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In 1998, Chief Historian of the Foreign Office Gill Bennett was commissioned by Foreign Secretary Robin Cook to get to the bottom of a mystery that had haunted the Labour Party - and British politics more generally - for over seventy years. This is the story of what she discovered.

Produktbeschreibung
In 1998, Chief Historian of the Foreign Office Gill Bennett was commissioned by Foreign Secretary Robin Cook to get to the bottom of a mystery that had haunted the Labour Party - and British politics more generally - for over seventy years. This is the story of what she discovered.
Autorenporträt
Gill Bennett MA, OBE, FRHistS is an Associate Fellow of RUSI. She was Chief Historian of the Foreign Office from 1995-2005, and senior editor of its official history of British foreign policy, Documents on British Policy Overseas. As a historian in Whitehall for over forty years, she provided historical advice to twelve foreign secretaries under six prime ministers, from Edward Heath to Tony Blair. In 1998, in her role as Chief Historian of the Foreign Office, she was commissioned to write a report into the Zinoviev Letter affair for the Foreign Secretary, Robin Cook. A specialist in the history of secret intelligence, Gill published a ground-breaking biography, Churchill's Man of Mystery: Desmond Morton and the World of Intelligence (2006). Her most recent book, Six Moments of Crisis: Inside British Foreign Policy, was published by Oxford University Press in 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2019

Der Geist des Grigorij S.
Eine historische Geheimdienstgeschichte mit sehr aktuellen Bezügen

"Fake News" in Wahlkämpfen; das klingt einerseits vertraut - und nach einem Phänomen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart. Früher hieß so etwas aber ganz schlicht "Desinformation", und es gehört seit langem zum Standardrepertoire vieler Geheimdienste.

Die Beziehungen Großbritanniens zu Russland sind heute so schlecht wie seit langem nicht mehr. Der Vergiftungsfall Skripal ist das jüngste Beispiel für geheimdienstliche Operationen Moskaus. In Großbritannien ist das Thema Geheimdienst und Sowjetunion/Russland indes schon seit langem ein sehr spezielles Kapitel der Geschichte. Das britische Establishment erlebte im Kalten Krieg eine seiner schmerzlichsten emotionalen Niederlagen durch die Enttarnung der "Cambridge-Spione". Deren prominentester Vertreter, Kim Philby, hatte es bis zu einem leitenden Posten im britischen Auslandsgeheimdienst gebracht. Er leistete seinen Moskauer Auftraggebern unschätzbare Dienste. Und diese Auftraggeber handelten im Namen Josef Stalins, was im Rückblick den Seitenwechsel der Elite-Studenten für viele noch unfassbarer macht.

Umgekehrt galt Großbritannien den sowjetischen Führern in den Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution als größter und gefährlichster Gegner. Deshalb unternahmen sie große Anstrengungen zur Schwächung der britischen Weltmacht, sowohl im Königreich selbst als auch in den Kolonien. Besonders aktiv war in dieser Hinsicht die Kommunistische Internationale (Komintern), während sich die Regierung in Moskau darum bemühte, diplomatische Beziehungen zum großen Feind herzustellen. Eine offizielle diplomatische Vertretung der Sowjetunion in London hatte einen solchen Prestigewert, wie sie heute eine nordkoreanische in Washington hätte.

Auf dem Weg dazu hatte Moskau zu dem Zeitpunkt, von dem dieses Buch erzählt, einige Erfolge erzielt. In der Endphase des Wahlkampfes 1924 wurde davon allerdings auf einen Schlag eine Menge zerstört. Es tauchte ein Brief mit Anweisungen auf, den angeblich Grigorij Sinowjew, der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, an die britische Kommunistische Partei geschrieben hatte. Die Konservative Partei in London, erst wenige Monate zuvor erstmals von der Labour Party von der Macht vertrieben, griff die Steilvorlage dankbar auf. Ihre Kampagne gegen die "rote Gefahr", die Labour und Kommunisten undifferenziert in einen Topf warf, hatte ein zugkräftiges Symbol. Bei der Wahl gewann Labour viele Stimmen hinzu. Bei den Sitzen profitierten aber die Konservativen von der politischen Vernichtung der Liberalen und kamen auf eine bequeme absolute Mehrheit.

Es blieben und bleiben Fragen. War Sinowjew, war die Komintern in ihrem (unbezweifelbaren) weltrevolutionären Enthusiasmus so dumm, dem Feind ein wunderbares Wahlkampfargument an die Hand zu geben? Oder waren finstere Mächte am Werk, die den "Sinowjew-Brief" gefälscht hatten, um die Regierungszeit der Linken zu beenden?

Gill Bennett, von 1995 bis 2005 Chefhistorikerin des britischen Außenministeriums, hat sich dieses Problems ein weiteres Mal angenommen. Ein Problem ist es bis heute hauptsächlich für die Labour Party, deren erster Premierminister Ramsay MacDonald nicht nur als Opfer des besagten Briefes gilt, sondern vielen Vertretern der reinen sozialistischen Lehre auch als "Verräter". In gewisser Weise verfolgt Sinowjew Labour noch heute. Während der Debatte über die Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg 2003 kamen einige Konservative auf den Brief zurück, als es um die Geheimdienstdossiers ging, mit denen Premierminister Tony Blair das britische Vorgehen gerechtfertigt hatte. Und auch in der Kampagne vor dem Brexit-Referendum durften entsprechende Hinweise nicht fehlen. Ein Kommentator schrieb, Premierminister David Cameron werde womöglich der erste Regierungschef seit MacDonald sein, der durch die britische Presse gestürzt werde. Er bezog sich dabei vor allem auf die Zeitung "Daily Mail", das Boulevard-Zentralorgan der Brexiteers. Die "Mail" war es auch, die 1924 den Brief als Erste veröffentlicht hatte.

"Die Wahrheit" über den Sinowjew-Brief liefert auch dieses Buch nicht. Fest steht nur, so Gill Bennett, dass der Brief inhaltlich in das Konzept der Komintern passte, die zu diesem Zeitpunkt noch etwas vielgestaltiger agierte als später. Das wiederum lag an dem noch nicht endgültig entschiedenen Machtkampf innerhalb der Elite der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion nach dem Tod Lenins. Seine Wirkung freilich entfaltete das Schriftstück vor allem dadurch, dass - vermutlich - britische Geheimdienstler es an die Presse weitergaben. Dieses "Leck" und die damit verbundenen vielfältigen Verschwörungstheorien sind der eigentliche Gegenstand dieser historischen Kriminalgeschichte. Es ist aber auch eine aufschlussreiche Geschichte des öffentlichen Umgangs britischer Regierungen aller Couleur mit dem Thema Geheimdienste über viele Jahrzehnte. Bis weit in die Regierungszeit Margaret Thatchers rang sich keine Regierung zu dem Eingeständnis durch, dass es die Geheimdienste auch in Friedenszeiten wirklich gab. Auch deshalb war es lange Zeit im Grunde unmöglich, eine Untersuchung des Falles zu veranlassen. Zudem waren alle Akten fest verschlossen. Hinzu kommt noch, dass Geheimdienste gerade über fragwürdige Operationen keine langen schriftlichen Dossiers für die Nachwelt anlegen. Die Autorin, die selbst in britischen und russischen Archiven (als das noch halbwegs gut möglich war) recherchiert hat, kommt zu dem Schluss, dass Sinowjew den besagten Brief wahrscheinlich nicht selbst geschrieben hat, dass eine Antwort auf die Frage, wer es denn dann war, aber nicht (mehr) möglich ist.

Bleibt die Moral von der Geschichte. Desinformation kann ihr Gift nur dann wirksam entfalten, wenn sie willige Überträger findet. Grigorij Sinowjew, 1936 nach einem Schauprozess erschossen, feiert heute fröhliche Auferstehung, in "sozialen" und anderen Medien.

PETER STURM

Gill Bennett: The Zinoviev Letter. The Conspiracy That Never Dies.

Oxford University Press, Oxford 2018. 368 S., 25,- £.

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