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George Saunders, der "König der Kurzgeschichte" (NZZ), erzählt einfühlsam und virtuos von den Gefängnissen, in denen wir stecken - den realen wie den eingebildeten.
"Tag der Befreiung" versammelt so virtuose wie einfühlsame Erzählungen über die Gefängnisse, in denen wir stecken, die ganz realen und die eingebildeten. Sie handeln von Macht und Moral, Liebe und Verlust, von der Sehnsucht nach menschlicher Verbindung und dem Versuch, sich von allem zu befreien. Und davon, dass die Befreiung manchmal die noch größere Katastrophe ist.
George Saunders erzählt mir großer Klarsicht von einer
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Produktbeschreibung
George Saunders, der "König der Kurzgeschichte" (NZZ), erzählt einfühlsam und virtuos von den Gefängnissen, in denen wir stecken - den realen wie den eingebildeten.

"Tag der Befreiung" versammelt so virtuose wie einfühlsame Erzählungen über die Gefängnisse, in denen wir stecken, die ganz realen und die eingebildeten. Sie handeln von Macht und Moral, Liebe und Verlust, von der Sehnsucht nach menschlicher Verbindung und dem Versuch, sich von allem zu befreien. Und davon, dass die Befreiung manchmal die noch größere Katastrophe ist.

George Saunders erzählt mir großer Klarsicht von einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft: Da ist der Großvater, der in einer nicht allzu fernen dystopischen Zukunft einen Brief mit einer zärtlichen Warnung an seinen Enkel schreibt. Oder die Mutter, die ein Unrecht an ihrem Sohn sühnen möchte, dabei jedoch nur noch größeres Unrecht verursacht. Oder der Obdachlose, der sich zu einer Gehirnwäsche bereiterklärt und doch eingeholt wird von seinem früheren Leben. Oder der unterirdische Vergnügungspark, in dem Hölle gespielt wird und der alles auf die Probe stellt, was wir für die Wirklichkeit halten...
Autorenporträt
George Saunders wurde 1958 in Amarillo, Texas, geboren, lebt heute mit seiner Frau und zwei Töchtern in Oneonta, New York, und ist Dozent an der Syracuse University. Er hat mehrere Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht, erhielt u.a. 2013 den PEN/Malamud Award und 2014 den Folio Prize. Das Echo auf seinen ersten Roman 'Lincoln im Bardo' war überwältigend: Man Booker Prize 2017, Shortlist für den Golden Man Booker Prize, Premio Gregor von Rezzori 2018, New York Times-Nr.1-Bestseller, SWR-Bestenliste Platz 1 und SPIEGEL-Bestseller.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Iris Radisch taucht mit den Erzählungen von George Saunders in die Köpfe anderer Menschen ein: Das ist nicht immer ganz einfach, räumt sie ein, aber seine Figuren in ihrer hermetischen Welt, die verstörend wegdriftet vom normalen Leben, haben für sie die "Kraft biblischer Gleichnisse." Sie bewegen sich auf der "tragikomischen Bruchkante" zwischen Straflager und Unterhaltung, ihre Entrücktheit liefert ein erschreckendes Bild etwa eines Programmierers, der an eine Art digitales Kreuz genagelt wird, erklärt die merklich beeindruckte Radisch. Und dann die Sprache dieser Geknechteten, die Opfer sind, aber immer auch die Kraft haben, eine "Erzähldiktatur der Armleuchter" aufzustellen. Eine faszinierende Lektüre, die die Kritikerin postapokalyptische Einsamkeitserfahrung lehrt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Diese Geschichten sind jetzt schon klassisch. Sie werden schon morgen, übermorgen dazu beitragen, sich in dem Amerika zurechtzufinden, das derzeit ebenso im Dunkeln tappt wie die Leser dieser Storys.« Gustav Seibt / Süddeutsche Zeitung

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2024

Neues vom Magier
Die virtuosen, vielschichtigen Storys von George Saunders
sind einzigartig in der heutigen Literatur.
Aber es gibt einen schlimmen Verdacht: Sind sie womöglich zu perfekt?
VON GUSTAV SEIBT
Von Nicholson Baker, dem Doctor subtilitatis der amerikanischen Literatur, stammt die Idee, es einmal mit einer Literaturkritik zu versuchen, die völlig ohne Notizen und wörtliche Zitate auskommt und sich ausschließlich auf das bezieht, was das zu besprechende Werk unwillkürlich im Gedächtnis des Kritikers hinterlassen hat: Eindrücke, Formulierungsfetzen, eine Stimmung. Zitieren also nur aus dem Kopf, in vager Annäherung. Dieses hier aus dem Gedächtnis referierte Experiment setzte Baker in dem tief lustigen Buch „U&I“ um, einer kritischen Erinnerung an jahrelange Lektüren von Bakers ambivalent geliebtem Vorbild John Updike.
Bei George Saunders, dem ausgefuchstesten Handwerker und Feinschrauber der amerikanischen Literatur, erscheint so ein Vorgehen völlig deplatziert. Denn bei Saunders gibt es kein Detail ohne Funktion, er verweigert jede Form von Stimmungsmalerei und Seelenfett, seine Geschichten – die Short Story ist trotz des gefeierten Romans „Lincoln im Bardo“ sein eigentliches Feld – sind abgespeckt bis aufs Skelett. Wollte man sie kritisch zitierend zusammenfassen, würde man mit der Notwendigkeit konfrontiert, Landkarten im Maßstab 1:1 zu liefern, Metatexte, die nicht weniger lang sind als ihr Gegenstand, Kommentare also, nicht Rezensionen.
Oder Darstellungen, die noch länger sind als die Urtexte. So hat Saunders, der auch Professor für Creative Writing ist, es selbst vorgeführt, in einem wundervollen Band, den er sieben, überwiegend kurzen russischen Erzählungen gewidmet hat, und der auf Deutsch 540 Seiten lang ist, wovon die behandelten Texte nur 160 Seiten einnehmen. „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ war der Titel des 2022 von Frank Heibert, Saunders’ meisterlicher deutscher Stimme, übersetzten Bandes.
Hiervon sei die Reihe „Lesen, Schreiben, Leben“ registriert, deren drittes Glied ein wenig überraschend kommt bei einem Ausleger, dem es um Erzählperspektiven, Informationsverteilung, bedeutungsvolle Lücken, ums Abwägen von Eindrücken und falschen Fährten geht. Aber, ja: Zugleich geht es darum, wie solche Geschichten ihre Leser steuern, beeinflussen, verändern, beglücken, jedenfalls dann, wenn sie die hochauflösende Aufmerksamkeit entwickeln, die Saunders ihnen zumutet und antrainiert. Es geht ihm um ein Ethos der klischeefreien Offenheit für Texte, die nie obenhin gelesen werden sollen. Dann entfalten sie sich im Geist der Leserin wie Papierblumen in einem Wasserglas – eine Aufmerksamkeit, die womöglich aufs Leben und Mitmenschlichkeit ausstrahlt.
Saunders’ eigene Kunst macht von den ersten Sätzen jeder seiner Geschichten an klar, dass es ohne diese hochgespannte Konzentriertheit nicht geht. Allmähliche Immersion nicht möglich. Man muss, so fühlt man sofort, höllisch aufpassen, nur worauf? Wo befinden wir uns? Alles ist wichtig, ahnt man, nur in welcher Hinsicht, in welcher Verknüpfung?
Bei Saunders kann man auf engem Raum die bestürzende Erfahrung machen, über viele Seiten und ganze halbe Stunden im Dunkeln zu tappen – hier an eine Wand zu stoßen, dort einen fernen Lichtschimmer zu bemerken, unversehens zu stolpern, noch mal umzukehren – zurückzublättern –, um dem Experiment eine zweite Chance zu geben. Immanuel Kants Abhandlung „Sich im Denken orientieren“ wäre eine Art Leitfaden dafür. Außer dass nicht einmal der Richtungssinn, die Rechts-links-Unterscheidung, von der Kant ausgeht, hier gilt.
Diese methodische, schmerzhaft verlockende Verstörung, die Saunders seinem Publikum zumutet, hat etwas mit seinen Sujets zu tun, die sich nun doch summarisch benennen lassen. Oft sind es Dystopien, Zukunftsbilder, Parallelwelten, Unterwelten. Und es hat mit Erzählperspektiven im klassischen Sinn („Wer erzählt?“) zu tun. In drei seiner neuen Storys erzählen Menschen mit Gedächtnisverlust, durch Gehirnwäsche ausgelöschten Identitäten, die als lebend-pulsierende Akteure eingesetzt werden.
Einmal dienen sie in Reenactments, Nachstellungen aus der amerikanischen Geschichte, ein anderes Mal in einem unterirdischen Freizeitpark, dessen vollständige Sinnlosigkeit sich Schritt für Schritt herausstellt: Denn nie werden Besucher in diese Nachtwelt kommen, für die diese Weggesperrten Tag für Tag trainieren müssen. Im dritten Fall werden arme Obdachlose als lebende Sockenpuppen für politische Zwecke missbraucht.
Diese Dystopien zeigen eine Verbindung des Höllischen mit dem Albernen, in vager Annäherung: von Orwell (Totalitarismus) und David Foster Wallace („Unendlicher Spaß“), die bei Saunders mutmaßlich zeitdiagnostisch gemeint ist, als Bild eines Amerika, das unmittelbar vor der Tür steht. Eine solche Nahzukunft ruft schon die allererste, vergleichsweise einfache Geschichte hervor, welche die in eine Überwachungs- und Polizeidiktatur abgeglittenen Vereinigten Staaten nach einem verheerenden Wahlsieg darstellt (der Name Trump fällt nicht, ist aber offenkundig gemeint). Sie besteht aus einem Brief auf Papier voller rätselhafter Kürzel, in dem ein Vater seinem von möglichen Polizeisanktionen bedrohten Sohn verzweifelte Ratschläge gibt: „Falls es zum Äußersten kommt.“
Auf Papier entsteht das Schreiben, weil E-Mails und Telefon längst zu unsichere Kanäle geworden sind, umfassend überwacht nämlich. Nahe, verstörende Zukunft mischt sich mit archaischer Kommunikationstechnik, wie das Bakelit-Telefon im Film „Matrix“. Und dahinter wabert ein schrecklicher Schmerz: Wie leichtfertig und dumm-blind der überkommene Zustand von Freiheit und Rechtsstaat aufgegeben wurde.
Diese Geschichte ist kein Bericht, keine Narration, die führt Terror als Realität vor. Beim zweiten Lesen – alles von Saunders lohnt mehrfache Lektüren – zeigt sich die unfassbare Ökonomie selbst so einer vergleichsweise schlichten Story. Sie kriecht bei aller Funktionalität ins Angstgedächtnis, denn Saunders ist auch ein Nervenkünstler, der die Triggerpunkte der Leser punktgenau ansteuert.
Saunders ist berühmt für seine Perspektivwechsel, und natürlich erprobt er sie auch hier, beispielsweise in einer Bürointrige, die nur Verlierer hinterlässt, eine Studie in allseitiger Niedertracht. Oder er dreht eine Sicht mit schöner Gründlichkeit um: Eine von allen (einschließlich des Lesers, der Leserin) ob ihrer Banalität gering geschätzte Frau wird durch ein schlichtes Eheglück zu einem wundervoll einfachen, völlig unbanalen Exempel für gelingendes Leben. Eine Kippfigur als Probe auf unser aller Bereitschaft zum Verachten. Saunders, ein moralischer Autor.
Da Saunders so oft Innensichten bietet, von Menschen, die über wenig Vokabular oder sonstiges kulturelles Kapital verfügen, verweigert er konsequent „schönes“ Schreiben. Sein Stil arbeitet nicht einmal mit der unwillkürlichen Naturschönheit menschlicher Sprachen, wie sie etwa Salinger in seinem „Fänger im Roggen“ durchaus prunkend vorgeführt hat. Saunders übt sich in Arte povera, einer Art Lumpenkunst, deren Poesie in herzzerreißender Ausdrucksnot besteht.
Das ganz Künstliche der Erzählform vereint sich mit dem Naturalistischen, O-Tonhaften eines Sprechens, das von Kunst noch nie etwas gehört hat. Dieser fettfreie Naturalismus ist neben sonderbar dystopischen Neologismen die Hauptherausforderung für den deutschen Übersetzer, die Frank Heibert auch hier wundervoll bewältigt hat.
Es ist anstrengend, diesen Band zu lesen, manchmal verflucht man die Langwierigkeit, die es braucht, um sich in den immer neuen Dunkelkammern zurechtzufinden. Auch darf man sich fragen, ob die Storys nicht zuweilen allzu ausgeklügelt sind, schon geschrieben für jene Seminare, in denen sie in Laubsägemodellen nachgebaut werden. Was ja nur heißt: Diese Geschichten sind jetzt schon klassisch. Sie werden schon morgen, übermorgen dazu beitragen, sich in dem Amerika zurechtzufinden, das derzeit ebenso im Dunkeln tappt wie die Leser dieser Storys.
Man muss, so fühlt man
sofort, höllisch aufpassen,
nur worauf?
Saunders schreibt
auch eine Studie über
allseitige Niedertracht
Seine Spezialität sind Dystopien: In einer der neuen Erzählungen von George Saunders sind die USA in eine Polizeidiktatur abgeglitten.
Foto: A. Brandon / dpa
George Saunders:
Tag der Befreiung.
Erzählungen. Luchterhand, München 2024.
320 Seiten, 25 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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