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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2010

Je mehr Nullen, desto besser
Zwei Brüder, das Geld und der Betrug: Paul Tordays Krisenroman „Charlie Summers”
Am Ende sitzt Hector Chetwode-Talbot, genannt Eck, in seinem Landsitz und führt ein bescheidenes Leben. Oder zumindest das, was er dafür hält. Einem Mordversuch der Taliban ist er gerade noch einmal entkommen; in seine Cousine ist er verliebt; seine Gedanken gelten einem Mann, der ihm auf verblüffende Weise ähnlich sieht und der in den vergangenen Monaten verzweifelte Versuche unternommen hat, sich als Verkäufer von japanischem Hundefutter und holländischem Rotwein finanziell gesundzustoßen.
Wenn man die knapp 300 Seiten von Paul Tordays neuem Roman hinter sich gebracht hat, kommt einem all das weit weniger absurd vor, als es zunächst klingen mag. Genau das ist Tordays schriftstellerische Gabe: Die Welt zu zeigen als eine ganz selbstverständliche Verkettung und Abfolge von Unwahrscheinlichkeiten. Torday, Jahrgang 1946, veröffentlichte seinen ersten Roman „Lachsfischen im Jemen” im Alter von 59 Jahren; ebenfalls ein Buch, das durchzogen war von skurrilen Plänen und untergründiger Ironie.
In „Charlie Summers” nun erzählt Torday eine mehrfache Hochstaplergeschichte. Hector Chetwode-Talbot ist nach einem traumatischen Zwischenfall in Afghanistan aus der britischen Armee ausgeschieden. Ein ehemaliger Mitschüler, mittlerweile Inhaber einer Finanzdienstleistungsfirma, wie es euphemistisch heißt, stellt ihn als Köder ein: Ecks gute gesellschaftliche Kontakte sollen frisches Geld in den Mountwilliams-Fond spülen; Geld, das umgehend auf waghalsige Weise in den auf Hochtouren drehenden Kreislauf der Post-Finanzkrisenzeit eingespeist wird. Während einer dieser halbprivaten Geschäftsanbahnungen lernt Eck Charlie Summers kennen, einen Mann von leicht abgerissenem Äußeren, dem man den Lebensverlierer auf den ersten Blick ansieht, der aber eine erstaunliche optische Ähnlichkeit zu Eck selbst aufweist. Charlie ist kein Verbrecher, aber ein Gauner, der nie von etwas anderem gelebt hat als „von der Fähigkeit zur Selbsttäuschung” und von kleinen Betrügereien, und selbst die gingen zumeist auch noch daneben.
Mögen Sie holländischen Wein?
Die eher aufdringliche charakterliche Parallelführung zwischen seinen beiden Protagonisten ist die große Schwäche dieses Romans. Sie führt ihn nicht selten gefährlich nahe an das Klischee heran. Charlie ist nicht nur äußerlich Ecks Spiegel. Die Erkenntnis, die Torday damit vermitteln will, liegt auf der Hand: Sei es der in Sachen Ökonomie von Fachwissen so gut wie unbeleckte Eck oder der verzweifelte Gauner Charlie, beide arbeiten mit denselben Methoden an derselben Sache: Betrug.
Dass es darum geht, kann man sich schnell denken, aber Torday breitet seine nicht sonderlich originelle Generalthese immer wieder explizit aus: „Wenn Charlie mit seinen Träumen das Billigsegment bediente, verkaufte ich dann nicht das Gleiche an gehobene Käuferschichten?”, heißt es an einer Stelle. Und später: „Was war der Unterschied zwischen mir und jemandem, der japanisches Hundefutter und ungenießbaren holländischen Wein verkaufte? Bei näherem Hinsehen gab es keinen, außer dass die Kunden von Charlie Summers nicht gleich Pleite gingen, wenn sie etwas von ihm kauften.” Mit Verlaub – dass Finanzspekulanten keine sonderlich vertrauenswürdige Spezies darstellen, dämmerte uns schon vor der großen Krise. Um diesen Umstand im Jahr 2010 literarisch darzustellen, hätte es etwas mehr gebraucht als die Geschichte von einem, der nicht weiß, was er tut, weil Geld bei ihm nur als abstrakte Größe sich vermehrender Nullen vorkommt. Der US-Amerikaner Adam Haslett lieferte kürzlich mit seinem Roman „Union Atlantic” ein subtileres Psychogramm der Global Player und deren Opfer.
Dennoch ist „Charlie Summers” kein misslungenes Buch – zu charmant und intelligent ist Tordays Charakterzeichnung bis in die Nebenfiguren hinein, zu brillant sein allgegenwärtiger, aber leiser Humor, zu ausgeprägt sein Talent für den Entwurf von komischen Szenen und Auftritten: „Er trug eine pflaumenfarbene Cordhose, ein cremefarbenes Seidenhemd mit offenem Kragen und darüber eine grüne Hausjacke aus Samt. Er sah aus wie die wandelnde Nationalflagge irgendeiner ehemaligen sowjetischen Republik.” Auf dem Terrain des britischen Landadels mit all seinen Schrullen ist Paul Torday, der mit seiner Familie auf einem Schloss in Nord-England wohnt, weit heimischer als auf dem Parkett der Hochfinanz.CHRISTOPH SCHRÖDER
PAUL TORDAY: Charlie Summers. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Stegers. Berlin Verlag, Berlin 2010. 288 Seiten, 22 Euro.
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