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Das Nietzsche-MemorandumIch bestimme dieses Buch für lange, langsame Meditationen.Die übliche Lektüre ist eher ein Mittel, die Konsequenzen zu vertagen, zu vermeiden. "Wer den Leser kennt", sagte Nietzsche, "der tuth Nichts mehr für den Leser." Ich habe diese Texte für den gesammelt, der DIE KONSEQUENZEN ZU ZIEHEN SUCHT. (...)Ich denke, dass kein Buch es mehr verdient hat, meditiert zu werden- meditiert, endlos durchgekäut. Keine Meditation, die konsequenzreicher ist.

Produktbeschreibung
Das Nietzsche-MemorandumIch bestimme dieses Buch für lange, langsame Meditationen.Die übliche Lektüre ist eher ein Mittel, die Konsequenzen zu vertagen, zu vermeiden. "Wer den Leser kennt", sagte Nietzsche, "der tuth Nichts mehr für den Leser." Ich habe diese Texte für den gesammelt, der DIE KONSEQUENZEN ZU ZIEHEN SUCHT. (...)Ich denke, dass kein Buch es mehr verdient hat, meditiert zu werden- meditiert, endlos durchgekäut. Keine Meditation, die konsequenzreicher ist.
Autorenporträt
 Georges Bataille, 1897 in Billom, Puy-de-Dôme geboren, war von 1922 bis 1942 als Bibliothekar an der Bibliothèque nationale tätig, in der er Walter Benjamins Manuskripte versteckte und so vor der Vernichtung rettete. Von Nietzsche und Sade, aber auch von Kojèves Hegel beeinflusst, verfasste er ein in seiner Bandbreite einmaliges Werk. Er starb 1962 in Paris. Ein großer Teil seines Werks ist bei Matthes & Seitz Berlin erschienen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Sisyphos im Pelz
Liegt die Religion im Exzeß? Georges Bataille litt für uns alle / Von Caroline Neubaur

Zur Feier von Batailles hundertstem

Geburtstag ist in der deutschen Werk-

ausgabe seine "Theorie der Religion" erschienen. 1948 geschrieben und dann liegengelassen, wurde das Werk auf französisch erstmals 1974 postum herausgegeben. Um den Band zu komplettieren, hat der deutsche Verlag einige Vorträge und Aufsätze zum Thema hinzugenommen. Der Autor der "Theorie der Religion" ist selbst eine religiöse Figur dieses Jahrhunderts, Stifter eines zeitgenössischen Glaubens, an dem sich die Geister schieden. Breton beschimpfte ihn als "überfaschistisch" und lehnte seinen "Materialismus" ab. Seine Verbindung radikaler Subjektivität mit Wissenschaftsgläubigkeit bedachte Sartre in seinem polemischen Aufsatz "Ein neuer Mystiker" mit scharfer Kritik. Und Philippe Sollers schließlich meinte, Bataille sei für Philosophen genauso - wenngleich auf andere Weise - unerträglich, wie es Lenin gewesen sei. Philosophen seien nie betrunken und teilten ihre sexuellen Praktiken nicht in der ersten Person mit. Bataille brauchte beides: das System und den Exzeß.

So außergewöhnlich ist dieses Programm allerdings nicht. Den Dschungel zu verwissenschaftlichen, war ein nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich und Deutschland eifrig betriebenes Bewältigungsgeschäft. Das Heilige, ein Stützpfeiler Bataillescher Gesellschaftstheorie, ist zunächst der Begrifflichkeit der französischen Religionssoziologie der Durkheim-Schule verpflichtet. Selbstverständlich hat Bataille aus Marcel Mauss' Essay "Über die Gabe" für seine Theorie der Verausgabung geschöpft.

Er war ein Philosoph der Obsession. Und weil man seine eigene Obsession spürt, nimmt man ihm gewisse Überspanntheiten nicht weiter übel. Bei Bataille macht alles, wie es bei Obsessiven ja häufig zu sein pflegt, einen unschuldigen Eindruck; ihm haften eine fast demütige Ruhe und eine gewisse Betulichkeit an. Bernd Mattheus dokumentiert in seiner "Thanatographie" den Bericht über eine monatlich stattfindende Mischung von Initiation und Schwarzer Messe, die bei Neumond in einem Wald in der Nähe von Paris zelebriert wurde. Beim letzten Zeremoniell dieser Art bat Bataille die Gefährten feierlich, "so freundlich zu sein, ihn zu töten, damit dieses Opfer, das den Mythos begründet, das Überleben der Gemeinschaft sichern möge". Was hätte er wohl gesagt, wenn die Freunde seine Bitte erhört hätten?

Die Kritik an der "Theorie der Religion" ist heutzutage kein Kunststück. Der narzißtische Ansatz war ein Rückgriff auf die romantische Bewußtseinsphilosophie im Zeitalter von Faschismus und Kommunismus. In einem ungelenken geschichtsphilosophischen System entwickelt Bataille als Miniatur-Hegel einen negativen Cartesianismus: Es geht nicht darum, das Bewußtsein abzuschaffen, sondern es bis zum bitteren Ende zu vollenden. Der Gestus erinnert an Heidegger. Wir müssen das Schicksal der abendländischen Seinsvergessenheit vollenden, und dann mag es sein, daß ein Gott sich unser erbarmt, oder, wie Bataille sagen würde, erst dann entsteht Raum für die Wiederherstellung der Immanenz oder der Intimität.

Die Intimität ist das Unsagbare, die Vereinigung ohne verdinglichendes Dazwischen und die Einschaltung von Transzendenzen: nur in Gewaltausbrüchen, sexuellen und Opferexzessen lebt sie auf. Man könnte sie vielleicht am besten mit "Selbstgefühl" übersetzen. Nicht auf das Objekt als Begrenzung des Selbstgefühls, sondern auf das unendliche Selbstgefühl selbst kommt es Bataille an, das ist sein Programm eines nicht individuellen, sondern kollektiven Narzißmus.

Faschismus und Kommunismus hatten in Batailles Optik gemeinsam, daß sie beide auf trostlose Weise an der Vervollkommnung der realen Ordnung arbeiteten. Da half nur der Rückgriff auf die Romantik. Batailles Position ist defensiv, dabei aber doch achtenswert, weil er bestrebt war, als Künstler einen Standpunkt zu finden, der alle Totalisierungen hinter sich ließ. Der Versuch, seine "Religion der Weltimmanenz" als millenaristisches Programm in die New-Age-Kosmologie und das kommende Wassermann-Zeitalter einzuordnen, wie Gerd Bergfleth es in seinem Nachwort tut, ist völlig verfehlt, schon weil Bataille lange nicht so trunken vom Archaischen war, wie Bergfleth annimmt.

"Die Theorie der Religion" trägt eine anthropologische, keine soziologische Kapitalismuskritik und Bewußtseinslehre vor. Bataille, ein Freund und Praktikant der Psychoanalyse, ignorierte Freuds Einsicht, daß das Bewußtsein aus den ersten Objektbeziehungen entsteht. Für Bataille fiel es noch immer wie für Kant metaphysisch vom Himmel. Auch das Tier kommt sonderbarerweise nicht als Trieb-, sondern als Bewußtseinswesen vor. Es lebt immer in demselben Bewußtseinszustand - zugleich hat es gar kein Bewußtsein, und weil es keines hat, lebt es in der Intimität.

Dieses Paradoxon muß poetisch umschrieben werden, und weil der ganze Ansatz so fragil ist, ist es kein Wunder, daß Bataille immer wieder in kitschige Bilder rutscht. Was ein Tier ist, scheint ihm ohnehin nicht ganz klar zu sein. Am ehesten ist es wohl der Büffel in der Höhle von Lascaux. "Das Tier", schreibt er, "ist in der Welt wie das Wasser im Wasser": Es habe kein Objekt, sei souverän. Fressendes und gefressenes Tier befinden sich für Bataille in der Immanenz. Hat er nie gesehen, welche unglaubliche Angst Tiere entwickeln? Was für das Animalische gilt, trifft auch auf das Archaische zu: Man hat den Eindruck, daß ihm, wie eigentlich immer bei seinen exzessiven Figuren, die Kehrseite der Medaille entgeht.

Den besten Gebrauch wird von der Theorie der Religion machen, wer sie als Zeitsymptom entziffert. Wenn dies geschehen ist, bleibt ein kleiner "prophetischer" Überschuß. Anders als Mircea Eliade, der Apostel der Naturreligion, ist Bataille nicht dem ursprungsmythischen Denken verhaftet. Daß er kein professioneller Religionswissenschaftler war, gab ihm die Möglichkeit, von einem Geisterfeuer aus zu denken, dessen Widerschein religiöse Phänomene in einem anderen Licht erscheinen ließ als die raffiniert konstruierten Formen von Durkheims Soziologie.

Das Opfer in der christlichen Religion bedeutet für Bataille so etwas wie den Kuchen essen und ihn zugleich behalten wollen: Im Opfer manifestiert sich das Streben nach Transzendenz und größter Intimität zugleich. Viele seiner Denkanstrengungen und Funde lassen sich nicht ohne weiteres in sein System pressen, aber Bataille hat sich sowieso nie darum gekümmert, ob die ununterbrochene Theoriebildung, die sein Werk darstellt, kohärent oder konsistent sei, die jeweiligen Theoriebildungen mußten nur in der Stimmung zusammenpassen. Hinter einem solchen Verfahren steckt in der Regel eine ausgesparte mystisch sexuelle Erfahrung, die man immer zu beschwören sucht und nie ganz aussprechen kann.

Nach Bergfleth ist das "postreligiöse Selbstbewußtsein dazu berufen, die Essenz des Religiösen wiederzufinden". Aber es ist wohl eher so, daß das Scheitern Bataille mit einer Aureole umgibt. Er imponiert als ein seelenvoller Sisyphos, der es einfach nicht schafft, eine religiöse Form zu finden, und doch weiter und weiter experimentiert, gewissermaßen stellvertretend für uns alle, in der wohl richtigen Meinung, ohne religiöse Formen liefen alle gesteigerten Bedürfnisse, wilden Affekte und Exzesse leer.

Georges Bataille: "Theorie der Religion". Aus dem Französischen von Andreas Knop. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gerd Bergfleth. Verlag Matthes & Seitz, München 1997. 247 S., geb., 46,- DM.

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