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Wie in der Gegenwart, so forderten Feuersbrünste, Erdbeben, Überschwemmungen und Kriege auch in der Vergangenheit unzählige Todesopfer, verwüsteten Landschaften und zerstörten Städte. Immer bedeuteten Katastrophen für die Überlebenden einen tiefen Lebenseinschnitt, der gedeutet und verarbeitet sein will. Die Beiträge des Bandes untersuchen epochenübergreifend die bewusstseinsprägende Wirkung solcher Katastrophen für städtische Gemeinwesen und ihre Bewohner. Gefragt wird danach, ob und wie bei der baulichen Neugestaltung des Stadtraums an Traditionen angeknüpft wird, ob Katastrophen zum Anlass…mehr

Produktbeschreibung
Wie in der Gegenwart, so forderten Feuersbrünste, Erdbeben, Überschwemmungen und Kriege auch in der Vergangenheit unzählige Todesopfer, verwüsteten Landschaften und zerstörten Städte. Immer bedeuteten Katastrophen für die Überlebenden einen tiefen Lebenseinschnitt, der gedeutet und verarbeitet sein will.
Die Beiträge des Bandes untersuchen epochenübergreifend die bewusstseinsprägende Wirkung solcher Katastrophen für städtische Gemeinwesen und ihre Bewohner. Gefragt wird danach, ob und wie bei der baulichen Neugestaltung des Stadtraums an Traditionen angeknüpft wird, ob Katastrophen zum Anlass für eine Intensivierung der Verwaltungsbemühungen genommen werden und danach, wie die Erinnerung an die Zerstörung im öffentlichen Gedächtnis bewahrt wird.
Die Themen: Stadtzerstörung und Wiederaufbau in der Antike / Die Zerstörung Bagdads 1258 / Erdbeben in Basel 1356 und Großfeuer in Frankenberg 1476 / San Francisco und das Erdbeben 1906 / Dresden 1945 / Halle und Leipzig 1989
Autorenporträt
Dr. Andreas Ranft ist Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Halle.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2004

Auferstanden aus Ruinen
Wie aus Depression Aufbruchstimmung wird: Katastrophen und therapeutische Gemeinschaften
Die Erde bebte gewaltig. Die Mauern der Stadt zitterten und barsten. Auch die des Palace-Hotels. Der berühmte Tenor Enrico Caruso erwachte kurz nach fünf in der Frühe vom Tumult, warf sich seinen Morgenmantel über und flüchtete mit den anderen Hotelgästen ins Freie. Fest umklammert hielt er ein handsigniertes Portrait Theodore Roosevelts, eines der wenigen Gegenstände, die er retten konnte. Caruso war einer der prominenten Augenzeugen einer bis heute legendären Katastrophe: Das Erdbeben von San Francisco vom 18. April 1906. Doch das Beben war erst der Beginn des Schreckens. Das nun ausbrechende Großfeuer, das über vier Tage durch die Stadt raste - alle Hydranten hatten ihren Dienst versagt - zerstörte 28 000 Häuser. Die Stadt war durch den Brand fast komplett zerstört worden.
Doch buchstäblich wie Phoenix aus der Asche wurde die Stadt in unglaublich kurzer Zeit neu errichtet. Sehr schnell nämlich war das Gefühl der Depression einer dynamischen Aufbruchstimmung gewichen. Diese sich in den Tagen und Wochen nach der Katastrophe entwickelnde starke Zusammengehörigkeit mit dem unbeugsamen Willen zum Wiederaufbau, ist von Sozialgeographen als „therapeutic community” bezeichnet worden. Und genau diesen „Therapeutischen Gemeinschaften”, die im Gefolge von Stadtzerstörungen auftreten können, gilt die Aufmerksamkeit des Bandes, der auf Beiträgen einer Vortragssektion des Historikertags 2002 in Halle beruht. Es geht bei dem gelungenen Zugriff also nicht um die „Städte in Trümmern”, sondern um die Gemeinschaften, die „Städte aus Trümmern” neu erschufen.
In einer Reihe von sehr interessanten Fallstudien versuchen die Autoren zu ermitteln, wie diese Einträge im kulturellen Gedächtnis konkret funktionierten und teilweise immer noch funktionieren. Denn nur was als Katastrophe erlebt und vor allem im Gedächtnis gespeichert wurde, ist auch erst im Sinne der Erinnerungen eine Katastrophe.
Neben San Franzisco (Christoph Strupp) ist hier auch von Rhodos und Demetrios, Sohn des einäugigen Alexandergegners Antigonos, die Rede, dessen Hauptbeschäftigung in der Eroberung und Zerstörung von Städten bestand. (Burkhard Meißner)
Diese Vorliebe hat Demetrios auch gleich einen dementsprechenden Beinamen eingebracht: Poliorketes - der Städteeroberer. Ein erstaunliche Befund ist nun, wie sich bei den Bürgern von Rhodos der Katastrophenmythos zum Stadtmythos ausprägte und so gleichsam auch Bewältigungsmythos wurde. Denn das Erfolgsrezept in der Überwindung von Katastrophen sahen die Rhodier in ihrer eigenen guten politischen Ordnung.
Wie die Zeitgenossen die Einnahme Bagdads durch die Mongolen im Jahre 1258 sahen und wie es Saddam Hussein verstand, dieses Bild mit dem Einmarsch britischer und US-amerikanischer Truppen gleichzusetzen (Stephan Connermann), ist ebenso verblüffend zu lesen, wie das Erdbeben von Basel 1356 und das Großfeuer in Frankenberg 1476 seinerzeit identifikationsstiftend wirkten (Gerhard Fouquet). Da das Zerstören von Stadträumen einem Löschen der Identität gleichkommen kann, ist durch den fortschreitenden Verfall der Altstädte in der DDR zugleich ein Teil der Öffentlichkeit politisiert worden (Georg Wagner-Kyora).
Ob allerdings der Mythos vom „Alten Dresden”, der ein halbes Jahrhundert bis heute sowohl als positiv besetztes Leitbild, als virtueller Fluchtort der Bewohner sowie als politisches Argument im kalten Krieg benutzt wurde, ausschließlich ein Nostalgieprodukt zu sein scheint, müssen weitere Forschungen über den Erinnerungsort „Dresden” erst noch erweisen (Matthias Meinhardt). Zu der Frage, wie solche Ereignisse in den kollektiven Gedächtnissen nachfolgender Generationen lebendig bleiben, Verformungen unterworfen sind oder ganz gelöscht werden, ist ein neuer Aspekt hinzugetreten, denn in der Gegenwart werden Katastrophen durch die Medien, wie Hans Blumenberg einmal formulierte, zu einem „Schiffbruch mit Zuschauer”, man könnte auch sagen, zum Turmeinsturz in der Bildschirmschleife.
So ist zwangsläufig eine Kulturgeschichte der Katastrophenbewältigung zugleich eine Kulturgeschichte der Erinnerungstechniken und Kommunikationsstrategien. Klar wird durch die Beiträge des Bandes zudem: Städte können unabhängig von der Höhe der Schäden gestärkt aus Katastrophen hervorgehen, wenn Gemeinden über einen gemeinsamen Werte- und Traditionshorizont verfügen und daher Visionen eines Neuaufbaus besitzen, der von allen geteilt wird und diesen als Teil eines kommunalen Leitbildes verstehen.
OLAF B. RADER
ANDREAS RANFT / STEPHAN SELZER (Hrsg.): Städte aus Trümmern. Katastrophenbewältigung zwischen Antike und Moderne, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 288 Seiten mit 11 Abbildungen, 26,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gelungen findet Olaf B. Rader diesen Band über Katastrophenbewältigung von der Antike bis heute. Den Autoren geht es weniger um die Stadtzerstörungen selbst, als um die Gemeinschaften, die in deren Gefolge auftreten können, berichtet Rader. Aus Depression sei dabei oft Aufbruchstimmung entstanden. Als "sehr interessant" lobt er die im Band versammelten Fallstudien über die Frage, wie diese Einträge im kulturellen Gedächtnis konkret funktionierten und teilweise immer noch funktionieren. Nur was als Katastrophe erlebt und im Gedächtnis gespeichert worden sei, so Rader, sei auch erst im Sinne der Erinnerungen eine Katastrophe. Neben Christoph Strupps Beitrag über das Erdbeben in San Franzisco hebt er Burkhard Meißners über Demetrios, dem Sohn des Alexandergegners Antigonos hervor, dessen Hauptbeschäftigung Eroberung und Zerstörung war. "Verblüffend zu lesen" findet er Stephan Connermanns Beitrag, der beschreibt, wie die Zeitgenossen die Einnahme Bagdads durch die Mongolen im Jahre 1258 sahen und wie es Saddam Hussein verstand, dieses Bild mit dem Einmarsch britischer und US-amerikanischer Truppen gleichzusetzen. Abschließend hält der Rezensent fest, dass mit dieser Kulturgeschichte der Katastrophenbewältigung zugleich eine Kulturgeschichte der Erinnerungstechniken und Kommunikationsstrategien vorliegt.

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