Theresienstadt im Sommer 1944: Während sich die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg unaufhaltsam nähert, warten und hoffen die Gefangenen im Ghetto auf ihre Befreiung. Unter ihnen befindet sich der Dirigent Rafael Schächter.
Die Novelle "Theresienstädter Requiem" von Josef Bor erzählt
voller Empathie und Wut von den auf einer wahren Geschichte beruhenden Plänen Schächters, gegen alle…mehrTheresienstadt im Sommer 1944: Während sich die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg unaufhaltsam nähert, warten und hoffen die Gefangenen im Ghetto auf ihre Befreiung. Unter ihnen befindet sich der Dirigent Rafael Schächter.
Die Novelle "Theresienstädter Requiem" von Josef Bor erzählt voller Empathie und Wut von den auf einer wahren Geschichte beruhenden Plänen Schächters, gegen alle Widrigkeiten das Requiem von Giuseppe Verdi vor der SS in Theresienstadt aufzuführen.
Das Ghetto Theresienstadt war für mich als Jugendlicher die erste körperliche Begegnung mit dem Nationalsozialismus, als ich während eines Schüleraustauschs mit einer Prager Schule gemeinsam mit meinen MitschülerInnen Mitte der 90er-Jahre die Gedenkstätte besuchte. Es war für mich ein einschneidendes Erlebnis, die Gefängniszellen in der "Kleinen Festung" zu besichtigen, das grausame "Arbeit macht frei" zu lesen und später die zynischen Filmausschnitte der "Dokumentation" zu sehen. Der Besuch in Theresienstadt legte somit den Grundstein für mein gesteigertes Interesse an dieser furchtbarsten Zeit der Menschheitsgeschichte.
Umso gespannter war ich auf die Novelle, die jetzt vom Reclam Verlag eine angemessene Würdigung in Form einer eleganten, in hellblauem Leinen geprägten Neuübersetzung erhält. Autor Josef Bor wurde 1942 selbst nach Theresienstadt deportiert und verarbeitet in kraftvoll-verzweifelten Worten nicht nur den Tod seines Freundes Rafael Schächter, sondern auch die spätere Ermordung seiner ganzen Familie im KZ Auschwitz. Erstmals 1963 veröffentlicht, beweist die Neuauflage, dass es auch heutzutage wichtiger denn je ist, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Denn es sind gerade die immer weniger werdenden Zeitzeugen, die es in authentischer Weise schaffen, vom Grauen dieser Epoche berichten zu können.
In vielen Sätzen spürt man die Verzweiflung Bors, die Wut auf die Nationalsozialisten, die nicht als schnöde Rachegedanken präsentiert werden, sondern auf einem tiefen Gerechtigkeitsbewusstsein gründen. Ich litt mit Rafael Schächter auf seiner Suche nach SängerInnen, die nach Deportationen nach Auschwitz immer wieder von vorn beginnen musste. Ich bewunderte ihn für seine Ausdauer, sein Festhalten an den Plänen, Verdis Requiem trotz aller Widrigkeiten aufführen zu wollen. Und trotz aller Trauer und Todesangst blitzen auch immer wieder ein wenig Hoffnung und Kraft auf - die Kraft der Musik, die Hoffnung auf Befreiung.
Ihren Höhepunkt erreicht die Novelle dann auch im bewegenden Finale, in dem sich nicht nur die SängerInnen ihre Wut von der Seele singen, sondern auch Josef Bor in einen literarischen Rausch gerät, der mich bewegt und fassungslos zurückließ.
Aufgewertet wird die Reclam-Ausgabe des "Theresienstädter Requiems" durch ein in meinen Augen unverzichtbares Nachwort des Historikers Wolfgang Benz. Benz zeigt die historischen Fakten auf, erklärt, was bei Bor reine Fiktion ist, ohne die Empathie für den Autor und sein Werk zu verlieren.
Fazit: Mit der Neuübersetzung des "Theresienstädter Requiems" hat der Reclam Verlag einen wichtigen Beitrag gegen die Vergessenskultur veröffentlicht und gleichzeitig dem 1979 verstorbenen Josef Bor ein würdiges und empathisches Denkmal gebaut.