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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.12.2012

Von neureichen Prassern
Wer sich in die Weihnachtseinkäufe stürzt und sich selbst und die anderen beobachtet, fragt sich manchmal, warum es vielen Menschen eigentlich so Freude macht, viel Geld für Schmuck, Smartphones, Düfte und sonstige Dinge des Konsums auszugeben. Und warum es eigentlich neue Dinge sein müssen, obwohl die alten doch noch einwandfrei funktionieren. Eine einleuchtende Erklärung dafür hat der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen 1899 beschrieben, der sich mit den Sitten und Gebräuchen seiner Zeit beschäftigt hat. Objekt seiner Neugier waren die neureichen Familien, die mit ihrem Geld prassten. Verhaltensweisen, die er bei ihnen beobachtete, beschrieb er als Phänomene des demonstrativen Konsums, demonstrativer Verschwendung und demonstrativer Muße. Geld an sich ist nicht sichtbar. Wer seinen Reichtum zur Schau tragen wolle, der müsse entsprechend sichtbar einkaufen.
  1899 veröffentlichte der Ökonom das Buch „The Theory of the Leisure Class“, was so viel wie „Die Theorie der müßigen Klasse“ bedeutet. Für die deutsche Erstausgabe des unterhaltsam geschriebenen Werkes hätte der Verlag Kiepenheuer & Witsch wohl keinen passenderen Zeitpunkt finden können als die Wirtschaftswunderzeit. 1958 kam es als „Theorie der feinen Leute“ in die Buchhandlungen.
  Schon der amerikanische Ökonom hatte beschrieben, dass sich der Geltungskonsum nicht auf die Neureichen beschränke. Veblen beobachtete es auch bei Kirchenvertretern, und heutzutage ist es selbst bei manchem grünen Konsumenten sichtbar, wenn er ein Auto mit Hybridantrieb kauft. Eben eines, das sich bereits reihenweise Hollywoodgrößen zugelegt haben. Heute gehören die Schauspieler zu der Elite, an der sich Konsumenten orientieren. Unser Aufwandsniveau werde von jener Klasse bestimmt, die im Hinblick auf das Prestige eine Stufe höher steht als wir selbst. So dass vor allem in einer Gesellschaft, in der die Klassen nicht durch besondere Schranken getrennt sind, alle Normen des Prestiges auf die Gewohnheiten der gesellschaftlichen und finanziell höchsten, „nämlich der reichen müßigen, Klasse zurückgeführt werden können“, schrieb Veblen, der sich als ein scharfsinniger Analytiker erwiesen hat. Falsch lag er indes mit Prognosen wie der, dass die Gewohnheit zu rasieren genauso überholt sein werde wie das Tragen von Perücken. Aber selbst die Gedankenspiele Veblens dazu sind eine geistreiche Lektüre.
CASPAR DOHMEN
Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische
Untersuchung der Institutionen.
Fischer. 382 Seiten. 11,95 Euro.

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