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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2000

Der Weintrinker ist eigentlich ein Steinbeißer
Entscheidend ist immer der Boden, wovon Reben leben: James E. Wilson untersucht das französische Terroir

Was macht den französischen Wein so gut? Sind es die Böden, die Klimata, die Rebsorten oder die Winzer? Der texanische Geologe James E. Wilson fühlte sich herausgefordert, dieser Sache auf den Grund zu gehen. In seinem Buch "Terroir" entdeckt er den französischen Boden als die "Seele der Weinrebe". Alle französischen Weinbaugebiete werden in ihrem je eigenen Zusammenspiel zwischen Boden, Klima, Rebsorten und Winzer vorgestellt.

Insgeheim wendet sich die Studie gegen den massenhaften, industriellen Weinbau, der unter dem Deckmantel bejubelter Rebsorten, die in den Rang von Markenartikeln erhoben werden, den Mangel an Eigenart und Einzigartigkeit verhüllt. Ohne großes Aufheben gibt sich der Geologe Wilson als Ökologe zu erkennen, der unterschiedlichen Grund und Boden achtet und nicht das schulmäßige Planen von Marktstrategen, sondern die handwerkliche Sorgfalt und Erfahrung von Winzern schätzt. Das Terroir erweist sich als ein "Ökosystem" aus tieferen Bodenschichten, Wasserabzug, Lage, Mikroklima, Rebe und "geistigem Aspekt, der die Freuden und Schmerzen, den Stolz, den Schweiß und die Rückschläge einer langen Geschichte in sich faßt".

Für den Fachmann, der mit dem Bau der Erde vertraut ist, zwingt es sich geradezu auf, daß in Frankreich Weine mit Namen und Persönlichkeit entstehen, denn die Geologie dieses Landes zeigt sich als ein "Meisterwerk der Natur". Es sind fast alle Bodenschichten und Gesteine vertreten, die auf der Erde vorkommen: vom kristallinen Urgestein wie Granit, Gneis oder Schiefer über vulkanischen Basalt bis hin zu verschiedenen Sandstein- und Kalksteinarten. Jede Gesteinsschicht beeinflußt den Wein auf eine andere Weise oder ist für eine bestimmte Rebsorte besser geeignet als eine andere. Frankreich steht klimatisch unter dem günstigen Gemisch ozeanischer und kontinentaler Einflüsse, und das gemäßigte Wetter fördert die Güte der Trauben. Bei leichten Temperaturschwankungen und leidlichen Regenschauern entfalten sich die Aromen des Rebensaftes am besten.

Der Rheingraben, an dessen westlicher Flanke der elsässische Wein angebaut wird, erscheint als "ein Klassiker unter den geologischen Strukturen". Das Einsinken des Grabens verursachte im Elsaß keinen glatten Bruch, sondern vollzog sich in wellenförmigen Verwerfungen, die in Stufen ins Tal hinableiten. Auf einer Länge von rund einhundert Kilometern stößt man auf einen etwa drei Kilometer breiten Hügelstreifen, der allein schon fast alle geologischen Schichten dieser Erde enthält. So ist das Elsaß im besonderen Maße reich an Gesteinsböden; das jahrhundertelange politische Hin und Her zwischen Deutschland und Frankreich sorgte zudem für unterschiedliche Einwirkungen auf die Kultur des Weinbaus. Ein bißchen vergaloppiert sich Wilson an dieser Stelle freilich, wenn er mit dem Klischee spielt, daß dabei von Deutschen selten Gutes kam. Zwar findet er die Vielfalt der Rebsorten im Unterschied zum übrigen Frankreich "einzigartig", aber er übergeht stillschweigend, daß dieser Umstand wohl eher der deutschen denn der französischen Tradition zu verdanken ist, ebenso wie die Gepflogenheit, edelsüße Spätlesen und Beerenauslesen herzustellen. Fachwerkhäuser, Blumenkästen und deutsche Ortsnamen hält er für bloße Äußerlichkeiten und erklärt, daß die Elsässer "doch immer etwas zutiefst Gallisches an sich gehabt haben".

Sachlich, elegant und pointiert werden dann viele berühmte Weinberge des Elsaß in ihrer geologischen Struktur beschrieben und die Rebsorten genannt, die darauf besonders gut gedeihen, wobei der Text von anschaulichen graphischen Darstellungen und Fotografien unterstützt wird. Es ist sympathisch, daß sowohl Winzer zu Wort kommen, die dem Boden die entscheidende Prägung des Weins zubilligen, als auch solche, die anderen Faktoren den bestimmenden Einfluß einräumen. Für jene Leser, die die Probe aufs Exempel machen wollen, wäre es hilfreich gewesen, wenn die Gesteinsarten, Rebsorten und Eigenheiten einzelner Lagen abschließend in Tabellenform wiedergegeben worden wären. Immerhin kann man im Index nachschlagen.

Ähnlich wie das Rheintal ist auch das burgundische Saône-Tal ein Grabenbruch. Über weite Strecken besteht die Westflanke aus Kalkgestein des Jura, doch weist es in sich selbst wiederum ein unregelmäßiges Ablagerungsbild auf. An der Côte d'Or, Heimat der begehrtesten roten und weißen Burgunder, gedeiht der Wein auf den steinigen Hanglangen des oberen und mittleren Jura. Weiter südlich hingegen herrscht das untere Jura als Liasboden vor, der weniger mit fossilen Meereslebewesen gewürzt ist und dadurch auch dem Wein weniger mitgeben kann. Umgekehrt verfügen innerhalb der Côte d'Or die besten Lagen in Vosne-Romanée über ein "fast perfektes Mischungsrezept aus weißem Oolith, mergelhaltigem Prémeaux-Kalkstein und calaire à entroques, eingedickt durch Ostrea-acuminata-Merge". Über diesem feinen Gemisch liegt eine ein Meter dicke, luftige Geröllschicht, die den Rebstöcken gut bekommt. Mit Hilfe seismographischer Untersuchungen bestätigt der Geologe, daß manche Weine nicht umsonst berühmt sind und hohe Preise erzielen - nur dann und wann wundert er sich auch ein wenig.

ERWIN SEITZ

James E. Wilson: "Terroir". Schlüssel zum Wein. Boden, Klima und Kultur im französischen Weinbau. Hallwag Verlag, Ostfildern 1999. 336 S., Farb- und SW-Abb., Zeichnungen, Tabellen, geb., 98,- DM.

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