von Donuts etwas stört, ich aber die Kritik an den Absurdidäten unserer Existenz, auf die es das Buch vor allem abgesehen hat, sehr überzeugend finde - überzeugend deswegen, weil wir ja alle viel zu viele Wahlmöglichkeiten in Sachen Konsum und Komfort haben, die dazu führen, dass unser ganzes schönes Dienstleistungssystem lahmgelegt wird. Es vergeht praktisch kein Tag, an dem ich bei McDonald's, bei Karstadt, beim Frisör oder der Bahnauskunft nicht nach Dingen gefragt werde, von denen ich, mittlerweise doch etwas gewitzt durch die ewige Nachfragerei, schon vorher deutlich gesagt habe, dass ich sie nicht haben will: also nicht den McChicken als Menü, sondern einfach so; nicht die Kundenkarte zum Sammeln von Bonuspunkten, sondern einfach nur etwas bezahlen; nichts zu trinken, sondern einfach nur eine ordentliche Haarfrisur; und nicht eine Fahrkarte von hier nach da, sondern nur eine Fahrplanauskunft.
Im Buch geht das so: Richard bestellt in einer Bar einen Wodka Martini. Der Keeper fragt: "trocken, dirty, mit Zitronenzeste, Olive, Perlzwiebel, pikant gefülltem Champignon?" Es liegt auf der Hand, dass man darüber sofort verzweifelt wird. Richard sagt: "Pur. Pur und rein, ohne dass was drin herumschwimmt." Der Keeper lässt nicht locker: "Und welchen Wodka?" Richard streckt die Waffen: "Sie entscheiden. Was Sie selbst trinken würden." Wieviel Lebenszeit mag mit dergleichen wohl vergeudet werden? Für den Einzelnen doch sicher so viel, wie man braucht, um ein so dickes Buch wie dieses zu lesen oder sogar zu schreiben. Aber so geht das laufend, "fast wia im richtigen Leben", um es mit Gerhard Polt zu sagen. Betritt Richard eine Arztpraxis (mit stechenden Schmerzen in der Brust!), so wird er als erstes gefragt, ob er einen Parkbon für sein Auto hat.
So was ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders, und es ehrt A. M. Homes, dass sie das genau so sieht, aber dabei nicht ins Moralisieren verfällt. Ihre Kritik an der Idiotie des Daseins macht uns klar, dass es sich dabei um strukturelle Probleme handelt, die mit etwas Nachdenken schon zu lösen wären. Das Romanpersonal neigt der Ansicht zu, dass es sich um Dekadenzerscheinungen handelt. Ich persönlich vermute, dass die Marktforschung mit ihren dauernden Umfragen schuld an allem ist.
Eines ist klar: Wer heute lebt, muss sich viel Unsinn bieten lassen, und zwar von Leuten, die das weniger aus böser Absicht tun als vielmehr aus Gedankenlosigkeit oder auch aus dem an sich ja rührenden Bedürfnis, es allen immer recht machen zu wollen oder zu müssen, weil andernfalls die Firma weniger verdient oder was weiß ich. Daraus folgt, dass man eigentlich auf niemanden persönlich böse sein darf. Man muss, wie Richard in einem Schweigeseminar erfährt, das Unbehagen tolerieren. Das ist auf die Dauer natürlich schwierig. Man wird neurotisch davon, wie die Frau im Roman, die von ihrer an Krebs gestorbenen Tante einen grünen Ford geerbt hat und eine Zeitlang Angst hat, sie könne sich übers Auto angesteckt haben. Man liest oder hört im Zusammenhang mit Neurosen ja oft, diese seien irgendwie "liebenswert"; aber hier hört der Spaß auf. Danken wir A. M. Homes dafür, dass sie ihn gar nicht erst mitmacht.
Ich weiß nicht, wie es anderen Lesern mit dem Buch ergeht, aber mein Leben hat es nicht gerettet, auch nicht zwischendurch. Es hat allerdings eine positive Veränderung bewirkt: Ich versuche jetzt, jeden Tag einen Apfel zu essen. Außerdem hat es mir gezeigt, dass wir sterblich sind, aber das wusste ich schon vorher, wie ich überhaupt sagen muss, dass mein Weltbild einigermaßen gefestigt ist. Das Buch hat mich auch nicht gelassener gemacht; ich werde McDonald's, Karstadt, mein Frisörgeschäft und die Bahn weiterhin scharf im Auge behalten, bereit, bei der nächsten Idiotie wieder kollerig zu werden. Aber - und das ist doch auch etwas - das Buch hat mir stellenweise großen Spaß gemacht, unter anderem mit dem besten Bob-Dylan-Witz, den ich je gehört habe. Ich zitiere: "Richard schaut durch und sieht in Nics Wohnzimmer. ,Die Frau mit den krausen Haaren? Ich glaube, das ist eine Putzfrau.' ,Das ist keine Putzfrau, das ist Bob Dylan. Guck dir doch die Nase an.'" Falls Sie der Ansicht sind, man dürfe über so etwas nicht lachen, dann vergessen Sie's einfach.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Dieses Buch wird Ihr Leben retten", verspricht ein neuer Roman, den man daraufhin natürlich sofort lesen will. Prompt geschehen seltsame Dinge: Ein Erfahrungsbericht nach überlebter Lektüre.
Von Edo Reents
Woody Allen sagt in einem Film, dass es verschiedene Gründe gibt, um derentwillen es sich zu leben lohnt, darunter Flauberts "Erziehung des Herzens". Die tröstende oder lebenserhaltende Wirkung von Kunst ist deren schlechteste nicht. Damit könnte sich eigentlich jedes gute Buch zufriedengeben. Flaubert hätte, wenn Woody Allen recht hat - wofür einiges spricht -, auf seinen Roman genauso gut draufschreiben können: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten". Er hat es nicht getan, aber die "Erziehung des Herzens" wurde auch so ein Erfolg.
Den strebt auch der Verlag Kiepenheuer & Witsch an mit einem Roman, der genauso heißt: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten". Also nicht: Dieses Buch wird Ihr Leben bereichern (was ja auch schon ein Erfolg wäre) oder: Dieses Buch wird aus Ihnen einen glücklicheren Menschen machen (was, auf die Dauer, schon unwahrscheinlicher ist) oder (was wohl auf die meisten zutrifft): Dieses Buch wird Ihnen Lebenszeit stehlen. Nein: "Dieses Buch wird Ihr Leben retten" - drunter macht es die Autorin A. M. Homes nicht. Unwillkürlich denkt man an die alten, klobigen Feuermelder, die früher an Wänden hingen: "Nicht mutwillig zerstören, dieses Gerät könnte Leben retten." Also her mit dem Ding und mal durchgelesen! Und, was soll ich sagen: Ich denke jetzt noch mehr über Krankheiten nach als ohnehin schon und habe erste Konsequenzen gezogen: nur noch höchstens einmal am Tag zu McDonald's.
Bei Homes' im amerikanischen Herkunftsland bereits außergewöhnlich vielverkauftem Werk handelt es sich um eine Art Gesundheitsbuch, das der vom Verlag angezeigten Gattung "Roman" dennoch gehorcht. Die Handlung erinnert an so typisch-klamottige Achtziger-Jahre-Filme wie "Zoff in Beverly Hills" mit Richard Dreyfuss, Nick Nolte und Bette Middler (womit weder gegen das Buch noch gegen den Film etwas gesagt sein soll) und ist schnell erzählt: Richard Novak, ein reicher Mittfünfziger, lebt in einem schönen Haus in Los Angeles. Die viele freie Zeit, die er hat, verbringt er mit Terminen bei seiner Ernährungsberaterin und seiner Fitnesstrainerin, aber wenn ihm jemand einen schönen Tag wünscht, zuckt er zusammen. Seine Frau und den gemeinsamen Sohn Ben hat er vor Jahren ohne nähere Begründung verlassen; die beiden leben in New York und reagieren entsprechend frostig, wenn er mal anruft.
Eines Tages beziehungsweise schon ganz am Anfang des Romans bekommt Richard heftige Schmerzen in Brust und Rücken, sucht eine Klinik auf, wird ohne verlässliche Diagnose entlassen und lernt den Donut-Verkäufer Anhil kennen, einen Lebenskünstler, der ihn genauso auf andere Gedanken bringt wie das merkwürdige Erdloch hinter seinem Haus, das noch eine tragende beziehungsweise - da das Haus am Ende einstürzt- überhaupt nicht tragende Rolle spielen wird. Des Weiteren kommen vor: Nic, ein untergetauchter Erfolgsschriftsteller, der so vor sich hin gammelt, aber noch einen Roman in der Schublade hat; ein Filmstar namens Tad Ford; Cynthia, die Richard aus ihrer Familienhölle rettet; dazu die eine oder andere verkrachte Existenz.
Nun ist es so, dass die Sorgen eines Mannes, der nicht weiß, wohin mit sich und seinem Geld, nicht jedermanns Sorgen sind. Insofern wäre der Buchtitel schon mal etwas gewagt. Als McDonald's-Esser muss ich auch sagen, dass mich der leitmotivische Einsatz von Donuts etwas stört, ich aber die Kritik an den Absurdidäten unserer Existenz, auf die es das Buch vor allem abgesehen hat, sehr überzeugend finde - überzeugend deswegen, weil wir ja alle viel zu viele Wahlmöglichkeiten in Sachen Konsum und Komfort haben, die dazu führen, dass unser ganzes schönes Dienstleistungssystem lahmgelegt wird. Es vergeht praktisch kein Tag, an dem ich bei McDonald's, bei Karstadt, beim Frisör oder der Bahnauskunft nicht nach Dingen gefragt werde, von denen ich, mittlerweise doch etwas gewitzt durch die ewige Nachfragerei, schon vorher deutlich gesagt habe, dass ich sie nicht haben will: also nicht den McChicken als Menü, sondern einfach so; nicht die Kundenkarte zum Sammeln von Bonuspunkten, sondern einfach nur etwas bezahlen; nichts zu trinken, sondern einfach nur eine ordentliche Haarfrisur; und nicht eine Fahrkarte von hier nach da, sondern nur eine Fahrplanauskunft.
Im Buch geht das so: Richard bestellt in einer Bar einen Wodka Martini. Der Keeper fragt: "trocken, dirty, mit Zitronenzeste, Olive, Perlzwiebel, pikant gefülltem Champignon?" Es liegt auf der Hand, dass man darüber sofort verzweifelt wird. Richard sagt: "Pur. Pur und rein, ohne dass was drin herumschwimmt." Der Keeper lässt nicht locker: "Und welchen Wodka?" Richard streckt die Waffen: "Sie entscheiden. Was Sie selbst trinken würden." Wieviel Lebenszeit mag mit dergleichen wohl vergeudet werden? Für den Einzelnen doch sicher so viel, wie man braucht, um ein so dickes Buch wie dieses zu lesen oder sogar zu schreiben. Aber so geht das laufend, "fast wia im richtigen Leben", um es mit Gerhard Polt zu sagen. Betritt Richard eine Arztpraxis (mit stechenden Schmerzen in der Brust!), so wird er als erstes gefragt, ob er einen Parkbon für sein Auto hat.
So was ist natürlich nicht im Sinne des Erfinders, und es ehrt A. M. Homes, dass sie das genau so sieht, aber dabei nicht ins Moralisieren verfällt. Ihre Kritik an der Idiotie des Daseins macht uns klar, dass es sich dabei um strukturelle Probleme handelt, die mit etwas Nachdenken schon zu lösen wären. Das Romanpersonal neigt der Ansicht zu, dass es sich um Dekadenzerscheinungen handelt. Ich persönlich vermute, dass die Marktforschung mit ihren dauernden Umfragen schuld an allem ist.
Eines ist klar: Wer heute lebt, muss sich viel Unsinn bieten lassen, und zwar von Leuten, die das weniger aus böser Absicht tun als vielmehr aus Gedankenlosigkeit oder auch aus dem an sich ja rührenden Bedürfnis, es allen immer recht machen zu wollen oder zu müssen, weil andernfalls die Firma weniger verdient oder was weiß ich. Daraus folgt, dass man eigentlich auf niemanden persönlich böse sein darf. Man muss, wie Richard in einem Schweigeseminar erfährt, das Unbehagen tolerieren. Das ist auf die Dauer natürlich schwierig. Man wird neurotisch davon, wie die Frau im Roman, die von ihrer an Krebs gestorbenen Tante einen grünen Ford geerbt hat und eine Zeitlang Angst hat, sie könne sich übers Auto angesteckt haben. Man liest oder hört im Zusammenhang mit Neurosen ja oft, diese seien irgendwie "liebenswert"; aber hier hört der Spaß auf. Danken wir A. M. Homes dafür, dass sie ihn gar nicht erst mitmacht.
Ich weiß nicht, wie es anderen Lesern mit dem Buch ergeht, aber mein Leben hat es nicht gerettet, auch nicht zwischendurch. Es hat allerdings eine positive Veränderung bewirkt: Ich versuche jetzt, jeden Tag einen Apfel zu essen. Außerdem hat es mir gezeigt, dass wir sterblich sind, aber das wusste ich schon vorher, wie ich überhaupt sagen muss, dass mein Weltbild einigermaßen gefestigt ist. Das Buch hat mich auch nicht gelassener gemacht; ich werde McDonald's, Karstadt, mein Frisörgeschäft und die Bahn weiterhin scharf im Auge behalten, bereit, bei der nächsten Idiotie wieder kollerig zu werden. Aber - und das ist doch auch etwas - das Buch hat mir stellenweise großen Spaß gemacht, unter anderem mit dem besten Bob-Dylan-Witz, den ich je gehört habe. Ich zitiere: "Richard schaut durch und sieht in Nics Wohnzimmer. ,Die Frau mit den krausen Haaren? Ich glaube, das ist eine Putzfrau.' ,Das ist keine Putzfrau, das ist Bob Dylan. Guck dir doch die Nase an.'" Falls Sie der Ansicht sind, man dürfe über so etwas nicht lachen, dann vergessen Sie's einfach.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main