12,99 €
inkl. MwSt.

Versandfertig in über 4 Wochen
payback
6 °P sammeln
  • Broschiertes Buch

It is fall, 2000 and Frank Bascombe has arrived at a state of optimistic pragmatism that he calls the Permanent Period of life. Epic mistakes have already been made, dreams downsized, and Frank reflects that now at least there are fewer opportunities left in life to get things wrong. But the tranquillity he anticipated is not to be. In fact, as Thanksgiving dinner with his children and first wife nears, the Permanent Period proves as full of possibility as life had ever been. In his third Frank Bascombe novel Richard Ford contemplates the human character with wry precision. Graceful,…mehr

Produktbeschreibung
It is fall, 2000 and Frank Bascombe has arrived at a state of optimistic pragmatism that he calls the Permanent Period of life. Epic mistakes have already been made, dreams downsized, and Frank reflects that now at least there are fewer opportunities left in life to get things wrong. But the tranquillity he anticipated is not to be. In fact, as Thanksgiving dinner with his children and first wife nears, the Permanent Period proves as full of possibility as life had ever been. In his third Frank Bascombe novel Richard Ford contemplates the human character with wry precision. Graceful, expansive, filled with pathos but irresistibly funny, The Lay of the Land is a modern American masterpiece.
Autorenporträt
Richard Ford
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2007

König Midas an der Küste

Frank Bascombe, der "Sportreporter", ist zurück. Er ist krank und verzweifelt und auch noch Demokrat: In seinem neuen Roman unterzieht Richard Ford das Amerika der Neunziger einer gnadenlosen Musterung.

Von Richard Kämmerlings

Früher, so erinnert sich Frank Bascombe einmal während einer langen Autofahrt, früher an der Uni, kannte er einen Jungen, "der sein ganzes Leben der ,Lektüre' von Kratzspuren kleiner Vögel auf versteinerten Klumpen uralten gelbbraunen Schlamms, womöglich Kots, widmete." Diese Kratzer entpuppten sich als Artefakte aus der Zeit um 1000 vor Christus, als vorzeitliche "Wäschequittungen", aus denen der Forscher das Leben einer fernen Kultur ertüftelte: viel Kochwäsche gleich viele Blutflecken gleich viel Gemetzel.

Und Bascombe malt sich aus, wie Archäologen dereinst aus dem Abfall am Straßenrand ihre Schlüsse ziehen werden: "Diese Zivilisation, so werden zukünftige Denker messerscharf schließen, mochte Bier. Sie benutzte bevorzugt Holz-Papier-Produkte als Auffangmaterial für Sperma und andere Körperausscheidungen. Sie litt an Hämorrhoiden, gelegentlicher Inkontinenz und erektiler Dysfunktion. Sie dachte viel über Verdauung nach. Sex war eine Tätigkeit, die sie so weit wie möglich vom Alltagsleben abspaltete."

Vielleicht fällt den Ausgräbern aber auch ein Exemplar von Richard Fords neuem Roman in die Hand, das sich erhalten hat wie die Schriftrollen aus Qumran. Das wäre ein Glücksfund. Denn damit könnte man alle weiteren Grabungen einstellen. Mit der "Lage des Landes" ließe sich ein gutes und repräsentatives Stück Amerika (Haddam, New Jersey, Stand November 2000) nachstellen, samt Straßenführung, Bebauungsplänen, Fassadenformen, Gartengestaltung, Supermarkt- und Dinerketten; der Alltag dieser Ostküsten-Hochkultur wäre in Arbeitsleben und Freizeitverhalten, Essgewohnheiten, Kleidung und Gesprächsritualen bis ins Detail zu rekonstruieren: eine Karte der Kleinstadtwelt im Maßstab eins zu eins, wie sie Borges einmal in einer berühmten Geschichte ausgesponnen hat.

Makler mit Scanner-Blick.

Nun lässt sich aus jedem guten Roman (und selbst aus einem schlechten) ein brauchbares Inventar der Welt machen, die in ihn eingegangen ist. Doch Richard Ford ist, selbst unter den anderen großen Realisten der amerikanischen Gegenwartsliteratur, ein wahrer Deskriptionsfetischist, ein unerreichter Meister des erzählerischen Settings, aber auch ein Maniac: Sein uns aus "Der Sportreporter" und "Unabhängigkeitstag" vertrautes Medium Frank Bascombe, dessen Schicksal er nun ins sechste Lebensjahrzehnt weiterbegleitet, kann einfach keinen Shop, keine Bar, kein Haus und keinen Passanten seines Mikrokosmos betrachten, ohne ihn mit soziokulturellem Scanner-Blick abzutasten, zu interpretieren und zu kategorisieren und aus der Oberfläche Schlüsse auf den allgemeinen Zustand Amerikas und der Welt zu ziehen - wie der Kommilitone Bascombes aus Schlammkratzern das Wesen einer Kultur erschloss. Er hätte Profiler werden sollen statt Makler, denkt Bascombe einmal selbstironisch. Welch einen großartigen Profiler Ford abgeben würde, macht dieser Roman - abermals - evident. Doch fühlt man sich an König Midas erinnert: Was er anfasst, wird zu Gold; doch am Ende verhungert er, weil es an Nahrhaftem fehlt.

Frank Bascombe ist längst eine der großen Gestalten der Literatur, ein repräsentativer Amerikaner, exemplarisch gerade durch seine Widersprüchlichkeit: dominant, aber schwach, gutwillig, aber egozentrisch, politisch liberal, aber voller rassistischer Vorurteile. Der neue Roman spielt um das Thanksgivings-Fest 2000, während jenes Interregnums, als der Ausgang der Wahl zwischen Bush und Gore vor den Gerichten entschieden wurde. Bascombe ist inzwischen fünfundfünfzig und damit elf Jahre älter als in "Unabhängigkeitstag" (der 1988 spielt, insofern geht die Chronologie nicht restlos auf - da ein Fehler bei diesem präzisen Autor unwahrscheinlich ist, könnte es sich um ein Fiktionssignal handeln).

Doch verglichen mit den privaten Nöten, ist die Lage des Landes trotz der Hängepartie im Wahlausgang fast noch rosig: Bascombe leidet unter Prostatakrebs, wurde gerade von seiner zweiten Frau Sally verlassen (deren vor Jahren verschollener Ehemann unvermittelt wieder aufgetaucht ist) und lädt mit einem mulmigen Gefühl seine inzwischen erwachsenen Kinder mit Partner zum Bio-Truthahn-Essen in sein Haus an der Küste ein, wo er sich als Makler selbständig gemacht hat. Bis zu den jüngsten Schicksalsschlägen hat er sich ordentlich bemüht, seine flatterhafte Seele in jenen ausgeglichenen Zustand zu balancieren, den er mit dem Psychologen Erik Erikson als Ideal der "Permanenzphase" bezeichnet: Das eigene Leben so anzunehmen, wie es ist.

Die Handlung des fast siebenhundert Seiten starken Romans besteht aus vielen kleinen Splittern: Bascombes Geschäftspartner überlegt, sich mit einem riskanten Investment selbständig zu machen. Es gibt einen rätselhaften Sprengstoffanschlag auf das Krankenhaus, in dessen Kantine Bascombe öfters Lunch isst. Ein alter Freund wird beerdigt. Bascombe wird eine Autoscheibe eingeschlagen, und er sucht verzweifelt eine Werkstatt. Er wird wegen seiner politischen Ansichten (pro Gore) in eine Prügelei verwickelt. Seine Ex-Frau Ann will wieder zu ihm zurück, dann lieber doch nicht. Er streitet sich mit seinem Sohn. Er sucht unterwegs einen Ort zum Wasserlassen (häufig). Er gerät aus heiterem Himmel vor die Flinte eines Killer-Teenagers.

Viel Erzählraum nehmen notwendigerweise die weitergesponnenen Fäden der Vorgänger ein; zwölf Jahre Weiterleben wollen erst einmal erzählt werden. Doch für sich genommen, hält diesen Roman wenig zusammen. Verglichen mit den Genre-Vorbildern wie Updikes Rabbit-Tetralogie (Bascombe ist genauso alt wie Harry Angstrom im entsprechenden vierten Band) oder Philip Roths Zuckerman-Büchern, legt Ford auf den Plot kaum Wert. Dafür entwickelt bei ihm die fast ethnographisch "dichte" Beschreibung einen eigenen Sog, der im Besonderen das Allgemeine flackernd und grell erleuchtet. Den Niedergang Amerikas, die "Lage des Landes" an der Schwelle zur finalen Katastrophe der Bush-Ära ("dieser dreist grinsende Macho-Dödel aus Texas") liest Ford aus jeder Immobilienanzeige. Doch braucht dieser böse Blick gar keinen bestimmten Anlass mehr, was für den Roman als Form bedrohlich ist; statt einer Synthese der Erzählebenen kommt es zu einer oft beliebigen Addition von - in sich grandiosen - Einzelszenen. Zu den großen Stärken des Buches zählen die wie hingetuscht wirkenden Beziehungsdramen, etwa zwischen Bascombes bisexueller Tochter Clarissa und deren lesbischer Freundin oder zwischen Sally und ihrem Rip-van-Winkle-haften Ex-Ex-Mann.

Das Ende aller Ideale.

Die politischen Ideale der amerikanischen Gründerväter, die im "Unabhängigkeitstag" selbst in ironischer Brechung noch ein Kontrapunkt zur Reagan-Ära waren, sind nun längst bedeutungslos geworden. Die Generation der Gegenkultur pflegt ihre Vorgärten und ihre Neurosen; der Terror und die Paranoia des anbrechenden Jahrtausends klingt bereits leise an: Alles wird noch schlimmer, so viel ist klar. Das Einzige, woran Bascombe noch zu glauben versucht, ist eine gesetzmäßige seelische Entwicklung, das persönliche Heil der "Permanenzphase". Doch nicht nur der Krebs hebelt dieses so typisch amerikanische, "positive" Denken aus; auch die Erinnerungen spielen Bascombe einen Streich: Der frühe Tod seine Sohnes Ralph, der schon auf den "Sportreporter" einen Schatten warf, rückt als unverwindbare Urkatastrophe neu in den Fokus.

Der beißende Spott, den der zum Grußpostkartentexter avancierte Paul über den "Entwicklungs"-Tick seines Vaters ausgießt, verstärkt noch einmal die illusionslose Botschaft, dass auch der Rückzug auf die Veredelung des Egos nur Selbstbetrug und Flucht ist. In dieser Demontage des Glaubens an persönlichen "Fortschritt", an die "Reife" des Alters liegt der radikale Kern des Buchs. Die "Lage des Landes", im Original noch schillernder "The Lay of the Land" (insgesamt hat der Übersetzer Frank Heibert großartige Arbeit geleistet), damit ist gemeint: so, wie es wirklich aussieht, das Leben, ohne die Zuckerwatte aus Psycho-Euphemismen. Wozu Bascombe wohl sagen würde, seines sei immer noch ganz O.K. - "verglichen mit dem Tod".

Die großen Fragen bleiben offen; zu viele kleine, deren Dringlichkeit von der Lebenssituation abhängt, werden aber in aller Ausführlichkeit beantwortet - von den Therapiemöglichkeiten von Prostatakrebs bis zur Thermik des Immobilienmarktes in Küstennähe. Der Roman ist ein Bohrkern in den tieferen Bodenschichten der Gegenwart; aber wie bei der von Paul à la Warhol in Vaters Garten verbuddelten "Zeitkapsel" hat sein Inhalt etwas wundertütenhaft Beliebiges. Die Folge ist ein scharfsinniger, auf die Dauer aber enervierender Essayismus. Richard Ford zeigt dabei mit jedem einzelnen Satz, welch ein großer Schriftsteller er ist, und wohl genau deswegen ist es doch kein großer Roman geworden.

- Richard Ford: "Die Lage des Landes". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2007. 688 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2007

Was man im Leben verpasst, ist das Leben
Am Grund des vielen Redens liegt die Panik: Richard Fords langer, langatmiger, aber kluger Roman „Die Lage des Landes”
Als die Europäer um 1890 das Lebensgefühl des Fin de Siècle erfanden, staute sich in ihren Dramen die Zeit, in den Romanen starben die Kinder früh, und wer von der Verführungskraft der Musik Wagners erfasst wurde, verlor sich in langen Tagträumen. Tote Städte waren en vogue. Ratlos standen unschlüssige Helden vor den Handlungen, zu denen sie sich aufgerafft hatten, zwischen Müdigkeit und Nervosität oszillierten ihre Frauen. Die Seligkeit, von der sie träumten, fanden sie nie. Dafür waren sie mit Redseligkeit geschlagen, und manche beklagten wortreich die Krise der Sprache. Von jedem Strandspaziergang kehrten sie gestärkt zurück: gestärkt im Bewusstsein der Erosion.
Vielleicht liegt es an Hemingway. Oder an den Marlboro-Männern. Oder an anderen Mythologien der Wortkargheit und des reinen, reflexionslosen Handelns, dass es in der amerikanischen Kultur ein Gegenstück zum europäischen Fin de Siècle nicht recht zu geben scheint, trotz Henry James, dem Spezialisten der Erosion, der um 1900 in der Erzählkunst die Brücke von Europa nach Amerika schlug. Aus dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts aber ist eine durch und durch amerikanische Fin de Siècle– Figur herausgewachsen, ein tatenarmes Monstrum der Redseligkeit und Reflexion, ein Mann, dessen unablässig wachen Augen kein Zeichen von Verfall und Tod, dessen Ohren kein Bröckeln, Rieseln oder leises Seufzen entgeht : Frank Bascombe, das Geschöpf des im Jahre 1944 geborenen Autors Richard Ford.
Er hat 1986 in dem Roman „Der Sportreporter” die literarische Bühne betreten. Da war er 38 Jahre alt, hatte selbst einmal Schriftsteller werden wollen und lebte seit vierzehn Jahren in Haddam, New Jersey, geschieden von seiner ersten Frau. Die Ehe war nach dem Tod des Sohnes Ralph zerbrochen. Zwei Kinder waren ihm geblieben, sein Beruf und das Haus. Ein Interview ging schief. Die Freundin dieses Romans, Vicky, heiratete er nicht.
Bilder aus dem Familienalbum
Im nächsten Roman, „Unabhängigkeitstag” (1995), war der Schriftsteller in Frank Bascombe weiter geschrumpft. Er war nun kein Sportreporter mehr, sondern Immobilienmakler. Die Häuserpreise in New Jersey stiegen. Die Lebenskurve des inzwischen 44 Jahre alten Frank Bascombes verlief flacher, trotz sich anbahnender zweiter Ehe. Nicht aus Euphorie beschleunigte sich am Ende, als die Trommler der Parade zum Unabhängigkeitstag vorbeizogen, Frank Bascombes Herzschlag. Sondern wegen der verlässlich in ihm tickenden Unruhe, deren Formel ihm gelegentlich durch den Kopf huscht: „Was man im Leben verpasst, ist das Leben”.
Jetzt, in dem Roman „Die Lage des Landes”, der im amerikanischen Original („The Lay of the Land”) 2006 herauskam, ist Frank Bascombe fünfundfünfzig und von Haddam an die Küste gezogen, nach Sea Clift. Er verkauft noch immer Immobilien. Und er ist am Scheitelpunkt seiner Unruhe angekommen. Seine zweite Frau hat ihn, ob endgültig, weiß er nicht, vor einigen Monaten verlassen. Der wenig später diagnostizierte Prostata-Krebs ist radioaktiv behandelt worden. Ob langfristig erfolgreich, weiß er nicht. Thanksgiving steht bevor. Es ist November 2000. In Florida ist die Stimmauszählung noch nicht entschieden. Der Why Bush-Aufkleber am Heck von Frank Bascombes Suburban wird nicht verhindern, dass Al Gore verliert.
Aber es ist nicht die Zukunft, die in Frank das Ticken der Unruhe beschleunigt. Er ist kein Seismograph kommender Katastrophen. Seine Unruhe entspringt, wie die aller wahren Fin de Siècle-Figuren, nicht der dramatischen Verdichtung, sondern dem konturlosen Verfließen der Zeit, der Erosion, nicht der Explosion. In unablässigem Auf und Ab umspülen in Frank Bascombe die Erinnerungen das gelebte Leben und die Reflexionen das gerade stattfindende Leben. Wie Brackwasser führen sie Abfälle und Strandgut mit: fragmentierte Lektürereste, ausgewaschene Gerätschaften des Alltags, verschrumpelte Abziehbilder aus dem Familienalbum.
Richard Ford ist ein Bewunderer von Richard Yates‘ Roman „Zeiten des Aufruhrs” (1961) und der Short Stories von Raymond Carver. Er hat in eigenen Erzählungen und schmalen Romanen wie „Occidentals” (Abendländer, 1977) den Reiz des Lakonischen und die Tonskala jener Erzählerfiguren ausgekostet, die so gelassen wie unbestechlich ihre Figuren beim Aufbrauchen ihrer Zukunft und ihrer Illusionen begleiten. Seinen Frank Bascombe aber hat er von Beginn an als den Ich-Erzähler seiner Romane auftreten lassen. Und er hat ihm alle Freiheiten gegeben, die diese Form bietet.
Auf ein Nacherzählen seines Lebens im epischen Imperfekt ist Frank nicht verpflichtet, auch wenn er es gelegentlich nutzt, um eine Episode zu runden. Sein Medium ist das langsam vorrückende Präsens, und das geht so: „Während ich über die Panoramastrecke zurück nach Haddam fahre – über die Preventorium Road zum Steinbruch (wo notorische Mafiosi früher Beweismaterial entsorgten), am Tierschutzverein vorbei, über die gewundene, ahornbestande Straße am vermoosten alte Delaware-Kanal entlang, – trifft mich ein Gedanke: Was würden ernst zu nehmende Wissenschaftler in ein paar Jahrzehnten über uns hier auf unserem eigenen Flecken vorstädtischen Baulands sagen?”
Ein bemooster Kanal, eine ältere Dame, die vielleicht einmal ein Schäferstündchen war, ein Gedankenblitz am Steuer des Suburban – alles kann die Schleusen des Ich-Erzählers Bascombe öffnen. Dafür, dass der Redestrom sich an Widerständen brechen kann, hat Richard Ford gesorgt. Denn er weiß, dass in der Literatur die staatlichen wie die privaten Festtage dazu da sind, die Familie und die Nation auf den Prüfstand zu stellen. Dem Osterfest des Geschiedenen im „Sportreporter” und dem 4. Juli des Vaters im „Unabhängigkeitstag” folgt nun das Familienfest, an dem alle nach Hause kommen und Truthahn essen müssen: Thanksgiving.
Die Erosion eines Romans
Nur drei Tage umspannt die Handlung dieses im Original knapp 500 Seiten, im Deutschen knapp 700 Seiten umfassenden Romans. Er ist umfangreicher als sein Vorgänger, so wie dieser umfangreicher als der erste Band der Trilogie war. Frank Bascombes Redseligkeit ist mit den Rückständen des gelebten Lebens angeschwollen. Aber es ist die Entscheidung seines Autors Richard Ford, wenn er nun das Räsonnieren über das Immobiliengeschäft im allgemeinen und die Preisentwicklung an der Küste im Besonderen und über die Familienverhältnisse dieser oder jener Nebenfigur auf die Spitze treibt.
Diese Detailfülle scheint auf den ersten Blick einem radikalen Naturalismus zu entspringen, einer auf die Spitze getriebenen Mimikry der Literatur mit dem Leben. Aber in der Redseligkeit Frank Bascombes werden nicht, wie es das Klischee vom modernen „Bewusstseinsroman” will, die Gesetzmäßigkeiten von Wahrnehmung und Erinnerung nachgebildet. Seine Erzählerstimme ist durch und durch Kunstprodukt. Wie der Pinsel eines pointillistischen Malers setzt sie ihre Detailtupfer, und dies nicht selten so ausdauernd und obsessiv, dass man als Leser die Geduld verliert und den Roman erschöpft und befremdet beiseite legt. So gründlich ist hier dem Erzählen jene Spannung abhanden gekommen, die aus einem gut gebauten Plot resultiert. So unverkennbar hat hier die Erosion die Form des Romans selber ergriffen.
Und doch lässt Frank Bascombe den Leser nicht los. Im Prolog hat er in der Zeitung die Geschichte von dem frustrierten Pflegestudenten gelesen, der die Dozentin, kurz bevor er sie erschießt, fragt: „Bist du bereit, deinem Schöpfer zu begegnen?” Diese Frage – und die Antwort: „Ja. Ja, ich glaube ja.” – begleitet Frank Bascombe bis zum Schluss, an dem er selbst in die Brust geschossen wird. Und überlebt. Der Roman löst diese Frage vom dramatischen, katastrophalen Moment und überführt sie in die langsame Erosion. Aber das Grundgefühl des Anfangs behält er bei: die Panik. Sie liegt am Grund der Redseligkeit. Sie wird genährt von der Erfüllung des Fin de Siècle, vom Milleniumsjahr 2000, über das alle reden, das sich aber gerade nicht zum Ereignis verdichtet.
Die Form der Ich-Erzählung erlaubt es Richard Ford, seinen Helden in das Fin de Siècle einzuschließen. Diese Versperrung der Zukunft entlastet den Abschied vom Amerika des zwanzigsten Jahrhunderts von jeder Vorausdeutung auf den 11. September 2001. Auch, wenn ein altes Strandhotel gesprengt und auf ein Krankenhaus ein Attentat verübt wird. „Milleniumsangst ist, wenn sie überhaupt etwas ist, eine Angst vor der Vergangenheit, nicht vor der Zukunft”, heißt es einmal. Ein Schwarm von düsteren und komischen Wiedergängern durchzieht den Roman. Allen voran der tote Sohn Ralph, den schon der unscheinbarste Anlass aufwecken kann. Und an der Spitze der tragikomischen Untoten: Wally, der Vietnamveteran und erste Ehemann von Frank Bascombes zweiter Frau Sally, der plötzlich zurückkehrt und Sally in die Vergangenheit zurückzieht. In ihr wie in den erwachsenen Kindern, dem neurotischen Paul und der aus einer lesbischen Eskapade an die Seite eines Edel–Ekels zurückgekehrte Clarissa, rumort die Milleniumsangst.
Durch ein road movie oder das Anfangen an anderm Ort wäre ihr nicht zu helfen. Dieses Suburbia hat die Illusion der Metropole hinter sich. Es zeigt New York, das Frank Bascombe hartnäckig Gotham City nennt, den Rücken. Einen kunstvollen Abschied von Scott Fitzgeralds „The Great Gatsby” hat Richard Ford in seinen Roman eingebaut. Frank Heibert hat ihn, bis auf Kleinigkeiten, etwa wenn er im Slang übertreibt, gut übersetzt. Wer von Romanen eine spannende Handlung erwartet, wird ihn aus der Hand legen. Wer sich durch die panische Redseligkeit nicht abschrecken lässt, den erwartet ein tragikomischer und bisweilen sarkastischer Held – und eine Reflexion darüber, „warum die Toten tot bleiben sollten und warum mit der Zeit das Land um sie her ganz ruhig liegt.” LOTHAR MÜLLER
RICHARD FORD: Die Lage des Landes. Roman. Aus Dem Amerikanischen von Frank Heibert. Berlin Verlag, Berlin 2007. 683 Seiten, 24,90 Euro.
Ein Ort für Frank Bascombe, Immobilenmakler in der Nachsaison des Lebens: Ocean Grove, an der Küste von New Jersey Foto: Nonstock/mauritius images
Richard Ford in seinem Wohnzimmer in East Boothbay, Maine Foto: AP
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr