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Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen setzt sich mit dem literarischen Werk Sylvia Plaths und der Mythenbildung um ihre Person auseinander. Sie greift die feuilletonistischen und populären Geschichten um die frühverstorbene amerikanische Kultautorin auf und kommentiert sie pointiert mit feinem Gespür für Ironie.

Produktbeschreibung
Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen setzt sich mit dem literarischen Werk Sylvia Plaths und der Mythenbildung um ihre Person auseinander. Sie greift die feuilletonistischen und populären Geschichten um die frühverstorbene amerikanische Kultautorin auf und kommentiert sie pointiert mit feinem Gespür für Ironie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.01.1999

Der Grabstein war verschwunden
Elisabeth Bronfen dekonstruiert den Mythos "Sylvia Plath"

Sylvia Plath ist längst zur Legende geworden. Als vor zwei Monaten der englische Dichter Ted Hughes starb, mit dem sie in einer kurzen und schwierigen Ehe zusammengelebt hatte, verglich jemand den Mythos, der heute ihr Lebenswerk umgibt, mit dem der Prinzessin von Wales. Sicher ist, was beide miteinander verbindet, vordergründig nicht viel mehr als das tragische Ereignis eines zu frühen Todes. Auf ähnliche Weise aber luden die Geschichten, die nach ihrem Tod über sie erzählt wurden, zur Projektion und Identifikation ein. Sie machten beide zu Ikonen der Weiblichkeit, zu Opferfiguren, die durch Lebensumstände und Familie zerstört worden waren.

Es sind Spuren solcher Mythenbildung, die Elisabeth Bronfen jetzt in einem schönen Buch untersucht. "Sylvia Plath" lautet der schlichte Titel ihrer Studie. Kein Untertitel präzisiert das Unternehmen, kein Genre charakterisiert den Text. Der Name selbst ist Programm. Er ist - Bronfen formuliert es in bezug auf Roland Barthes' "Mythen des Alltags" - ein "mythischer Signifikant": ein Zeichen, dessen Bedeutung sich gelöst und nur den Buchstaben zurückgelassen hat, bis dieser als Projektionsfläche von anderen Wertesystemen neu besetzt werden konnte. Was die Autorin in Angriff nimmt, ist also der Versuch einer Mythenkritik. "Der Plath-Mythos" heißt bereits das einleitende Kapitel.

Es beginnt im Frühjahr 1989, fünfundzwanzig Jahre nach dem Selbstmord der Dichterin. Im Londoner Guardian wird zu diesem Zeitpunkt eine Kontroverse darüber ausgetragen, wem das Grab von Sylvia Plath gehört. Auslöser ist der Brief zweier Leserinnen, die feststellen müssen, daß die Grabstätte, die sie besuchen wollen, anonym ist. Ihnen wird mitgeteilt, daß man den Grabstein entfernt habe, nachdem wiederholt Anschläge auf ihn verübt worden seien; vorgeblich von radikalen Feministinnen, denen es ein Dorn im Auge war, daß er die Erinnerung an die Autorin unter dem Namen Sylvia Plath Hughes bewahrte. Diese Bereitschaft - lautet der Vorwurf im Guardian -, die sterblichen Überreste der Anonymität preiszugeben, sei gleichbedeutend mit einer Entwertung des Werkes. Sie vollziehe die Verbannung Plaths in die Reihe ungezählter Frauen, die Kulturgüter schufen und von der bisherigen geschichtlichen Aufarbeitung übergangen wurden.

Im Guardian weitet sich dieser Einwand schnell zur Debatte aus. Sie kulminiert in der grundlegenden Frage, wer oder was durch den Grabstein eigentlich repräsentiert werde, wenn die Verstorbene nicht nur eine Person des öffentlichen Interesses, sondern darüber hinaus die Autorin autobiographischer Texte ist. Ruft er die historische Frau Sylvia Plath ins Gedächtnis? Die Tochter deutsch-österreichischer Einwanderer, die 1932 in Boston geboren wurde, Lyrik und Prosa schrieb, in Cambridge Ted Hughes kennenlernte, zwei Kinder bekam, bevor die Ehe zerbrach und sie 1963 Selbstmord beging? Oder gedenkt man hier der Ikone einer Schriftstellerin, die droht, aus dem literarischen Kanon zu verschwinden?

Sinnfällig - so Bronfen - spiele diese "Friedhofsdebatte" die nur allzu charakteristische Verschränkung der Dichtung Plaths mit ihrem Leben durch. Beides ist so unentwirrbar miteinander verwoben, daß man gar nicht anders könne, als ihre Dichtung entlang der biographischen Würdigungen zu lesen, in denen ihr Leben aufgearbeitet wurde. Gerade diese Biographie allerdings, die Gedächtnistexte und auch die wissenschaftlichen Abhandlungen zeichne eine entscheidende Gemeinsamkeit aus: Sie alle kreisen um einen blinden Fleck im Lebenswerk der Sylvia Plath. In den Editionen ihrer Schriften nimmt er in Form eines Zeichens Gestalt an: "[Auslassung]" vermerkt der Text der "Briefe nach Hause" und der "Tagebücher" an einigen Stellen. Das Fehlende ist hier deutlich markiert. Der Leser gerät ins Stocken.

Bekanntlich ist den Nachlaßverwaltern angesichts dieser Lücken vorgeworfen worden, sie hätten ihre editorische Arbeit als Praxis der Zensur begriffen. Als 1965 die erste nachgelassene Gedichtsammlung "Ariel" in einer von Ted Hughes zusammengestellten Fassung erschien, nahm dieser Gedichte, die er für unverhältnismäßig aggressiv hielt, nicht auf. In den "Tagebüchern" entfernte er - wie schon die Mutter bei der Edition der "Briefe nach Hause" - "unangenehme" Passagen. Die letzten Hefte, die die Zeit von 1959 bis drei Tage vor ihrem Tod umfaßten, vernichtete er ganz.

Bronfen rekonstruiert die Editionsgeschichte, stellt aber nicht erneut das Moment der Schuldzuweisung in den Vordergrund. Ihr Interesse gilt dem Phänomen der Lücke selbst. Erst die Auslassungen nämlich weckten auch die Sehnsüchte der Hermeneuten. Sie führten zu der Annahme, der Schlüssel zum Geheimnis Sylvia Plaths könnte noch gefunden, die alles erhellenden Tatsachen noch entdeckt werden. Der blinde Fleck, das war der Generator der immer neuen mythischen Erzählungen.

Für die Verfasserin aber ist dieser Schlüssel unwiederbringlich verloren. Ihre Studie ist das eindringliche Plädoyer für eine neue Lektüre der Schriften Plaths, die ihr Augenmerk gerade auf die Widersprüchlichkeit der Stimmen richtet und die Texte als Produkte eines unaufhörlichen Versuchs wahrnimmt, sich selbst zu entwerfen. "Nur an dieser uns heimsuchenden nachträglichen Verschriftlichung können wir teilhaben", heißt es, "nicht am Geheimnis." Ganz im Gestus der Dekonstruktion gewinnt Bronfen das kritische Vokabular ihrer Studie aus den gelesenen Texten selbst. Bereits ihr erstes Buch "Nur über ihre Leiche" und die kürzlich erschienene Hysteriegeschichte "Das verknotete Subjekt" waren von dieser strukturellen Bewegung geprägt. In Anlehnung an Judith Butler führt sie in ihrem Plath-Essay den Begriff der "kulturellen Performativität" ein: Diese - heißt es - sei im Fall der Prosa Plaths so angelegt, "daß ihre Geschichten eine Identifikation mit dem Bild der glücklichen, erfolgreichen amerikanischen Familie erschweren und sich dennoch in den Begriffen jener Kultur vollziehen, die sie zu hinterfragen suchen".

Von diesem "Oszillieren zwischen Komplizenschaft und Widerstand" handelte schon das Schlußkapitel in "Nur über ihre Leiche". Implizit verweist es auch jetzt wieder auf das ,literarische' Verfahren, das die Verfasserin ihrer eigenen Studie zugrunde legt. Denn Judith Butlers "kulturelle Performativität" bezeichnet nicht zuletzt jene Formel, nach der Elisabeth Bronfen ihre Mythenkritik strukturiert: Nur in der Ambivalenz von Wiederholung und gleichzeitiger Verwerfung des Mythos, von Aneignung und Distanzierung kann sich eine solche Kritik vollziehen. Es gibt kein Außen, kein Jenseits des Mythos "Sylvia Plath". JULIA ENCKE

Elisabeth Bronfen: "Sylvia Plath". Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Paluch und Robert Habeck. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1998. 220 S., geb., 38,- DM.

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