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Staccato ist der witzig-ironische und gleichzeitig sensibel-nachdenkliche Bericht einer Frau, die nach der Wende nicht den Anschluß an die schnellebige Moderne verpassen will - auf der Suche nach einer neuen, wirklichen Identität.

Produktbeschreibung
Staccato ist der witzig-ironische und gleichzeitig sensibel-nachdenkliche Bericht einer Frau, die nach der Wende nicht den Anschluß an die schnellebige Moderne verpassen will - auf der Suche nach einer neuen, wirklichen Identität.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.1997

Tastatur des Taugenichts
Noch ein Wende-Roman: Rita Kuczynskis Blick auf die neue Welt

Die Literatur hat sich eine neue Universalmetapher geschaffen, einen Libero, den man überall einsetzen kann, wo Alltägliches nicht ganz alltäglich erscheinen soll, wo längst Gesagtes noch einmal und wie neu gesagt werden muß: den PC. Auf diesen wesenlosen, aber blitzgescheiten Rechner läßt sich die gesamte Subjektproblematik der gegenwärtigen Poesie projizieren. So hellwach wie Rita Kuczynski allerdings hat das noch keiner der Autoren, die ihre Seele über den Bildschirm segeln lassen, reflektiert.

In den eben erschienenen Notaten zu den Erfahrungen der ehemaligen Mitarbeiterin an der Ost-Berliner Akademie der Wissenschaften nach der Wende ist der Computer das Symbol für den Verlust des Ich und den Gewinn einer neuen Freiheit und Entspannung: Denn das Surfen im Internet ist so befreiend, wie die Tatsache, "daß seinem Textprogramm die Ich-Form der Verben in der Gegenwart fehlt", verwirrend ist. Der Computer weigert sich nämlich, Aussagen des Subjekts in der ersten Person Singular zu kopieren: "Sooft ich diesen Befehl eingebe, steht in der Mitte des Bildschirms: ,Ich kann nicht auf ich kopiert werden!'" Offensichtlich hat das bürgerliche Individuum, dessen idealer Repräsentant das poetische Subjekt war, im kühlen Rechner seinen unüberwindlichen Widerpart gefunden und möglicherweise, trotz aller Liebe, die es ihm entgegenbringt, sein Ende.

Ein Roman der Wende ist das Büchlein der Autorin also im doppelten Sinne, denn es schildert nicht nur die Erfahrungen einer Bürgerin der DDR mit der neuen Wirklichkeit in der Bundesrepublik, sondern die Auflösung der Wirklichkeit in imaginäre Strukturen und Simulationen, wie sie auch die Menschen der westlichen Welt über sich ergehen lassen müssen. Die Erfahrungen, die die Autorin macht, macht allerdings jeder, auch wenn er nicht aus der Distanz dessen, der in einem anderen Staat aufgewachsen ist, auf die Welt blickt. Diese für die DDR-Autorin neue Welt ist beherrscht von Zeitplanung und Immobilienhandel, die Menschen retten sich aus der Fremdheit, in die sie geworfen sind, durch Selbsthilfegruppen; sie werden, da es keine spontane menschliche Kommunikation mehr gibt, von Sozialhelfern betreut. Rita Kuczynski versucht, ihrem westlichen Leser diese wohlbekannten Tatsachen zum literarischen Vergnügen zu machen, indem sie sie in einem eigenen Ton erzählt: Sie spielt den Taugenichts, der in der Zeit, als der Feind - so wird das System der alten DDR genannt - noch über sein Leben bestimmte, gut aufgehoben war, aber jetzt, da die Zeit "modern" - dies das Kennwort der westlichen Welt - geworden ist, nur noch seine Katze hat, an die er sein ganzes Lebensglück hängt.

Katze und Computer, sie sind die Totems, in denen sich das Ich in der Welt verdoppelt, einmal mit Glück, einmal in dauernder Verwirrung. Die gespielte Naivität, mit der das erzählende Ich der Welt gegenübertritt, gibt dem Text einen gewissen Charme, der allerdings nicht über alle Banalitäten hinweghilft. Die Beobachtung, daß in der "Moderne" Arbeitnehmer isoliert voneinander arbeiten, wird auch durch die gespielte Naivität des Kommentars nicht interessanter: "In der Sprache des modernen Diskurses wird dieses Gegeneinander Chancengleichheit genannt, mehr habe auch er (das erzählende Subjekt) nicht verstanden."

Die Angst, persönliche Erfahrungen zu schildern, veranlaßt die Autorin zu Allegorisierungen, die über die Symbolisierung durch den Computer hinausgehen. Die in der "Moderne" beobachtete obsessive Zeitplanung inkarniert sich in einer Figur namens "Timer", die unerwartete Perspektive, zu der sie das Leben in der neuen Umgebung zwingt, führt bei der Erzählerin zu Schwierigkeiten mit den Augen. Die allegorischen Arrangements erlauben es ihr nicht nur, schon Bekanntes zu wiederholen und ihm den Flair der Poesie zu geben; sie machen auch aus der uferlosen Alltäglichkeit, die eigentlich nur in einem Tagebuch festzuhalten wäre, einen Roman: Die Erzählerin ist von Figuren umstellt, sie wird gelebt, ihr widerfährt eine Geschichte - und schon wieder ist ein Lebensroman auf dem Buchmarkt.

HANNELORE SCHLAFFER

Rita Kuczynski: "Staccato". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 1997. 184 S., geb., 29,80 DM.

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