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Americans increasingly believe the Supreme Court is a political body in disguise. But Justice Stephen Breyer disagrees. Arguing that judges are committed to their oath to do impartial justice, Breyer aims to restore trust in the Court. In the absence of that trust, he warns, the Court will lose its authority, imperiling our constitutional system.

Produktbeschreibung
Americans increasingly believe the Supreme Court is a political body in disguise. But Justice Stephen Breyer disagrees. Arguing that judges are committed to their oath to do impartial justice, Breyer aims to restore trust in the Court. In the absence of that trust, he warns, the Court will lose its authority, imperiling our constitutional system.
Autorenporträt
Stephen Breyer was an Associate Justice of the Supreme Court of the United States from 1994 to 2022. He is now Byrne Professor of Administrative Law and Process at Harvard Law School.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2022

Politisierte Justiz
Das Vermächtnis eines Richters am Obersten Gericht in Washington

Bis zu dem Sturm auf das Capitol dachten die Amerikaner, Washington benötige keine Bannmeilen, weil der Respekt vor der Republik deren Symbole schütze. Doch trotz des Schocks vom 6. Januar 2021 kam es im April direkt nebenan zu einem weiteren bis dahin undenkbaren Regelbruch. Aktivisten versuchten einen Richter des Supreme Court öffentlich unter Druck zu setzen, indem sie um das Gerichtsgebäude mit einem Lastwagen herumfuhren, der mit entsprechenden Parolen beklebt war. Vermeintlich gewaltfrei und witzig reimten sie: "Breyer, retire" - was dieser am Ende auch tat.

Dem als liberal (im amerikanischen Sinne) geltenden Richter Stephen Breyer wurde vorgeworfen, dass er im Alter von 83 und nach 26 Jahren im Gericht zwar erklärt hatte, er habe nicht die Absicht, im Amt zu sterben, den Zeitpunkt seines Rücktritts aber selbst bestimmen wolle. So beharrte er auf der Unabhängigkeit, die aus der unbefristeten Ernennung folgt. Eben wegen dieser Stellung auf Lebenszeit aber legen amerikanische Präsidenten und deren Parteien es den jeweils älteren der ihnen "nahestehenden" Richter mehr oder minder dezent nahe, doch zurückzutreten, solange noch Aussicht besteht, im Senat einen genehmen Nachfolger durchzusetzen. So wie angeblich Präsident Obama im Jahr 2013 die damals 80 Jahre alte Richterin Ruth Bader Ginsburg erfolglos darauf hinwies, dass die Demokraten in den Zwischenwahlen des folgenden Jahres die Mehrheit im Senat verlieren könnten, geht es gegenwärtig dem linken Flügel der Demokraten darum, rechtzeitig vor der nächsten Zwischenwahl Präsident Bidens Versprechen einzulösen, er werde einen frei werdenden Sitz im Supreme Court mit einer schwarzen Richterin besetzen. Dies erscheint auch deshalb wichtig, weil Biden zugleich viele gemäßigte Wähler mit der Zusicherung beruhigt hatte, er werde nicht zu dem Mittel des "court packing" greifen, also nicht versuchen, die Balance innerhalb des Gerichts dadurch zu verändern, dass er die Zahl der Richter erhöhe.

Breyer reagierte auf den Druck zunächst nicht nur mit der Federführung in einer großen Zahl von Fällen, also einer Demonstration seiner Arbeitsfähigkeit, sondern auch indem er zu einer intellektuellen Gegenoffensive ausholte. Daraus entstand zunächst ein Beitrag zu einer Vortragsreihe der Harvard Law School, den Antonin Scalia Lectures, die seinem verstorbenen Kollegen Scalia gewidmet ist, den er sowohl als Antipoden wie auch als Freund betrachtet. Aus dieser überlangen zweistündigen Rede, die noch immer im Netz abrufbar ist, wurde wiederum unter dem Titel "The Authority of the Court and the Peril of Politics" ein eher schlankes Buch.

Darin schildert Breyer zunächst, wie die sogenannte Judicial Review, das Recht, Gesetze des Kongresses und Anordnungen des Präsidenten auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, sich nur allmählich etablierte. Seit der Vorsitzende Richter Marshall diesen Anspruch 1803 erstmals erhob, führte der Weg vom Hinweis auf die Machtlosigkeit des Gerichts (der raubeinige Andrew Jackson erklärte noch ungeniert höhnisch, Marshall solle zusehen, wie er ein Urteil auch durchsetze) über grundsätzliche Anerkennung bei gleichzeitiger Zuflucht zu Notlagen (wie zum Beispiel Kriegserfordernissen) schließlich zu der weithin anerkannten Autorität des Supreme Court. Dass die Kontrolle durch das Gericht unverzichtbar sei und man seine Entscheidungen auch dann akzeptiere, wenn sie den eigenen Anschauungen widersprechen, wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Gemeinplatz. Diesem Prestige des Gerichts entsprach auch die weitgehende Einmütigkeit bei der Bestellung der Richter, sodass etwa Breyers eigene Nominierung 1994 noch mit 87:9 Stimmen vom Senat bestätigt wurde.

Doch bald wich dieses Bemühen um Überparteilichkeit einer Lagermentalität, die Politik als Kulturkampf begreift, und die Benennung von Richtern, in der Verfassung als eine Amtshandlung des Präsidenten beschrieben, die er mit "consent and advice" des Senats vornehme, entwickelte sich unter Mitwirkung der Medien zu den langwierigen und abschreckenden Schauspielen, die im Land der täglichen Umfragen besonders dem Kongress, aber auch dem Gericht eine kontinuierlich sinkende Zustimmung bescherten.

Breyer ignoriert in seinem Buch Vorschläge zu institutionellen Reformen wie etwa die Einführung von Amtsperioden oder von Richterwahlausschüssen, deren vertrauliche Vorabsprachen dem eher gewaltenteilenden als gewaltentrennenden System der Bundesrepublik entsprechen. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf die Wahrnehmung eines politisierten Gerichts, die ihm entgegen allem Anschein als irregeleitet erscheint.

Dieses Bild folge nicht nur aus dem politischen Betrieb, sondern werde besonders durch die Medien erzeugt, die dazu übergegangen seien, zu dem Namen jedes Richters auch den des Präsidenten hinzuzufügen, der ihn ernannt habe, und generell allen das Etikett "liberal" oder "conservative" anzuheften. Richter seien aber keine Politiker in Roben. Vielmehr habe er in all den Jahren seiner Arbeit im Gericht erfahren, dass sie sich ihrem Amtseid entsprechend dem Recht, aber nicht der Politik verpflichtet fühlten. Breyer verweist darauf, dass etwa die viel kommentierte konservative Mehrheit der Richter einschließlich der von Trump nominierten sich dessen Versuchen der Wahlanfechtung verweigerte, und auch die neuerliche Verfügbarkeit jedweder Statistik stützt sein Argument: Diensten wie "Ballotpedia" kann man entnehmen, wie oft jeder einzelne Richter in den Entscheidungen des Gerichts mit jedem anderen übereinstimmte oder nicht und sich in der Minderheit oder der Mehrheit befand.

All dies verweist auf Breyers entscheidendes Argument, innerhalb des Gerichts stünden sich nicht politische Parteien, sondern unterschiedliche Rechtsphilosophien gegenüber. Um zu zeigen, wo jeweils das eine aufhört und das andere anfängt, hätte er sein eigenes Konzept einer "living constitution", einer interpretierend weiterzuentwickelnden Verfassung, dem "originalism" seines gegnerischen Freundes gegenüberstellen können. Scalia beharrte strikt gewaltentrennend darauf, die Richter sollten sich auf das beschränken, was sie dem ursprünglichen Sinn der Verfassungsartikel entnehmen könnten, und alle weiteren Ansprüche auf den Weg der Gesetzgebung verweisen. Solche hinlänglich bekannten Erläuterungen, die Breyer vielleicht nicht ausgerechnet in einer Scalia-Vorlesung wiederholen wollte, standen diesmal auch nicht im Vordergrund. Stattdessen geht es ihm um den Appell, Verfassungsgerichtsbarkeit und politischen Kampf auseinanderzuhalten. So schwer es nicht nur in den USA allen Beteiligten fällt, hängen doch Gewaltentrennung und Rechtsstaatlichkeit von der Fähigkeit ab, diesen Unterschied zwischen rechtlicher und politischer Argumentation und entsprechend andersartiger Entscheidungsfindung zu verstehen und institutionell abzusichern. MICHAEL ZÖLLER

Stephen Breyer: The Authority of the Court and the Peril of Politics.

Havard University Press, Cambridge/Mass. 2021. 101 S., 19,95 $.

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