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Die Beziehung zu dem viel älteren amerikanischen Kultautor Jerome D. Salinger war für die Schriftstellerin Joyce Maynard Anlaß, diesen klugen und ehrlichen autobiographischen Roman zu schreiben. So intensiv die Liebesbeziehung des ungleichen Paares ist, so unvermeidlich ist auch ihr Scheitern. Joyce Maynard unternimmt in ihrem Buch keine Abrechnung, sondern den Versuch, ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu beschreiben.

Produktbeschreibung
Die Beziehung zu dem viel älteren amerikanischen Kultautor Jerome D. Salinger war für die Schriftstellerin Joyce Maynard Anlaß, diesen klugen und ehrlichen autobiographischen Roman zu schreiben. So intensiv die Liebesbeziehung des ungleichen Paares ist, so unvermeidlich ist auch ihr Scheitern. Joyce Maynard unternimmt in ihrem Buch keine Abrechnung, sondern den Versuch, ihre Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu beschreiben.
Autorenporträt
Joyce Maynard war Reporterin bei der New York Times und arbeitet noch heute als freie Journalistin für verschiedene große Magazine. Ihre Kolumnen und Artikel erscheinen in zahlreichen US-Zeitschriften.
Die Autorin ist Mutter dreier erwachsener Kinder und lebt in Kalifornien und Lake Atitlan, Guatemala.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.1999

Tiefkühlerbsen, unverdaut
Joyce Maynard erleidet eine Lebensbegegnung mit J. D. Salinger

Joyce Maynard war nicht das beste Kapitel in J. D. Salingers Leben. Aber die Zeit mit Salinger ist sicher der spannendste Abschnitt in Maynards Autobiographie. Alles, was danach kommt: drei Kinder, Ehe, Scheidung, mehrere Romane und eine journalistische Karriere, erscheint wie durch einen Nebel, wird flüchtiger und fast mit schlechtem Gewissen erzählt - als habe die Autorin sich nie von dem vernichtenden Urteil befreit, das Salinger über ihr Leben fällte. Maynard stammt aus einem ehrgeizigen Elternhaus. Ihre Mutter war ein Renaissancemensch am Backbrett: Der Haushalt wurde nicht erledigt, sondern zum Gesamtkunstwerk gesteigert und der ganzen Welt in einer Kolumne der panamerikanischen Frauenzeitschrift "Good Housekeeping" vor Augen geführt. Maynards ruhelose Mutter projizierte eigene Berufsträume auf ihre zwei Töchter und bildete vor allem die jüngere Joyce zu einem Wunderkind aus. Der siebte Geburtstag beschert ihr eine Vervielfältigungsmaschine: Sie beginnt, ihre eigene Zeitung zu drucken und in der Nachbarschaft zu verkaufen. Mit neun Jahren hat sie ein Theaterstück in drei Akten über Heinrich den Achten und seine Frauen verfasst, mit achtzehn erscheint Joyce auf dem Titelblatt des "New York Times Magazine" und avanciert damit im Jahr 1972 zur Sprecherin einer neuen Generation.

Auch Salinger, der zu diesem Zeitpunkt schon völlig zurückgezogen in New Hampshire lebt, wird durch die Lektüre von "Eine Achtzehnjährige blickt auf ihr Leben zurück" zu einem Fanbrief hingerissen. Und obwohl Maynard nie eine Zeile von ihm gelesen hat, lässt das sehr persönliche, mentorenhafte Schreiben auf Anhieb einen ganzen Postsack voller Zuschriften verblassen. Die Brieffreundschaft wird zu einer Telefonfreundschaft und mündet in ein erstes Treffen. Salinger hat graue Haare und ist dreiundfünfzig Jahre alt, als er das Pippi Langstrumpf ähnliche Mädchen auf seinem durch Verbotsschilder verbarrikadierten Anwesen empfängt. Der öffentlichen Neugier und dem Rezensentengewerbe hat er längst den Krieg erklärt. Etwas an seiner Beziehung zu Joyce Maynard ist daher von vornherein faul: Sie ist ein Medienereignis.

Der berühmte Schriftsteller tritt umstandslos an die Stelle von Frau Maynard senior: Er benutzt Joyce als Folie für seine widersprüchlichen Ich-Entwürfe. Zum einen ist das junge Mädchen mit der eigenwilligen literarischen Stimme eine weibliche Version von Holden Caulfield, dem gegenwartskritischen Ich-Erzähler des "Fängers im Roggen", zum anderen hat sie der Erfolgsvirus genauso gepackt wie einst Holdens Erfinder. In den zwei Jahren, die Joyce bei Salinger verbringt, findet ein Exorzismus der weltlichen Wünsche statt, der in einer menschlichen Katastrophe endet. Ungesäuertes Brot ist die festliche Ausnahme in einer Diät, die im Wesentlichen aus Tiefkühlerbsen, fettfreiem Kürbis und rohen Körnern besteht. Homöopathische und makrobiotische Schriften sind die Bibeln des Autorenhaushalts, mit deren Hilfe der Hausherr sich von den Giften der Zivilisation zu befreien versucht. Gegen die geistigen Gifte berät ihn fernöstliche Weisheit. Wie Seymour Glass und andere Genies in Salingers Erzählkosmos liest Jerry Lao-tse, Vivekanada und Idries Shah. Maynard bricht unter diesem Einfluss das Studium ab, verzichtet auf Lesereisen für ihr erstes Buch und sagt Einladungen in Fernsehstudios dankend ab.

Obwohl sie in allem gefügig ist, ragt ein Problem wie ein Eisberg aus der Idylle: Der Liebesakt will nicht gelingen. Der Körper des jungen Mädchens spielt den Verschmelzungsphantasien beider Seiten einen Streich. In diesem Fall sucht Salinger nicht in der Gedulds- und Entsagungsliteratur der Inder und Chinesen nach Zuspruch, sondern beginnt selbst an Joyce herumzudoktern. Das jeweilige Mittel wird in einem Krug mit vier Liter Wasser verdünnt, dann hämmert Jerry "mit Fäusten und Füßen dagegen". Die paradoxe Mischung von unaggressiver Medizin und grimmiger Zubereitung spiegelt das Verhältnis, das Salinger, den Maynard-Memoiren zufolge, inzwischen zu seiner Schreibkunst hat. Eiserne Disziplin und ein gewaltiger ideologischer Überbau erschüttern täglich die Atmosphäre, bevor Jerry Salinger in seinem Zimmer verschwindet, um makellose Sätze aufs Papier zu zaubern. Ob die Kur seiner Begabung gut tut, ist der Welt bis heute vorenthalten. Maynard erzählt, dass er täglich stundenlang schrieb und zwei unveröffentlichte Romane in seinem Safe verschlossen hielt. Doch sie hat keinen Blick in die Manuskripte werfen dürfen, und wer weiß, ob Salingers konzentrierte Textarbeit nicht durch die Gegenwart seiner jungen Freundin bedingt war.

Für eine Weile diktiert das Leben die Literatur, aber bald bemächtigt sich die Literatur wieder des Lebens. Für den endgültigen Bruch mit Maynard wählt Salinger Daytona Beach in Florida. Aus heiterem Himmel verkündet er ihr, sie müsse sofort abreisen, um zu Hause vor seiner Rückkehr zu packen: "Vergiß nicht, die Heizung abzustellen", soll er ihr eiskalt empfohlen haben. Die Szene erinnert stark an "Kein Tag für Bananenfisch", Salingers seltsame Erzählung einer Hochzeitsreise, die mit dem Selbstmord des Gatten, Seymour Glass, endet. Auch sie spielt an Floridas Strand. Seymour setzt sich die Pistole nach einer entzückenden Begegnung mit Sharon Lipschutz an die Schläfe, deren zartes Alter sich aus der Bemerkung ergibt, sie werde ihr Bikinioberteil noch zehn Jahre lang nicht brauchen. Als Salinger 1946 aus dem Sheraton-Plaza Hotel von Daytona Beach das Ende seiner ersten Ehe bekannt gab, war Joyce Maynard noch nicht geboren. Dreißig Jahre später sitzt er mit ihr am Strand und spielt seine Erzählung noch einmal durch. Doch diesmal wird Sharon Lipschutz geopfert.

Maynards Buch möchte von einer Befreiung erzählen. Der letzte Satz annonciert ihren Geburtstag. Am Vortag hatte sie Salinger noch einmal ungebeten aufgesucht, seine Wut geerntet und anschließend für ihre Leser Salingers Abschiedssatz im Notizbuch festgehalten: "Du hast deine Laufbahn mit Klatsch vertan", schleuderte er ihr am Hintereingang ins Gesicht. Der Wortwechsel an der Küchentür ist das Satyrspiel zum Drama einer Verwundung, von dem Joyce Maynard facettenreich berichtet. Sie weiß ihre Worte zu wählen, und für die Pathologien der Liebe liefert diese Geschichte reichlichen Stoff. Ein neuer Salinger wäre Maynard vielleicht geworden, wenn sie ihn nie getroffen hätte.

INGEBORG HARMS.

Joyce Maynard: "Tanzstunden". Mein Jahr mit Salinger. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ursel Schäfer und Reiner Pfleiderer. Piper Verlag, München 1999. 443 S., geb., 44,- DM.

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