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Die Studien zum genderneutralen Maskulinum gehen vom Epikoinon aus, das ungeachtet seines maskulinen, femininen oder neutralen Genus Personen aller Geschlechter und Gender bezeichnet ('der Mensch', 'die Koryphäe', 'das Genie'), weil seine Bedeutung sexusindifferent ist. Der einzige Unterschied der genderneutralen Maskulina wie 'Leser' ("viele Leser der Romane Thomas Manns sind Frauen") zu den Epikoina besteht darin, dass es zu ihnen Ableitungen mit ausschließlich spezifischer Sexusbedeutung ('Leserin') gibt. Die Existenz spezifischer Ableitungen ist die Grundlage des Postulats feministischer…mehr

Produktbeschreibung
Die Studien zum genderneutralen Maskulinum gehen vom Epikoinon aus, das ungeachtet seines maskulinen, femininen oder neutralen Genus Personen aller Geschlechter und Gender bezeichnet ('der Mensch', 'die Koryphäe', 'das Genie'), weil seine Bedeutung sexusindifferent ist. Der einzige Unterschied der genderneutralen Maskulina wie 'Leser' ("viele Leser der Romane Thomas Manns sind Frauen") zu den Epikoina besteht darin, dass es zu ihnen Ableitungen mit ausschließlich spezifischer Sexusbedeutung ('Leserin') gibt. Die Existenz spezifischer Ableitungen ist die Grundlage des Postulats feministischer Linguistik, dass auch deren Basen nur eine geschlechtsspezifische Bedeutung hätten, und zwar 'männlich'. Dem widersprechen die seit Beginn der Überlieferung des Deutschen belegten empirischen Fakten, die sich in Neutralisierungstheorien wie der Roman Jakobsons spiegeln. Vor diesem Hintergrund wird die feministische Argumentation methodisch analysiert und auf ihre ideologischen Grundlagen zurückgeführt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Wolfgang Krischke räumt ein, dass Eckhard Meinekes Buch Germanistenlektüre ist. Voraussetzungs- und anspruchsvoll selbst für linguistisch vorgebildete Leser sei, was der Sprachhistoriker an Fakten und linguistischen, philosophischen und politischen Argumenten in der Genderlinguistik vorlege. Meinekes Kenntnis der entsprechenden Literatur sei enorm, so Krischke. Gut, dass es dem Autor nicht um Spitzfindigkeiten zu tun ist, sondern um (genderlinguistische) Stichhaltigkeit in der Debatte bzw. im realen Sprachgebrauch, findet der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2023

Grammatik als Motor der Weltverbesserung?
Wie man die Wahrheit für eine geschlechtergerechte Sprache strapaziert: Eckhard Meineke zerlegt gängige Argumente der Genderlinguistik

Was vor mehr als vier Jahrzehnten als Protest gegen "Deutsch als Männersprache" begann, präsentiert sich heute als "gendergerechter Sprachgebrauch". Der argumentative Kern der Aktivitäten ist indes immer gleich geblieben: Es ist der Kampf gegen das generische Maskulinum durch die Leugnung seiner Geschlechtsneutralität. In Ausdrücke wie "Wähler" oder "Arbeitnehmer" ist nach Überzeugung der Genderlinguisten und ihrer Anhänger in Politik und Verwaltungen die Männlichkeit tief eingeschrieben. Sie streiten ab, dass die Bedeutung dieser Wörter in Formulierungen wie "Einkommensverluste der Arbeitnehmer" oder "alle Wähler sollten ihr Stimmrecht nutzen" nur die Rolle der Personen umfasst, aber ihr Geschlecht außen vor lässt.

Das generische Maskulinum gilt als Mogelpackung des Patriarchats, hinter der sich eine Wortform verbirgt, mit der Frauen und andere Geschlechtsidentitäten bestenfalls am Rande "mitgemeint" werden. Der Sprachhistoriker Eckhard Meineke - bis zu seiner Emeritierung Professor an der Universität Jena - hat in einer faktengesättigten Studie die Thesen und sprachlichen Eingriffe der Genderlinguistik und die ihnen zugrunde liegenden Argumentationsstrategien untersucht. Das Buch basiert auf einer umfassenden Kenntnis der relevanten Literatur, was angesichts der mittlerweile enormen Zahl wissenschaftlicher Arbeiten und publizistischer Stellungnahmen keine Selbstverständlichkeit ist. Der Autor nimmt die linguistischen, philosophischen und sprachpolitischen Aspekte gleichermaßen in den Blick, er verfolgt die Entwicklung des Genus zurück bis ins Indogermanische und die Geschichte des Genderns bis in seine Anfänge in den Siebzigerjahren.

An dessen Wiege stand neben den Gründungsmüttern der "feministischen Linguistik" und linksalternativen Journalisten auch das sozialdemokratisch geführte Bundesbildungsministerium, das 1979 die Beidnennung der Geschlechter in den Berufsausbildungsordnungen einführte. Das Urteil über Theorie und Praxis des Genderns, zu dem Meineke gelangt, ist eindeutig: Genderlinguisten verbreiten wider besseres Wissen Halb- und Unwahrheiten, um die "geschlechtergerechte" Sprache und ihre halbstaatlich und medial betriebene Durchsetzung im öffentlichen Sprachgebrauch zu legitimieren. In einem schlichten Konstruktivismus befangen, sehen sie die Grammatik als Motor der Weltverbesserung.

Am Beginn der Darstellung stehen nicht die generischen Maskulina, sondern Ausdrücke wie "Mensch", "Person" oder "Mitglied". Auch diese sogenannten Epikoina sind, unabhängig von ihrem Genus, geschlechtsneutral. Allerdings gibt es für sie keine femininen Ableitungen - außer im Germanistenverband, der 2011 ein Rundschreiben an seine "Mitgliederinnen und Mitglieder" schickte, oder im Online-Duden, der neuerdings die "Menschin" verzeichnet, weil diese abseitige Gelegenheitsbildung ins genderpolitische Schema passt.

Im unveränderlichen Genus der Epikoina liegt der entscheidende Unterschied zu Personenbezeichnungen wie "Arbeiter" oder "Patient", die als "generische Maskulina" bekannt und zum Stein des Anstoßes geworden sind. Meineke meidet allerdings diesen Begriff und spricht stattdessen vom "geschlechtsübergreifenden" oder "sexusneutralen Maskulinum". Das ist keine terminologische Spitzfindigkeit, sondern führt ins Zentrum der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen: "Generisch" bezeichnet genau genommen keine feststehende Eigenschaft, sondern nur den fallweisen Gebrauch von Wörtern in einem allgemeinen gegenüber einem spezifischen Sinn: Wenn "die Schule wegen Sanierungsarbeiten geschlossen wird", geht es um ein bestimmtes Gebäude, wenn "die Schule morgen wieder beginnt" um die Gesamtheit aller Schulen in einer Region.

In diesem Sinne können auch feminine Substantive, die von Maskulina abgeleitet sind, generisch gebraucht werden: "Soldatinnen sind in der Bundeswehr keine Besonderheit mehr". Der Begriff "generisch" veranlasst deshalb Genderlinguisten zu der These, auch beim geschlechtsneutralen Maskulinum handele es sich nur um einen fakultativen, zudem historisch jungen Sprachgebrauch, bei dem willkürlich ein Teil - die Männer - für die Gesamtheit der Geschlechter gesetzt werde. Meineke hält dagegen: Bei den geschlechtsneutralen Maskulina geht es nicht nur um einen punktuellen Gebrauch, sondern um Eigenschaften, die den Wörtern selbst innewohnen und seit zwölfhundert Jahren Teil des deutschen Sprachsystems sind.

Zugrunde liegt eine semantische und grammatische Asymmetrie zwischen Maskulinum und Femininum: "Arbeiter" ist in seiner Grundbedeutung sexusneutral und wird dort verwendet, wo es auf die Geschlechtszugehörigkeit nicht ankommt. Erst die Endung -in verleiht dem Mitglied der Arbeiterklasse ein Geschlechtsmerkmal und unterscheidet so die "Arbeiterin" von ihrem männlichen Pendant: Ist zugleich von "Arbeiterinnen" die Rede, schrumpfen die "Arbeiter" zur Männergruppe. Das Allgemeinmenschliche am geschlechtsübergreifenden Maskulinum macht einen Satz wie "Frauen sind die besseren Polizisten" sinnvoll im Gegensatz zu "Frauen sind die besseren Polizistinnen".

Für das weibliche Geschlecht stehen mithin zwei Genera - ein allgemeines und ein spezifisches - zur Verfügung; Männer müssen sich mit einem Genus begnügen, das in seiner spezifischen Bedeutung nur sie und in seiner allgemeinen auch sie bezeichnet. Diese Verhältnisse spiegeln sich in der Wortform: "Arbeiterin" ist durch die Endung gegenüber "Arbeiter" "markiert", nämlich komplexer und spezifischer. Deshalb können solche femininen Substantive auch keine geschlechtsübergreifende Funktion übernehmen im Gegensatz zur "Person", die zwar auch ein Femininum, aber grammatisch nicht abgeleitet ist.

Derartige Asymmetrien finden sich auch anderswo. So ist das Präsens gegenüber den anderen Tempora unmarkiert, denn es kann Gegenwart (Er kocht gerade das Essen), Zukunft (Übermorgen kocht er das Essen) oder auch Zeitlosigkeit (Wasser kocht bei hundert Grad) bezeichnen. Ein anderes Beispiel liefert der "Tag". In seiner allgemeinen Bedeutung bezeichnet das Wort die Zeitspanne der Erdumdrehung, in seiner spezifischen aber nur den Zeitraum, in dem es hell ist.

Die Opposition markierter und unmarkierter Formen gibt es in ganz unterschiedlichen Sprachen von der lautlichen Ebene bis zum Satzbau, wie die Linguisten Nikolai Trubetzkoy und Roman Jakobson bereits vor über neunzig Jahren herausfanden. Dass die Genderlinguistik diese Erkenntnisse ignoriert oder als irrelevant abtut, sieht Meineke als den Kernpunkt einer ideologisch motivierten Strategie. Sie ziele darauf ab, den genderneutralen Maskulina ihren sprachsystematischen Charakter abzusprechen, um sie zum Ausdruck männerdominierten Sprachgebrauchs erklären und politisch aufladen zu können. Auch gegen den Versuch, in das Neutrum und das Femininum anhand von Personenbezeichnungen wie "Weib" oder "Memme" eine gegenüber dem Maskulinum abwertende Bedeutung als Ausdruck "der alten Geschlechterordnung" hineinzuinterpretieren, führt Meineke stichhaltige Argumente ein.

Großen Raum im Buch nimmt die genderlinguistische Berufung auf Assoziationstests ein, deren Ergebnisse belegen sollen, dass geschlechtsübergreifende Maskulina im Kopf der Hörer und Leser vornehmlich Bilder männlicher Personen erzeugen. Meineke bestreitet nicht, dass es solche Assoziationen gibt. Er sieht sie aber wesentlich beschränkt auf Personenbezeichnungen, die sich - vor allem im Singular - auf konkrete Individuen beziehen. Für den öffentlichen Sprachgebrauch viel wichtiger sind Substantive wie "Bürger", "Wähler", "Verbraucher", die Gruppen von Menschen als Träger allgemeiner Tätigkeiten, Funktionen und sozialer Rollen erfassen. Bei ihnen tritt keine maskuline Schlagseite auf, sie rufen in der Regel gar keine inneren Bilder von konkreten, geschlechtlich gekennzeichneten Menschen hervor.

Meineke kritisiert zurecht, dass viele Tests diese Unterscheidungen nicht deutlich genug machen, sondern stattdessen maskuline Formen in Kontexte stellen, in denen sie typischerweise nicht sexusneutral verwendet werden, sodass geschlechtsspezifische Interpretationen programmiert sind. Hinzu kommt die mangelnde Repräsentativität vieler Probandengruppen und eine häufig zutage tretende Pro-Gender-Tendenz der Studienleiter.

Fraglich ist auch, welche Bedeutung für die reale Alltagskommunikation solche in künstlichen Laborsituationen erzeugten Assoziationen, die unterhalb der kognitiven Ebene des Sprechens und Verstehens angesiedelt sind, überhaupt haben. Die vergleichsweise wenigen Verständlichkeitstests zeigen, dass das genderneutrale Maskulinum keineswegs zu Fehlinterpretationen führt. Was Meineke nicht erwähnt, sind andererseits die Verständnisprobleme, die gegenderte Texte für Deutschlerner und Leichte-Sprache-Leser mit sich bringen.

Dass die Genderbefürworter künstlich ausgelöste Assoziationen statt des realen Sprachgebrauchs und Sprachbewusstseins der Sprecher in den Fokus stellen, liegt nicht nur an der Erwünschtheit der Ergebnisse. Es passt für Meineke auch zum dort gepflegten Bild der Sprachgemeinschaft als einer geistig trägen Masse von Laien, der eine aufgeklärte Elite den Weg in die Verbalgerechtigkeit weisen muss. Die Parallele zum Geist der Orthographiereform zieht der Autor nicht, sie liegt aber nahe.

Meinekes Werk glänzt immer wieder mit pointierten Formulierungen, aber leichtgängig ist die Lektüre nicht. Die Darstellung ist fachlich anspruchsvoll und verlangt dem linguistisch nicht vorgebildeten Leser einiges ab. Zu hoffen ist jedenfalls, dass viele Germanisten das Buch lesen werden. Auch die Genderfreunde unter ihnen sollten hier Fakten und Argumente finden, die ihnen Anlass zum Nachdenken geben. WOLFGANG KRISCHKE

Eckhard Meineke: "Studien zum genderneutralen Maskulinum".

Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2023. 358 S., geb., 36,- Euro.

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