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Die Rundfunkjournalistin Michela Canova ist fassungslos, ihre junge Nachbarin Angela Bari wurde mit zwanzig Messerstichen ermordet. Warum nur? Die Frage läßt Michela nicht mehr los. Sie beginnt, mit ihrem Tonbandgerät die Stimmen derer zu "sammeln", die der Toten nahestanden: die schizophrene Schwester, die resignierte Mutter, der attraktive, aber undurchsichtige Geliebte, die Prostituierte, die angibt, Angela wäre dem gleichen Gewerbe nachgegangen. Und sie sucht Kontakt zu der ermittelnden Kommissarin. Schließlich offenbart sich Michela das furchtbare Geheimnis, das die beiden Bari-Schwestern miteinander teilten.…mehr

Produktbeschreibung
Die Rundfunkjournalistin Michela Canova ist fassungslos, ihre junge Nachbarin Angela Bari wurde mit zwanzig Messerstichen ermordet. Warum nur? Die Frage läßt Michela nicht mehr los. Sie beginnt, mit ihrem Tonbandgerät die Stimmen derer zu "sammeln", die der Toten nahestanden: die schizophrene Schwester, die resignierte Mutter, der attraktive, aber undurchsichtige Geliebte, die Prostituierte, die angibt, Angela wäre dem gleichen Gewerbe nachgegangen. Und sie sucht Kontakt zu der ermittelnden Kommissarin. Schließlich offenbart sich Michela das furchtbare Geheimnis, das die beiden Bari-Schwestern miteinander teilten.
Autorenporträt
Dacia Maraini, geb. 1936 in Florenz und bis 1946 in Japan aufgewachsen, lebte danach erst in Palermo, jetzt in Rom. Nach journalistischen Anfängen erschien 1962 ihr erster Roman, und bereits 1963 'Zeit des Unbehagens' als zweiter. Für ihn erhielt sie den 'Prix Formentor'. Bis heute zieht sich das Thema Emanzipation beinahe leitmotivisch durch ihr Werk.
2015 erhielt Dacia Maraini die Ehrendoktorwürde der John Cabot University.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.08.1995

Männer mit rasenden Händen
Der feministische Thriller: Dacia Maraini im Andachtsraum

Als die Rundfunkjournalistin Michela Canova von einer Reise nach Rom zurückkehrt, erfährt sie vom Tod ihrer Nachbarin, einer schönen jungen Frau namens Angela. Auf die Suche nach dem unbekannten Täter macht sich pflichtgemäß die Kripo und aus ahnungsvoller Anteilnahme am Schicksal einer Geschlechtsgenossin, allein lebend wie sie selbst, freiwillig auch die Journalistin.

Zu Hilfe kommt ihr dabei ein dienstlicher Auftrag. Der Privatsender, für den sie arbeitet, wird mehr und mehr von weiblichen Hörern beansprucht, und das bedeutet aus der Sicht der männlichen Macher, daß das Niveau von Politik und Sport auf Tratsch und Klatsch, Lebenshilfe und Familienprobleme abgesenkt werden muß. Das sieht die Canova, eine bewußt lebende Frau und keineswegs männeridentifiziert, wie man so sagt, zwar gar nicht ein, aber sie übernimmt die Serie über unaufgeklärte Kapitalverbrechen an Mädchen und Frauen - willens, ein erstklassiges Exempel an feministischem Journalismus zu statuieren.

Ein Vorhaben, bei dem sie die Autorin nachdrücklich unterstützt, indem sie ihr so viel Mut und Sensibilität zuteilt, wie man sich nur wünschen kann; denn es geht hier nicht bloß um einen Mord, wie sich herausstellt, oder um zahllose andere Morde aus patriarchalisch-sexuellen Motiven, sondern des weiteren und allgemeineren um Seelenmord, von dem auch die Ich-Erzählerin irgendwie betroffen ist. Wer schleicht da nachts um ihr Bett und ist unsichtbar, wenn sie das Licht anknipst? Aus welchen Tiefen steigt die Tränenflut, die sie plötzlich im Spiegel über ihre Wangen strömen sieht? Hat der Vater das kleine Mädchen, das die Canova auch einmal war, damals vor dem Ertrinken gerettet, oder handelt es sich hier um eine Deckerinnerung, die Abgründe versteckt?

Diese Frage bleibt in der Schwebe in einem Roman, den Dacia Maraini - um eine Unterscheidung von Aby Warburg zu nutzen - als einen Andachts-, nicht als einen Denkraum konstruiert, auf den der Krimifan fixiert ist, auf den aber auch der Leser von psychologisch fundierten Gesellschaftsromanen sich eingerichtet hat. Wer Angela umgebracht hat, scheint eine DNS-Analyse zwar klarzustellen, die eine winzige Blutspur im Fahrstuhl ermöglicht, aber ob der kriminalpolizeilich identifizierte Täter es nun war oder ob nicht noch andere in Frage kommen, insbesondere der langjährige Geliebte der Erzählerin selbst, bleibt offen.

In jedem Krimi werden zwar falsche Fährten ausgelegt, wird der Leser an der Seite des Kommissars oder der neuerdings so beliebten weiblichen Privatdetektive in Sackgassen geführt. Mit der Verzögerung steigt die Spannung, und der Scharfsinn übt sich beim Lesen der Zeichen und Überprüfen der Verdächtigen, ehe man am Ende, mit dem kleinen Triumph der Aufklärung beglückt, sich der lustvollen Sisyphusarbeit des nächsten Falls zuwenden kann. Mit diesem literarischen Modell muß der Feminismus, jedenfalls in der Version von Maraini und bei dem Sujet, das sie sich gewählt hat, in Konflikt geraten. "Was liegt in der Weichheit eines weiblichen Körpers, das die Hand eines Mannes zur Raserei bringt?" fragt sich die Journalistin erschüttert und fassungslos angesichts der Mordopfer, von denen nur noch längst geschlossene Akten wissen. Die Wunschphantasie schließt sich an, es möge für sie auch ein Denkmal geben wie für den "Unbekannten Soldaten". Ein schiefer Vergleich nur für den, der nicht glaubt, daß gegen weibliche Menschen ein unerklärter Krieg geführt wird, der zwar nicht auf den ersten, um so deutlicher aber auf den zweiten und jeden folgenden Blick erkennbar wird.

Im Alltag von Michela Canova führt das wachsende Bewußtsein für diese Hinterwelt zu leicht paranoiden Zuständen und Geistererscheinungen. Andere Frauen wie Ludovica, Angelas Schwester, oder ihre Mutter bewahren die verleugnete Realität nur noch als Krankheit auf, als Ekzem, Migräne oder Schizophrenie. Diese lebenden Toten sind rettungslos verloren; wohingegen die wirklich tote Angela von der Erzählerin Besitz ergreift und endlich den straft, der gestraft gehört. Es scheint, als ob der Schauerroman feministischen Prämissen besser genügt als der Krimi.

Erschütterung und fassungsloses Staunen bei der seitenlangen Mitteilung schrecklicher Mordtaten an Mädchen und Frauen konstruieren beim sensiblen, noch nicht völlig abgebrühten Leser einen Andachtsraum. Wie man von hier aus zum literarischen Text, gleich welchen Genres, kommen soll, dieses Problem ist bei Maraini noch nicht gelöst. Die Vermutung, daß die moralische Empörung über Mörder, Vergewaltiger, Schläger und Kindesmißbraucher sich mit einsinnigen Erzählungen zwar immer weiter steigern, aber in einen stimmigen Roman nicht transformieren läßt, behält also einiges für sich.

Verglichen mit früheren Werken der italienischen Erfolgsautorin, ist dieses Buch ein schriftstellerisches Fiasko. Ein Autor, der vor lakonischen Polizeimeldungen das Handtuch wirft und den Schock bloß mit gerade gangbaren psychologischen Theorien und fragwürdigen Statistiken umrundet, ist gescheitert. Daß endlich monologische Enthüllungen, Bekenntnisse und kaschierte Geständnisse von Opfern und Tätern das Autorendefizit kompensieren, setzt Maraini der Konkurrenz jener "Dokufiktion" aus, die das gewählte Sujet auf dem Markt im Namen der Authentizität längst an sich gerissen hat. KATHARINA RUTSCHKY

Dacia Maraini: "Stimmen". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Eva-Maria Wagner. Piper Verlag, München 1995. 407 S., geb., 42,- DM.

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