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Suttung, Sohn eines berühmten deutschen Kunsthändlers, arbeitet als Computerwissenschaftler in den USA. Während eines Kurzurlaubs an der Küste Neuenglands begegnet er zwei geheimnisvollen jungen Frauen, die ihm ein Angebot unterbreiten: Im Auftrag des Immobilienunternehmers Arbogast soll Suttung für Hant, den größten Architekten Deutschlands, Roboter entwickeln, die die menschliche Arbeitskraft ersetzen. Suttung nimmt das Angebot an, reist nach Deutschland und gerät dort in eine merkwürdige Gesellschaft. Er trifft auf Hant, der ihm in faszinierenden Monologen seine Idee von der Welt und seiner…mehr

Produktbeschreibung
Suttung, Sohn eines berühmten deutschen Kunsthändlers, arbeitet als Computerwissenschaftler in den USA. Während eines Kurzurlaubs an der Küste Neuenglands begegnet er zwei geheimnisvollen jungen Frauen, die ihm ein Angebot unterbreiten: Im Auftrag des Immobilienunternehmers Arbogast soll Suttung für Hant, den größten Architekten Deutschlands, Roboter entwickeln, die die menschliche Arbeitskraft ersetzen. Suttung nimmt das Angebot an, reist nach Deutschland und gerät dort in eine merkwürdige Gesellschaft. Er trifft auf Hant, der ihm in faszinierenden Monologen seine Idee von der Welt und seiner Stellung in ihr mitteilt. Suttung ist zunächst begeistert von diesem Monomanen und Perfektionisten mit dem unwiderstehlichen Charisma. Doch bald stellen sich Zweifel ein.
Autorenporträt
Händler, Ernst-Wilhelm
Ernst-Wilhelm Händler wurde 1953 in München geboren, studierte Philosophie und Wirtschaftswissenschaften und lebt als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens in Regensburg. 'Stadt mit Häusern' war 1995 sein vielbeachtetes literarisches Debüt, dem die Romane 'Kongreß' (1996; dtv 12586), 'Fall' (1997; dtv 12731), 'Sturm' (1999; dtv 13163) und 'Wenn wir sterben' (2002) folgten. 1999 erhielt Händler den Erik-Reger-Preis des Landes Rheinland-Pfalz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.1999

Die dunkle Macht
Ernst-Wilhelm Händlers Roman "Sturm" · Von Thomas Steinfeld

Wenn dieser Roman ein Haus wäre, so gliche es den Entwürfen der britischen Architektin Zaha Hadid. Mit ihnen teilt das Buch sein Konstruktionsprinzip: die Entscheidung für fragile, schräge, scheinbar schwerelose Gerüste, für eine durch das Material und den Zweck kaum noch domestizierte Willkür, für die irrlichternd allegorische Form als einzige Möglichkeit, es noch mit den Anforderungen der Wirklichkeit aufzunehmen. Die wenigsten von Zaha Hadids Entwürfen sind gebaut worden. Sie leben als Zeichnung weiter, und das ist abschließendes Urteil und Zukunft zugleich. Mit einem Buch ist das anders: Es enthält eine Idee, und es setzt sie in die Welt wie ein unsichtbares Haus.

In seinem dritten Roman erzählt der 1953 geborene Ernst-Wilhelm Händler von einem deutschen Software-Ingenieur namens Suttung, der in den Vereinigten Staaten lebt und kluge Roboter plant. Am Strand des Atlantiks, während eines Urlaubs in Neuengland, lernt er Sieglinde und Mechthild kennen, eine Architektin und eine Soziologin, zwei nicht nur erotische Grüße aus der scheinbar längst zurückgelassenen Heimat. Das Leben des Ingenieurs ändert seinen Lauf: Er wird vom Arbeitgeber der beiden Walküren, dem Architekten Hant, dem größten Meister seiner Zunft, angestellt. Seine Aufgabe soll es sein, die geniale künstlerische Energie, das technische Können, die "Visionen" dieses Architekten in einem Computerprogramm zur Steuerung von Robotern zu simulieren, damit dessen Imperium fortbestehen kann, in alle Ewigkeit.

Der "Sturm" ist eigentlich ein Wirtschaftsroman. Dieses Genre ist, was man sehr bedauern kann, in der deutschen Literatur nahezu ausgestorben. Ernst-Wilhelm Händler will es zu neuem Leben erwecken, aber mit den großen Romanen des neunzehnten Jahrhunderts hat sein Buch nicht mehr viel zu tun. Es gibt keine Frontlinien mehr zwischen dem Geld und der ständischen Gesellschaft, zwischen dem Erwerbsleben und der privaten Existenz. Die einzige Grenze, die geblieben sein mag, ist die zwischen der harten Materie und einer radikal virtualisierten Wirtschaft. Am Schlagbaum begegnen sich der Software-Ingenieur und der Architekt, und am Ende müssen sie miteinander die Kräfte messen.

In diesem Roman ist fast alles Zitat. Am auffälligsten ist das im Umgang mit der nordischen Mythologie. Sie wirkt tief hinein in die Konstellation der Figuren und der Motive, ja in den Plan der Geschichte insgesamt. In mythischen Genealogien, alten Sternbilder und in der Kosmogonie spiegelt sich die Entstehung der virtuellen Welt. Durch das hypermoderne Haus hallt das Echo Richard Wagners, der von ferne die Fäden zieht. Die Figuren gleichen leidenden, schwer verwundeten, anthropomorphen Göttern. Und auch der Gegenstand des Konflikts, der große Bau, ist aus der Mythologie Wagners entliehen: die Manifestation einer "befehlenden und zwingenden Kraft, deren Ursprung unbekannt sei und die sich in Hant sammle. Diese Kraft werde die Teilung der Welt und die Gewalt überwinden. Hants Bauwerke seien ein Stück Erlösung für ein Reich, das komme." In Wirklichkeit heißen die Bauten dieses Architekten "Walhall".

Von Wieland Wagner, dem Enkel, stammt die Formulierung, Walhall sei Wall Street. Sie könnte als Motto über diesem Roman stehen. Wotan und Freja, Loge und Alberich - sie alle erscheinen in diesem Buch als zu Figuren geronnene Versprechungen aus den Selbstdarstellungen moderner Firmen, als in fiktive Häute geschlüpfte Formeln aus Marketingseminaren und Schulungen für Führungskräfte. Diese suggestive, an Überraschungen reiche Parallelaktion ist die große Leistung des Erzählers Ernst-Wilhelm Händler.

Robert Musil lässt im "Mann ohne Eigenschaften" seinen Großschrifsteller und Finanzmagnaten Arnheim sagen, das gesamte Wirtschaftsleben sei in Wahrheit eine Art von Poesie. Händler radikalisiert diesen Satz, bis in die Form seines Romans hinein. Er ist nicht leicht zu lesen. Die Figuren changieren, sie besitzen nur diffuse Gestalt, sie sind wandelbar wie die Formeln, denen sie ihren Ursprung verdanken. Händler kann zwar auf das intellektuelle Interesse seiner Leser spekulieren. Wer nach den Essays unter der Handlung sucht, der wird sie finden. Aber der Preis dafür ist hoch: Der Roman zerspringt in unzählige Aphorismen, und eher erinnert man sich nach der Lektüre an die eine oder andere Formulierung als an die Geschichte und ihre Helden.

Es mag seinen Sinn haben, wenn Zaha Hadids Entwürfe in aller Regel nicht gebaut werden. Sie wirken als Plan fort, sie gehen in andere Gebäude ein, sie machen Schule, und die Architektin tritt irgendwann hinter ihre Skizzen zurück. Der Erzähler dieses Romans aber tut das Gegenteil. Wenn alles zu verschwimmen scheint, wenn die Allegorien sich selbständig zu machen drohen, tritt er drei Schritte zurück. Selten hat ein Roman so sehr berichtet, so wenig erzählt. Jede Figur findet das ihr gemäße Ende, jede Parabel geht durch ihre feste Laufbahn, jede Formel wird ausgerechnet, und am Ende gleicht das Ganze einer gigantischen doppelten Buchführung, an deren Ende, so wie es sein muss, die Summe "Null" steht.

Der Software-Experte und der Baumeister kämpfen um eine Frau: Hants Frau Sean. Suttung hat sie, noch ehe er ihr begegnet, in seiner Phantasie als junges Wesen modelliert. Sie entpuppt sich als Greisin. Sie ist die Tradition der Architektur. Hant wiederum entpuppt sich als Revolte gegen die künstliche Welt, und am Ende gewinnen - oder verlieren - beide. Der Ingenieur kehrt zurück nach Amerika. Dort soll das Leben einfacher sein, und am Strand von Malibu gibt es keine Geschichte. "In seinen Robotorstudien, in seinen Versuchen, ein System zu entsinnen, das Hants Entwürfe erzeugte, hätte ein anderer an Suttungs Stelle sein können. Suttung freute sich bei dem Gedanken, austauschbar zu sein. Hant dagegen war in keinem Sinn austauschbar. Hant stand für einen falschen Weg in die Zukunft." Am Ende geht Suttung tanzen. Hinter seinem Rücken aber wächst das deutsche Unternehmen weiter. Es ist eine dunkle Macht.

Ernst-Wilhelm Händler: "Sturm". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 1999. 438 S., geb., 44,- DM.

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