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Vor der Küste von Maine verunglückt im Juni 1941 das Vergnügungsschiff "Raven". Dreißig Menschen finden den Tod in den Fluten. Was war die Ursache für dieses Unglück? Warum werden nur weibliche Leichen an Land geschwemmt? Die Bewohner des kleinen Fischerdorfs Mackerel Cove stehen vor einem Rätsel; ein Trauma mit dramatischen Konsequenzen für die betroffenen Familien. Und ein junger Mann stößt bei seinen Nachforschungen auf beharrliches Schweigen.

Produktbeschreibung
Vor der Küste von Maine verunglückt im Juni 1941 das Vergnügungsschiff "Raven". Dreißig Menschen finden den Tod in den Fluten. Was war die Ursache für dieses Unglück? Warum werden nur weibliche Leichen an Land geschwemmt? Die Bewohner des kleinen Fischerdorfs Mackerel Cove stehen vor einem Rätsel; ein Trauma mit dramatischen Konsequenzen für die betroffenen Familien. Und ein junger Mann stößt bei seinen Nachforschungen auf beharrliches Schweigen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.1997

Brot für die Verschollenen
Große Orgel, dünnes Lied: Peter Landesman birgt ein Wrack

Grausam ist bekanntlich die See und unschön ein Tod im sturmgepeitschten Nordatlantik. Was passiert eigentlich genau, fragt Peter Landesman, wenn "zweiundzwanzig Männer und Jungen in einem fünf Grad kalten Ozean schweben?" Erst, so erfahren wir, halten sie sich noch eine Zeitlang über Wasser, dann aber werden sie sinken, um bald wieder nach oben zu kommen, mit gerissenen, von fauliger Luft aufgeblähten Gallenblasen. So schwimmen sie eine Weile herum, erzählt Landesman mit der Gemütsruhe eines Leichenbeschauers weiter, "auch wenn mit jedem Tag weniger von ihnen übrigbleibt. Erst ein Ohr zerfressen, dann das andere, die Nasenflügel, immer mehr, und früher oder später wird der Rest wie ein angestochener Luftballon in sich zusammenfallen und nach unten gaukeln", wo dann die Gezeiten für eine breite Streuung der verbliebenen Teile sorgen.

Für "Meereswunden", seinen ersten, sogleich preisgekrönten Roman, hat sich Landesman nicht nur bei den Hummerfischern von Bailey Island und in den Papierfabriken von Rumford/Maine umgesehen. Er hat sich auch in der Gerichtsmedizin eingehend über Todesarten zu Wasser informiert und seine Erkenntnisse mit schockierender Anschaulichkeit zu Papier gebracht. Sein Roman, der auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahre 1941 basiert, leistet einen Beitrag zur Pathologie der Wasserleiche. Überhaupt interessiert sich Landesman fürs Obduzieren; für das Bergen und Verbergen, das Verhüllen und Enthüllen: von Schiffen, Leichen und Geheimnissen. Auf dem Meer, so einer der Hummerfischer, gebe es "keine böse Macht, nur Konsequenzen". Landesman, fasziniert vom Grauen, malt sie üppig-eklig aus.

Eine Wolke liegt über Rehoboth, wie das Städtchen Rumford im Roman heißt. Nicht bloß wegen der katastrophalen Schadstoffbelastung durch den Sulfid- und Chlorausstoß der örtlichen Papierindustrie. Dies ist nur die meßbare - und im Roman breit geschilderte - Seite des Elends der Leute von Rehoboth. Eine andere, eine "Trauerwolke" liegt bis heute über der Stadt, seit im Juni 1941 der Vergnügungsdampfer "Raven" mit sechsunddreißig Ausflüglern aus Rehoboth vor Bailey Island untergegangen ist. Landesman erzählt von zerstörten Familien und von Witwen, die noch Jahrzehnte nach der Katastrophe den Abendbrottisch für die lieben Verschollenen gedeckt halten. Die Leichen der Frauen und Mädchen hat man bald aus dem Wasser gefischt, die der Männer hingegen bleiben verschwunden, was zu allerhand Spekulationen Anlaß gibt. Hat womöglich ein deutsches U-Boot - man befindet sich im Krieg - die Männer über den Atlantik entführt? Darauf deutet ein merkwürdiges Telegramm, das bald darauf die Frau eines der Verschwundenen erhält: "Es geht uns gut - stop - alles ist bestens - stop." Oder handelt es sich um einen Fall von Versicherungsbetrug mit ungewollt tödlichem Ausgang? Schließlich ist die "Raven" ein altersschwacher Kahn und ihr Eigner ein Mann von zweifelhaftem Ruf.

Elf Jahre nach dem Unglück machen sich, unabhängig voneinander, zwei Männer an die Aufklärung des Falles: der Hummerfischer Ezra, der als Neunjähriger mit seinem Vater die Frauenleichen aus dem Wasser zog, und ein unsympathischer Journalist namens Dove. Es dauert weitere dreiunddreißig Jahre, bis sich die Nebel über dem Untergang der "Raven" lichten und bis auch der bizarre Umstand eine Erklärung findet, daß als einziger Mann Kapitän Floyd Johnson geborgen werden konnte, nackt und an ein Faß gefesselt. In einer finalen Rückblende kehrt der Roman dann zum 29. Juni 1941 zurück und macht in einem knappen Tatsachenbericht den romanlangen Spekulationen ein Ende. Das Rätsel bleibt - wenn es je eines gab.

Es gehört inzwischen zur Etikette amerikanischer Romanciers, sich als fachmännische Beherrscher ihrer jeweiligen Stoffwelt auszuweisen. So auch Peter Landesman. Auf einem Hummerkutter macht ihm keiner was vor, und die Schilderung der Öko-Hölle von Rehoboth mit ihren Arbeitskämpfen und Leukämiefällen deutet auf gründliche Archivarbeit. Natürlich ist Landesman auch ins Literaturarchiv gegangen und hat die maritime Romanüberlieferung studiert. Landesman hat sie alle gelesen, Melville und Edgar Allan Poe, dem nicht nur das Totenschiff, sondern - im Original - auch der Roman seinen Namen verdankt.

Wenn das Know-how in bezug auf Stoff und Erzählkonventionen, wenn die verläßliche und streckenweise spannende Wiedergabe einer Ereignis-Sequenz über die Güte eines Romans entscheiden, dann ist "Meereswunden" ein guter Roman. Andererseits fehlt diesem routinierten Anfängerwerk alles, was einen Roman im Glücksfall von der Reportage unterscheidet: die Besonderheit eines Standpunkts und damit eines Stils, die Reflexionen eines irgendwie ausgezeichneten Bewußtseins, kurz alles, was literarische Subjektivität ausmacht. Der Stoff habe ihn gefesselt, sagt Landesman, seitdem ihm eine Bekannte seiner Eltern vom Untergang der "Raven" erzählte: "Ich liebe Rätsel." Doch lösen sich in seinem Roman die Rätsel fast ebenso unwiderstehlich auf wie eine Leiche im Wasser. Um nur soviel zu verraten: Unterröcke spielen dabei eine tragende Rolle.

Als schlichte Reportage hätte Landesmans Geschichte wohl größere Wirkung erzeugt. Als Roman haftet ihr dagegen etwas Spekulatives an. Landesman, scheint es, hat den mäßig mysteriösen Vorfall unbedingt zur großen Allegorie maritimer Elementargewalt hochschaukeln wollen. Und als sei dies noch nicht genug, liefert er mit dem Porträt des traurigen Städtchens Rehoboth die Apokalypse entfesselter Produktivkräfte noch dazu. Als Instrument hat Landesman für diesen Roman die ganz große Orgel gewählt; hier läßt es einer gewaltig brausen und rauschen und schafft es doch nicht, davon abzulenken, daß er ein ziemlich dünnes Liedchen spielt. CHRISTOPH BARTMANN

Peter Landesman: "Meereswunden". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans-Ulrich Möhring. List Verlag, München 1997. 463 S., geb., 44,- DM.

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