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Die Fotografien des Stuttgarter Fotografen Christian Mader erzählen von der Unergründlichkeit einer Gesellschaft, die Europäern weitgehend fremd bleibt. Uns fehlt eine offenkundige Verknüpfung zwischen der sichtbaren und der imaginären Welt, der Missing Link. Die Japaner auf den Fotografien wirken wie hineingestellt, in eine Welt, die sie eher hinnehmen als gestalten. Viele Ostasiaten leben ihr Leben in dem Bewusstsein, dass es einen freien Willen westlichen Zuschnitts letztlich nicht gibt, da ein zielgerichtetes Handeln im realen Leben keinen Einfluss auf den immer unwägbaren Gesamtkosmos…mehr

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Produktbeschreibung
Die Fotografien des Stuttgarter Fotografen Christian Mader erzählen von der Unergründlichkeit einer Gesellschaft, die Europäern weitgehend fremd bleibt. Uns fehlt eine offenkundige Verknüpfung zwischen der sichtbaren und der imaginären Welt, der Missing Link. Die Japaner auf den Fotografien wirken wie hineingestellt, in eine Welt, die sie eher hinnehmen als gestalten. Viele Ostasiaten leben ihr Leben in dem Bewusstsein,
dass es einen freien Willen westlichen Zuschnitts letztlich nicht gibt, da ein zielgerichtetes
Handeln im realen Leben keinen Einfluss auf den immer unwägbaren Gesamtkosmos
hätte. Maders Arbeiten sind keinesfalls Reportagen, jedoch sind seine Sujets
auch nicht inszeniert. Er arrangiert oder drapiert nicht. Obwohl die Fotografien realsituativen Alltag zeigen, trauen wir dieser Alltäglichkeit nicht. Wir können die Narrative, die in diesen Situationen stecken, nicht weitererzählen, da unsere westlichen Konzepte und Routinen des intuitiven Erkennens und Deutens in diesem östlichen Land nicht greifen. Genau hierin gründet die Faszination von Maders Fotografien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2017

NEUES REISEBUCH

Für den Tisch Ganz ehrlich: All diese Klischees von Japan - dass man es als Europäer angeblich nie ganz verstehen könne und dass seine Sprache unerlernbar sei - sind doch eigentlich maßlos übertrieben. Sie zeigen eher nur, wie hartnäckig wir etwas Geheimnisvolles in der Kultur des Inselstaates sehen wollen. Der Fotograf Christian Mader ersetzt die üblichen Stereotype durch eine Idee, wie sie aus der tiefsten deutschen Romantik stammen könnte: Unter der Oberfläche Japans, behaupten seine Bilder, gibt es eine geheimnisvolle zweite Welt, ein inneres Japan sozusagen.

Ob das wahr ist oder nur an seinen intensiven Aufnahmen liegt, wird auch dieser Band nicht klären können. Das Faszinierende Japans fängt er so oder so geradezu genial ein. Da warten Pendler und Reisende auf einem U-Bahnhof, die Menschen stehen wie aufgereiht auf einer Perlenschnur. Der Trenchcoat einer jungen Frau wirft perfekte Falten, die Gesichter wirken sehnsuchtsvoll, und im Halbdunkel schimmert die einfahrende Bahn grausilbern. Der Trick dieser Bilder ist es, auf etwas zu verweisen, was man nicht sieht. Im Inneren des Shinkansen, des Hochgeschwindigkeitszuges, der bekanntlich immer so überraschend pünktlich fährt, kniet ein Schaffner am Boden. Wir sehen nicht, warum und mit wem er spricht. Ist da ein kleiner Fahrgast oder einer, dem Ehre zu erweisen ist, oder vielleicht ist es ihm ja auch einfach bequemer im Fersensitz. Und wenn man schon einmal grübelt über das, was da passiert, wirken auch die grünbraun bezogenen Rückenlehnen plötzlich fremdartig. Und jene Tüte, die vorn ins Bild ragt. Aber trotzdem fügen sich all diese scheinbar zufälligen Elemente zu einer erstaunlichen Symmetrie zusammen.

Das Vorwort erinnert zur Erläuterung an das Konzept Wabi-Sabi, eine ästhetische Idee, die dem Buddhismus zugeschrieben wird. Das Wort Wabi verweist auf das Alleinsein und die Einsamkeit, aber das Wort Sabi mildert dessen Schrecken ab, es meint Reife. Da es um Objekte geht, darf man wohl an das deutsche Wort Patina denken. Rost oder Moos, alles, was sich über scheinbar perfekte Oberflächen legt, gibt den Objekten erst wahre Schönheit. Sie verdecken sie einerseits, veredeln sie andererseits. Deswegen heißt dieser Bildband "Missing Link" - er will die Verbindung zwischen der sichtbaren Oberfläche und der inneren Wahrheit der japanischen Kultur finden. Es will dem westlichen Betrachter sozusagen optisch, mit den Mitteln der Fotokunst, etwas erklären, was Worte nicht so leicht sagen könnten.

Deswegen muss man lange blättern und sich einfühlen in die mehr als einhundert Bilder. Sie laden zum Meditieren ein. Ein alter Mann lehnt an einem Zaun, wartend, gleichmütig, neben ihm zwei Kinder in ganz anderer Haltung, die schlecken ganz weltzugewandt an ihren großen Eistüten. Und einer, der Junge ganz rechts, blickt auch noch direkt in die Kamera. Da schneiden die Sichtachsen durchs Bild, das wirkt wie komponiert, wie ein Gemälde von Renoir.

Solche Knalleffekte der Linienführung findet der Fotograf Mader immer wieder, sei es in der Vogelansicht auf einen Hafen oder in einer Wartehalle, in der zwei grellgelbe Automaten bedrohlich in eine Ecke gequetscht stehen. Überhaupt, Architektur: Wenn Mader Gebäude zeigen will, dann oft aus unwahrscheinlichen Perspektiven. Eine Tür, eine Brachfläche, ein dekoratives Element (der Fotograf liebt zum Beispiel offensichtlich kitschige Vasen) müssen als Pars pro Toto dienen und eine Ahnung von dem liefern, wie da ein Haus den Menschen in sich aufnimmt. Oft ist das recht spärlich ausgeleuchtet. Sollte es hier wirklich um Romantik gehen, dann um eine düstere.

Was nicht heißt, dass diese Einblicke in eine wohl einzigartige Exotik nicht auch sehr humorvoll sein könnten. Wie man hier Essende in einer Art Food Court seitlich von hinten sieht, klein und unscheinbar in einer technisierten, neonbeleuchteten Welt - das regt dann auch zum Lachen an. Wer das Geheimnisvolle sucht, findet offenbar manchmal auch das Bizarre. Den Herrn im grauen Anzug, der einen rosabunten Süßigkeitenautomaten anstarrt wie ein Weltwunder.

Oder die Angler, die schlecht gekleidet, aber mit einem seltsamen Grinsen ins Meer hinausstarren - als sei von dort etwas wahrlich Großartiges zu erwarten. Tiefe Lehren über Land und Leute sollte hier kein Leser erwarten. Wohl aber eine angenehme Erleichterung. Es kann nicht sein, dass wir Japan besonders schlecht verstehen. Es muss so sein, dass auch die Japaner sich selbst kaum verstehen. Das zeigen diese schönen, mal traurigen und mal verstörenden Bilder auch. Wie sonst wäre ein strahlendes Paar in Bayerntracht und Clownsnase zu erklären? Richtig. Überhaupt nicht! Man soll hier nur schauen und staunen. Und sich selbst vergessen.

tlin

Christian Mader: "The Missing Link". Kehrer-Verlag, 128 Seiten, 39,90 Euro

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