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Stefan George wird in seiner Rolle als Ästhet, Führer und Prophet als ein mit allen rhetorischen Techniken vertrauter Dichter dargestellt, dem es gelang, aus einer Gruppe dichtungsbeflissener Literaten einen Kreis begeisterter und gläubiger Jünger zu machen. Mit seiner zur Drucktype stilisierten Handschrift, der Vor-Lesung als Medium exklusiver Kommunikation des Kreises und mit seinen publizistischen Strategien versucht George die Aufmerksamkeit des Lesers durch Mittel auf sich zu lenken, die Distanz und Werbung zugleich erreichen sollten. Ganz entgegen seiner Technikverachtung zeigt er sich…mehr

Produktbeschreibung
Stefan George wird in seiner Rolle als Ästhet, Führer und Prophet als ein mit allen rhetorischen Techniken vertrauter Dichter dargestellt, dem es gelang, aus einer Gruppe dichtungsbeflissener Literaten einen Kreis begeisterter und gläubiger Jünger zu machen. Mit seiner zur Drucktype stilisierten Handschrift, der Vor-Lesung als Medium exklusiver Kommunikation des Kreises und mit seinen publizistischen Strategien versucht George die Aufmerksamkeit des Lesers durch Mittel auf sich zu lenken, die Distanz und Werbung zugleich erreichen sollten. Ganz entgegen seiner Technikverachtung zeigt er sich gegenüber dem neuen Medium der Fotografie nicht nur aufgeschlossen, sondern instrumentalisiert es zur charismatischen Selbstinszenierung, des ästhetischen Kultes und der Propaganda. Im Kontext der Nachkriegszeit, der Weimarer Republik und schließlich des Dritten Reiches entwickelt jedoch Georges Vision eines 'neuen Reiches' eine unheilvolle Dynamik. Die Anstrengungen vieler seiner Anhänger wurde gespeist aus der Sehnsucht nach wirklichem politischen Leben, nach einem sinnvoll 'gewebten' Dasein. Aber ihre Bemühungen blieben ästhetische Gestaltungen dieser Sehnsucht, rhetorische Begleitaffekte zu den politischen Vorgängen und letztlich Fluchtbewegungen.Stefan George wird in seiner Rolle als Ästhet, Führer und Prophet als ein mit allen rhetorischen Techniken vertrauter Dichter dargestellt, dem es gelang, aus einer Gruppe dichtungsbeflissener Literaten einen Kreis begeisterter und gläubiger Jünger zu machen. Mit seiner zur Drucktype stilisierten Handschrift, der Vor-Lesung als Medium exklusiver Kommunikation des Kreises und mit seinen publizistischen Strategien versucht George die Aufmerksamkeit des Lesers durch Mittel auf sich zu lenken, die Distanz und Werbung zugleich erreichen sollten. Ganz entgegen seiner Technikverachtung zeigt er sich gegenüber dem neuen Medium der Fotografie nicht nur aufgeschlossen, sondern instrumentalisiert es zur charismatischen Selbstinszenierung, des ästhetischen Kultes und der Propaganda. Im Kontext der Nachkriegszeit, der Weimarer Republik und schließlich des Dritten Reiches entwickelt jedoch Georges Vision eines 'neuen Reiches' eine unheilvolle Dynamik. Die Anstrengungen vieler seiner Anhänger wurde gespeist aus der Sehnsucht nach wirklichem politischen Leben, nach einem sinnvoll 'gewebten' Dasein. Aber ihre Bemühungen blieben ästhetische Gestaltungen dieser Sehnsucht, rhetorische Begleitaffekte zu den politischen Vorgängen und letztlich Fluchtbewegungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2001

Posen eines Handlungsreisenden
Martin Roos inspiziert Stefan Georges rhetorische Trickkiste

"Wirkung" war nicht nur eine Hauptkategorie der Geschichtsdeutung, die sich auf Stefan George berief, ihr galt auch die Sorge des Meisters bei jedem Wort und jeder Geste. George, der Verschlossene, der Heimliche, war zugleich ein Meister der public relations, der seine Kunst so raffiniert zu inszenieren wußte wie die wenigen, streng stilisierten und als autorisierte Bilder dargebotenen Aspekte seines Lebens. George war weder der erste noch der letzte Künstler, der sich als maudit, als vates oder als Messias stilisierte, und so wie ihm Baudelaire und Liszt vorangegangen waren, sollten ihm Warhol, Jünger und Beuys nachfolgen. Aber keiner von ihnen konnte ihm das Weihwasser reichen, was selbstquälerische Strenge in der Pflege der einmal gewählten Form anging; keiner sollte wie er eine Jüngerschaft prägen, die noch bald siebzig Jahre nach seinem Tode Gestus und Habitus lebendig erhält. In allen gelehrten Gesellschaften, die sich heute der Pflege eines literarischen Erbes verschrieben haben, ob sie nun Prousts gedenken oder Hofmannsthals, herrscht ein durchaus weltlicher Geist, nur bei den Georgeanern liegt immer noch ein Weihrauchkörnchen auf der Zigarette. Die Selbsterfindung und -vermarktung des Dichters Stefan George, die von ihm selbst inspirierte und von glaubensfesten Bewunderern betriebene Auratisierung des Meisters ist zuerst in der üppig sprießenden Memorialliteratur, später in sensiblen literatur- und religionssoziologischen Analysen von Gert Mattenklott bis Wolfgang Braungart eingehend beschrieben worden. Neuentdeckungen sind hier nicht per se unmöglich, aber wohl nur auf dem Talweg intensiver Archivarbeit zu machen. Martin Roos ist in seiner Tübinger Dissertation, die jetzt, mit einem kleinen Faksimile- und Bildanhang versehen, als anmutiges Buch erschienen ist, statt dessen den Höhenweg der Neuinterpretation gegangen. Keine der vielen bunten Scherben, die er vor uns ausbreitet, ist dem mit der George-Literatur Vertrauten unbekannt. Und auch das Kirchenfenster, in dem er sie neu zum Bild zusammensetzt, kommt einem seltsam bekannt vor. Erinnert es doch an jene Kapelle des Tübinger Rhetorikstifts, in der Pfarrer Ueding alle Tage den Klingelbeutel der Beredsamkeit schwenkt: Martin Roos zeigt George als Rhetoriker in der Vierfalt seiner Ausdrucksformen Schrift, Buch, Bild und Kreis.

Unmißverständlich benennt Roos im Vorwort sein Ziel: "Das vorliegende Buch hat Georges wirkungsintentionale Formen und rhetorische Praktiken zum Inhalt. Ich gehe davon aus, daß selbst die kleinsten Äußerlichkeiten des Dichters intentional, situativ ausgerichtet und damit rhetorisch im Sinne von persuasorisch sind." Das Unglück dieser jüngsten George-Studie liegt nicht darin, daß sie ihr Ziel verfehlt, sondern daß sie es erreicht. Denn was ist gewonnen, wenn dem Leser ein ums andere Mal, ob an der Entwicklung der George-Schrift oder an der Stilisierung des "Hauptes" im Porträt, bedeutet wird, all dies seien Akte der gestischen Überredung, die der immergleichen Trinität von Absichten - Selbstinszenierung, Gemeinschaftsbildung und Herrschaftsausübung - dienen? Was haben wir begriffen, wenn wir erfahren, daß "das Streben nach Handwerklichkeit" ein "Merkmal der Selbstinszenierung Georges" war? Der tugendhafte Deuter spürt die Absicht auf und ist comme il faut verstimmt - was aber hat der ideologiekritisch oder rhetorikkritisch belehrte Leser über George gelernt?

Wenn es tatsächlich, wie Roos behauptet, Georges Absicht war, "sich in seinem Auftreten, seinem Sprechen und seinem Tonfall, in den Gebärden und Handlungen darzustellen und mit dieser Präsentation im Sinne des rhetorischen Ziels der persuasio glaubwürdig zu erscheinen" - was unterscheidet ihn vom Handlungsreisenden, der vorm Spiegel das unwiderstehliche Käselächeln übt, das alle Hausfrauen schwach werden läßt? Was von dem Rhetor Hitler, der vor Heinrich Hoffmanns Kamera jene exaltierten Posen einstudierte, die die Massen in Bann schlagen sollten? Es ist das Elend der gesamten Wirkungsforschung und ideologiekritischen Befassung mit George, das hier zutage tritt: Sie ergreift den Zauberer und verfehlt den Zauber.

Kleinere Irrtümer fallen demgegenüber kaum ins Gewicht. So die aus englischer Sekundärliteratur kolportierte Vermutung, Hitler habe den Begriff "Führer" in dessen "überhöht religiöser Bedeutung" von George (auf dem Weg über Kommerell) übernommen. Oder die Behauptung, das Verkehrsschild "Staat" habe erst Wolters in seiner "Blättergeschichte" vor der Einfahrt in den George-Kreis aufgestellt. Aber auch manch zartes Pflänzlein guter, selbständiger Beobachtung: etwa den Widerspruch von Exklusivität und Publizität betreffend, die Architektonik der Georgeschen Dichtung oder die fotografische und literarische Komposition des Georgeschen "Hauptes" - all das geht am spröden Spalier der Tübinger Rhetorikschule ein, statt an ihm zu gedeihen. Am Ende richtet sich der rhetorikkritische Verdacht des Lesers gegen den Autor und seine tüchtige Übung selbst: Komm in den Park der gelehrten Selbstinszenierung.

ULRICH RAULFF

Martin Roos: "Stefan Georges Rhetorik der Selbstinszenierung". Grupello Verlag, Düsseldorf 2000. 226 S., br., 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ulrich Raulff hat hier "manch zartes Pflänzchen" in Form vielversprechender Denkansätzen am "Spalier der Tübinger Rhetorikschule" verdorren sehen . Mit ihrem "kleinen Faksimile- und Bildanhang" fand er diese Dissertation rein äußerlich zwar ganz "anmutig". Bei der Beurteilung ihres Inhaltes fällt dann aber recht bald das böse Wort "Unglück", demgegenüber im Auge des Rezensenten dann sogar "kleinere Irrtümer" der Studie kaum noch ins Gewicht fallen. Unglück deshalb, weil der eifrige Autor sein Ziel erreichte, also als "tugendhafter Deuter" die Techniken von Stefan Georges Selbstinszenierungen entlarvte. Doch damit, meint Raulff, ist eben gar nichts gewonnen. Es sei eher "das Elend der gesamten Wirkungsforschung und ideologiekritischen Befassung mit George", das hier noch einmal zu Tage trete: der Zauberer werde ergriffen, der Zauber jedoch verfehlt.

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