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Cechovs erster längerer Prosa-Text erschien 1888 zunächst in einer Zeitschrift und wurde noch im gleichen Jahr in einem Erzählungsband aufgenommen; dieser Band erlebte bis 1899 13 Auflagen. Peter Urban hat die Geschichte neu übersetzt und ausführlich kommentiert.

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Produktbeschreibung
Cechovs erster längerer Prosa-Text erschien 1888 zunächst in einer Zeitschrift und wurde noch im gleichen Jahr in einem Erzählungsband aufgenommen; dieser Band erlebte bis 1899 13 Auflagen. Peter Urban hat die Geschichte neu übersetzt und ausführlich kommentiert.
Autorenporträt
Anton Tschechow, geb. am 29. Januar 1860 als Sohn eines kleinen Händlers in der südrussischen Hafenstadt Taganrog, studierte Medizin und machte sich schon während des Studiums mit humoristischen Geschichten einen Namen. 1890 unternahm der bereits lungenkranke Tschechow eine Reise auf die Sträflingsinsel Sachalin, um von den Bedingungen im Strafvollzug im Zarenreich zu berichten. Bereits während seines Arztpraktikums wurde sein Stück 'Onkel Wanja' uraufgeführt. 1892-99 lebte Tschechow als Landarzt und Schriftsteller auf seinem Landgut in Melicho bei Moskau. 1899 siedelte er wegen seiner Lungentuberkulose nach Jalta um. 1901 heiratete er Olga Knipper, eine Schauspielerin, die oft die Titelrollen in seinen Stücken auf der Bühne des Moskauer Künstlertheaters spielte. Tschechow starb am 15. Juli 1904 in Badenweiler.

Peter Urban, geboren 1941 in Berlin, studierte Slavistik, Germanistik und Geschichte in Würzburg und Belgrad, war Verlagslektor bei Suhrkamp, Hörspieldramaturg beim WDR und ist Lektor im Verlag der Autoren in Frankfurt; er übersetzte u.a. Werke von Gorkij, Ostrovskij, Daniil Charms, Kazakov, Chlebnikov und das gesamte dramatische Werk von Anton Cechov. Für seine Neuedition und -übersetzung der Cechov-Briefe wurde ihm der Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis zuerkannt. Peter Urban verstarb 2013.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.1997

Der Zar der violetten Ferne
Rauh und brüchig: Peter Urban gibt Tschechows "Steppe" ihren eigenen Ton zurück · Von Ralph Dutli

Von Selbstzweifeln wurde Tschechow gequält, als er die "Steppe" schrieb, den ersten seiner sieben "kleinen Romane". Der Meister der Kurzgeschichte hatte bereits beachtliche Erfolge eingeheimst, als er sich, auf Drängen des Schriftstellers Grigorowitsch, an die größere Form wagte. Die frühen parodistischen Romane von 1882 zählten in seinen Augen nicht, sie waren Fingerübungen eines talentierten Jungautors. Nun aber stand ein "ernsthaftes Unternehmen" bevor.

Im Frühjahr 1887 hatte Tschechow eine sechswöchige Reise in den Süden Rußlands unternommen, in seine Geburtsstadt Taganrog, den Ort seiner unerfreulichen Kindheit unter der Fuchtel eines jähzornigen, ungerechten Vaters, eines Bankrotteurs auch in Erziehungsdingen. Auf dieser Reise muß Tschechow auf den Gedanken verfallen sein, die russische Steppe zur Hauptfigur eines literarischen Werkes zu machen. Als der Roman Anfang 1888 entstand, schrieb der Autor Briefe, um seine Selbstzweifel zu exorzieren. An Wladimir Korolenko schreibt er am 9. Januar 1888 von seiner "Angst, Überflüssiges zu schreiben", im Brief an Grigorowitsch vom 12. Januar spürt er, "daß ich vieles bewältigt habe, daß es Stellen gibt, die nach Heu riechen", aber es komme "etwas Merkwürdiges und nicht übermäßig Originelles" dabei heraus, "weil ich große Sachen noch nicht schreiben kann". Am 18. Januar, im Brief an Polonskij, fürchtet er das Urteil der Kritik, hofft aber gleichzeitig auf den verständigen Feinschmecker: "Es gibt viele Stellen, die weder Kritik noch Publikum verstehen werden: beiden werden sie läppisch, nicht der Beachtung wert erscheinen, aber ich freue mich schon jetzt, daß gerade diese Stellen von zwei, drei literarischen Gourmets verstanden und geschätzt werden, und das reicht mir schon. Im ganzen befriedigt mich meine Novelle nicht. Sie kommt mir massig, langweilig und zu speziell vor. Für das moderne Lesepublikum ist ein Sujet wie die Steppe mit ihrer Natur und ihren Menschen zu speziell und unbedeutend." Darauf am 23. Januar an Plestschejew: "Ich verzage und fürchte, daß aus meiner "Steppe' etwas Bedeutungsloses wird." Dann aber, in einem Brief vom 4. Februar 1888, wird der Selbstzweifel allmählich doch überwunden: "Ob sie gelungen ist oder nicht, weiß ich nicht, aber sie ist jedenfalls mein Chef-d'OEuvre."

Daß sich das Drama der Entstehung - ein eigener Künstlerroman, der die Lektüre lohnt - auch für den deutschen Leser in Tschechows Briefen mitverfolgen läßt, ist das Verdienst der vor Jahren entstandenen, fabelhaften fünfbändigen Diogenes-Briefausgabe, für die man Peter Urban gar nicht genug danken kann. Jetzt hat Urban in einem schönen Bändchen der Friedenauer Presse seine Neuübersetzung von "Steppe" vorgelegt.

War es wirklich notwendig, dieses Buch, von dem verschiedene deutsche Übersetzungen existieren, noch einmal zu übersetzen? Zweifellos. Denn Tschechow leidet noch immer unter den vielen Eindeutschungsversuchen, die aus ihm einen typischen, ganz gewöhnlichen Autor der Jahrhundertwende machen, mit üppigen, schön geschwungenen, impressionistisch vollgedrängten Satzperioden. Vor lauter Schwulst und Schlacken wurde die weit modernere Musikalität, die ihm eigen ist, allzuoft überhört. Diese Musikalität ist oft bewußt spröde, schmucklos, von gewollter Rauheit, Brüchigkeit und Dissonanz. In seiner neuen Übersetzung kommt Urban diesem Tschechow-Ton nah wie noch nie. Bereits das Weglassen des bestimmten Artikels im Titel ist Programm. Selbst der russischen Syntax versucht sich Urban im Deutschen anzunähern und geht damit an eine Grenze. Das Verfahren ist riskant und problematisch, Urbans Versuche sind aber zumindest bedenkenswert. In der ungehobelten Redeweise der um das Feuer versammelten Fuhrleute, die sich Räubergeschichten erzählen, erreicht eine volksmundhafte Rumpfsyntax ihren Höhepunkt. ,Schönheit" der Sätze im konventionellen Sinn ist hier kein Kriterium mehr.

Modern mutet "Steppe" auch insofern an, als große Ereignisse oder Umschwünge, wie das Genre der Novelle oder des Kurzromans sie erwarten ließe, bewußt verweigert werden. Tschechow wollte "den Eindruck einer nicht abgeschlossenen Arbeit" erwecken. Der Plan, den Faden später wiederaufzunehmen, wurde nicht verwirklicht, und das ist nur folgerichtig. Jede Steppe bleibt vollendetes Fragment.

Nichts also geschieht, gar nichts - oder doch sehr viel. Ein neunjähriger Junge, Jegoruschka, wird von seiner Mutter in die Stadt geschickt, wo er aufs Gymnasium gehen soll. Er wird seinem Onkel, einem Kaufmann, und einem Priester anvertraut, die als Begleiter eines mit Wollballen vollgepackten Wagen-Trosses die Steppe durchqueren. Die Steppe, heiß und monoton, ist an sich die Verweigerung großer Ereignisse - sie verändert aber auch die Wahrnehmung, wie Ozeanüberquerungen und Wüstenreisen es tun. Wo wenig sich abspielen kann, wird das Auge empfänglich für die kleineren Dramen. Tschechow hat als "Hauptperson" bewußt ein Kind gewählt, das nicht als Handelnder auftreten, kein aktives Prinzip verkörpern muß, sondern als einsamer Empfänger von Eindrücken eine passive Rolle spielen darf. Falls das Kind überhaupt die Hauptperson ist und nicht die stimmenreich und stumm immer gegenwärtige Steppe. Als Tschechow das Buch für eine Gesamtausgabe seiner Werke überarbeitete, kürzte er rigoros bei den Gefühlen und Träumen des Kindes, wohl auch, um die Rührung des Lesers zu beschneiden, aber letztlich zugunsten der eigentlichen Hauptfigur, der Steppe.

Mit allegorischen Deutungen sollte man dieses rauhe Stück Prosa nicht allzusehr belasten. Gewiß beschreibt die im Untertitel "Geschichte einer Reise" genannte Nicht-Novelle eine "Reise ins Leben", eine "Lebensreise" mit ihren Erwartungen und Enttäuschungen, ihren kleinen Genüssen, Unannehmlichkeiten, erwünschten und unliebsamen Begegnungen. Zuviel Sinnbildlichkeit sollte aber den Atem dieser Prosa nicht ersticken, die vom Atem der Steppe lebt. Trotzdem: Peter Urban "kommentiert" (so das Titelblatt der Neuübersetzung) allzu knapp. Drei, vier Seitchen demonstrativ leidenschaftsloser "Nachbemerkung" mit kargen Erwähnungen von Daten und Briefen sind von seiten eines so profunden Kenners einfach geizig. Lakonik ist bei seiner Neuübersetzung ein unbestreitbarer Zugewinn, dem die Einsilbigkeit bei der Vermittlungsarbeit in Nachwort und Kommentaren unschön korrespondiert.

Tschechow hingegen kommentiert sein Werk in den Briefen großzügig. Im Schreiben an Grigorowitsch vom 12. Januar 1888 spricht Tschechow von einer "Steppen-Enzyklopädie", die seinen "Altersgenossen die Augen öffnen" soll. Er will ihnen zeigen, "welcher Reichtum, welch Brachland der Schönheit noch unberührt daliegt". Also schildere er - botanische, zoologische und ethnographische Präzision versteht sich - "die Ebene, die violette Ferne, Schafzüchter, Juden, Popen, nächtliche Gewitter, Herbergen, Steppenvögel und so weiter".

Das Aufregende ist die Wahrnehmung der Steppe selber. Auffälligstes künstlerisches Verfahren ist ihre Vermenschlichung. Die Steppe "lächelt" am Morgen, doch ist der Tau verdunstet und die Luft in der allmählich aufkommenden Hitze erstarrt, nimmt die "betrogene Steppe" ihr trostloses Aussehen an. Was einem zunächst als ungehöriges Verfahren erscheinen muß, wird nach und nach bezwingend: Die Steppe in ihrer ungeheuren Weite ist nur erfahrbar, wenn man ihr Gefühle leiht, auch wenn diese sparsam und gebändigt erscheinen. Ein Kind fährt durch die Steppe, doch auch die Steppe ist ein Kind. "Die ganze Steppe versteckte sich in diesem Dunst wie Mojsej Mojsei cs Kinder unter der Bettdecke." Die vier unter der Bettdecke hervorlugenden Kinder des jüdischen Herbergswirts hatte Jegoruschka kurz zuvor während einer Rast gesehen, als die Wirtin ihm einen Pfefferkuchen geschenkt und sein Alleinsein, sein Getrenntsein von seiner "Mamenka" bedauert hatte. Das ist nur eine der Stellen, wo das wichtigste Leitmotiv dieser Prosa aufscheint, die Einsamkeit, die das Kind, die Natur, die Steppe gleichermaßen betrifft.

Daß Tschechow selber die Steppe erlebt hat, daß autobiographische Elemente in sein Werk eingeflossen sind, belegt der Brief an Plestschejew vom 9. Februar 1888. Dem in "Steppe" geschilderten jüdischen Herbergswirt war er siebzehnjährig begegnet, 1877, als er an Bauchfellentzündung erkrankt war und in der Steppenherberge eine qualvolle Nacht zubringen mußte und der Wirt ihn mit Senfpflastern und Kompressen versorgte.

"Steppe" zeigt keine Reise ohne Ende, es gibt die Ankunft in der Stadt, und der kleine Jegoruschka wird es mit bitteren Tränen begrüßen, das "neue, ungewisse Leben, das jetzt für ihn begann . . ." Auch der Leser bedauert das Ende der Reise, denn es ist nicht leicht, sich dem Sog dieser "Steppe" zu entziehen. Im Brief an Grigorowitsch vom 5. Februar 1888 hat Tschechow noch immer leise Bedenken, wenn er an Gogols Kosaken-Steppe in "Taras Bulba" denkt: "Ich weiß, Gogol wird mir im Jenseits zürnen. Er ist in unserer Literatur der Zar der Steppe." Daß die Zaren wechseln, weiß Tschechow natürlich. Und ebenso, bei all seiner Bescheidenheit, daß er selber gerade dabei war, der neue Zar der Steppe zu werden.

Anton Tschechow: "Steppe". Die Geschichte einer Reise. Aus dem Russischen übersetzt und kommentiert von Peter Urban. Friedenauer Presse, Berlin 1997. 142 S., br., 28,- DM.

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