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Im Leben wie im Denken so radikal wie kaum ein zweiter, sind Élisée Reclus' politische, anthropologische und ökologische Schriften aktueller denn je. Nach der Freiheit des Menschen strebend, lehnt er alle Autoritäten außer derjenigen der Vernunft ab und wusste schon vor 150 Jahren, dass die Menschheit auf Gedeih und Verderb ein Ganzes mit dem Planeten bildet. Mitten in der Entstehungsphase der Moderne sieht er ihre ökologische Krise voraus und regt zur Erfindung neuer solidarischer Beziehungsformen an, die über die Menschen hinaus auch die Tiere und Pflanzen einschließen. Während Reclus dabei…mehr

Produktbeschreibung
Im Leben wie im Denken so radikal wie kaum ein zweiter, sind Élisée Reclus' politische, anthropologische und ökologische Schriften aktueller denn je. Nach der Freiheit des Menschen strebend, lehnt er alle Autoritäten außer derjenigen der Vernunft ab und wusste schon vor 150 Jahren, dass die Menschheit auf Gedeih und Verderb ein Ganzes mit dem Planeten bildet. Mitten in der Entstehungsphase der Moderne sieht er ihre ökologische Krise voraus und regt zur Erfindung neuer solidarischer Beziehungsformen an, die über die Menschen hinaus auch die Tiere und Pflanzen einschließen. Während Reclus dabei die ökologischen und sozialen Verheerungen seiner Gegenwart anprangert, feiert er im gleichen Atemzug und allen Widerständen zum Trotz die Fortschritte der Freiheit und die Entstehung neuer Lebens- und Sozialmodelle. Für ihn ist jede Generation die »Letzte Generation«, die aber immer auch die erste einer erlösten Erde sein kann: »Menschen des Wunsches«, wie er sie nannte, Menschen, die daranarbeiten, das Ideal einer anderen Welt und einer anderen Erde zu verwirklichen.
Autorenporträt
Élisée Reclus, 1830 in Sainte-Foy-la-Grande geboren, war Geograf, Anthropologe, vor allem aber Anarchist. Im Exil schrieb er seine berühmtesten Werke Histoire d'une montagne und La Nouvelle Géographie universelle. Kurz vor seinem Tod, 1905 bei Brügge, verfasste er L'Homme et la terre, das als Krönung seiner früheren Arbeiten gilt. Rainer G. Schmidt, 1950 im Saarland geboren, begann 1978 mit der Übersetzung des Gesamtwerks von Arthur Rimbaud und übersetzte seither viele Werke u. a. von Henri Michaux, Victor Segalen, Herman Melville. Er erhielt u. a. den Paul-Celan-Preis und übersetzt derzeit das 12bändige Tagebuch von Henry D. Thoreau. Andreas Gehrlach, 1981 geboren, studierte Literaturwissenschaft in Tübingen und ist Wissenschaftler am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Er beschäftigt sich mit modernen und antiken Kulturtheorien und forscht zu prekären, kriminellen und politischen Ökonomien. Stephan Zandt, forscht am selben Institut zu den Themen Human-Animal Studies sowie Transformationsgeschichte der Natur-Kultur-Grenzziehung.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Sonja Asal entdeckt in dem von Andrea Gehrlach und Stephan Zandt herausgegebenen Band über den Geografen Elysee Reclus und seinen Anarchismus Bemerkenswertes. Wie Reclus Humangeografie und anarchistische Theorien mit "synoptischem Blick" verband, findet Asal erstaunlich. Die drei abgedruckten Texte des Autors künden von einer Position wider den Fortschrittsgeist seiner Zeit, erklärt die Rezensentin. Reclus hält dem eine spiralförmige Entwicklung entgegen und zeigt sich vor Hardt/Negri als "Denker der Mikromächte", so Asal mit Sympathie für diesen immer wieder überraschend aktuellen Autor.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2024

Der Geschichte im Raum auf der Spur
Geograph der ausschweifenden Art und anarchistischer Theoretiker zudem: Ein Band präsentiert drei Texte von Élisée Reclus

Élisée Reclus war eine jener außergewöhnlichen Figuren, wie sie vielleicht nur noch das neunzehnte Jahrhundert hervorbringen konnte. Zu seiner Zeit war er einer der weltweit bekanntesten Geographen, der jedoch außer einem Studienjahr an der Berliner Universität bei Carl Ritter, neben Alexander von Humboldt einer der Begründer des Faches, keine formale akademische Ausbildung, geschweige denn einen Abschluss vorzuweisen hatte. Reclus führte vielmehr in jungen Jahren ein abenteuerliches Reiseleben, wenn auch zunächst nicht ganz freiwillig. Nach dem Staatsstreich Louis-Napoléon Bonapartes 1851 entzog er sich einer drohenden Verhaftung gemeinsam mit seinem Bruder durch die Flucht nach London.

Auf seinem weiteren Weg lernte er in den Vereinigten Staaten die Sklavenhaltergesellschaft kennen und verachten, in Kolumbien scheiterte er mit seinen Plänen, selbst eine Plantage aufzubauen. Zurück in Frankreich, begann er, sich als Verfasser von Reiseführern zu etablieren, bevor das Verlagshaus Hachette ihn für eine Gesamtdarstellung der Erde engagierte. Das Werk bot, wie sein Biograph Jean-Didier Vincent einmal bemerkte, zwar nicht den ersten umfassenden Überblick über sämtliche terrestrischen Phänomene, war aber das erste, das sie einem größeren Publikum verständlich machen wollte. Und es begründete den Ruf von Reclus als eines Autors, der die Geographie in den Rang der Literatur erhob.

Die Veröffentlichung wurde ein Erfolg, den Verlag und Autor mit einer schließlich neunzehn Bände umfassenden "Nouvelle Géographie Universelle" fortsetzten. In den fast zwei Jahrzehnten der Arbeit daran sollten sich intensive Phasen des Schreibens mit Reisen in alle Welt abwechseln. Den Abschluss einer gewaltigen Trilogie bildete eine sechsbändige Darstellung der Humangeographie, "L'Homme et la Terre", die Reclus noch kurz vor seinem Tod 1905 abschließen konnte. In ihr löste er einen Wunsch ein, den er im letzten Absatz der "Géographie Universelle" formuliert hatte, nämlich aus all den Fakten, die er in der langen Reihe der nun vorliegenden Bücher aufgezählt hatte, eine allgemeine Idee zu extrahieren. Reclus wollte nicht nur alles, er wollte auch das Ganze beschreiben. Zwar waren aus dem geplanten resümierenden Band dann doch deren sechs geworden, doch Reclus erlaubte es sich darin, nach Lust und Laune zwischen geographischen, historischen und anthropologischen Gegebenheiten hin und her zu wechseln.

Nachdem Reclus lange Zeit in Vergessenheit geraten war, ist sein Name seit einiger Zeit regelrecht populär geworden. Vor allem seine "Geschichte eines Berges" ist es, die vielfach übersetzt und neu aufgelegt wurde. Wer neugierig zu diesem Titel greift, wird erstaunt sein, zu lesen, dass derselbe Reclus, der ein so gewaltiges geographisches Werk schuf, sich ebenso rastlos in der anarchistischen Bewegung engagierte. Dass er sich zum Schreiben in Lugano und in der französischen Schweiz aufhielt, war nicht etwa der landschaftlichen Schönheit oder dem wohltuenden Klima geschuldet, sondern der Tatsache, dass er nach der Niederschlagung der Pariser Kommune zunächst nach Neukaledonien deportiert und dann zu einer zehnjährigen Verbannung begnadigt wurde.

Im Zuge der Reclus-Renaissance gerät nun auch seine anarchistische Theorie wieder in den Blick. Drei Beiträge, die den Themen Staat, Fortschritt und Anarchie gewidmet sind, sind jetzt in einem schmalen Band auf Deutsch nachzulesen. Der als letzter abgedruckte, chronologisch der früheste, wurde 1896 als Broschüre unter dem Titel "L'anarchie" veröffentlicht. Der programmatische Text vermittelt die Atmosphäre einer "Zeit der großen Probleme und der großen Kämpfe", in der um die großen ideologischen Lösungen gerungen wurde. Bei den anderen beiden Texten handelt es sich um Kapitel aus dem letzten, 1908 publizierten Band von "L'Homme et la Terre". Darin nahm sich Reclus, nachdem ihm seine früheren Verlagsverträge Zurückhaltung in allen politischen und sozialen Fragen auferlegt hatten, die Freiheit, Humangeographie nach seinen Vorstellungen zu betreiben.

Die Grundidee, die ihn dabei antrieb, hatte er als Motto jedem einzelnen der sechs Bände vorangestellt: "Geographie ist nichts anderes als Geschichte im Raum, wie auch die Geschichte nichts anderes ist als Geographie in der Zeit." Sein synoptischer Blick entdeckt auf der Oberfläche der Erde eine Vielfalt an Gesellschaften mit unterschiedlichen Modellen des Zusammenlebens, die irgendwann in einem kollektiven Ideal der Solidarität konvergieren würden. Dem Fortschrittsdenken seiner Zeit, der Vorstellung einer "allgemeinen Verbesserung der Menschheit in der geschichtlichen Zeit", setzt Reclus Geschichte als eine spiralförmige Entwicklung entgegen, den Gedanken, dass sich die modernen Gesellschaften nur durch ihre größere Komplexität von den ihnen vorangegangenen unterscheiden, aber noch immer das gleiche Ziel von "wechselseitiger Gerechtigkeit und Glück" verfolgen. Sein Ideal ist eine "neue Nation, aus freien Individuen zusammengesetzt, unabhängig untereinander, aber umso liebevoller und solidarischer". Wie die Herausgeber in ihrer Einleitung hervorheben, profiliert sich Reclus damit schon lange vor Theoretikern wie Michael Hardt und Antonio Negri als ein "Denker der Mikromächte und Relationalitäten".

Man kann Reclus' Überzeugungen nicht anders als mit Sympathie begegnen, seiner Kritik am "schwerfälligen Mechanismus" und an "veralteten Praktiken" des Staates, seiner Feier der individuellen Freiheit und der Brüderlichkeit, seinen wohlwollenden Worten für die Frauen und ihre "Rückforderungen gegen den Mann". Manchmal stehen bei ihm Sätze, die wie Meteoriten aus unserer unmittelbaren Gegenwart dort hineingeraten scheinen, etwa die Recycling-Maxime, "alles zu verwenden, den Abfall zu gebrauchen, die Rückstände, die Schlacken". Doch kommt das Herauspicken von Passagen mit Aktualitätsbezug auch immer wieder an seine Grenzen, so wenn Reclus über lange Abschnitte hinweg gegen Missstände und ihre vorgeblichen Verursacher wettert, gegen "Priester, Richter, diplomierte Ingenieure und andere Beamte", gegen Großindustrie und kosmopolitische Finanzwelt. In vielerlei Hinsicht war Reclus eben dies: ein Mann des neunzehnten Jahrhunderts. SONJA ASAL

Élisée Reclus: "Staat, Fortschritt, Anarchie". Politische Schriften.

Hrsgg. v. Andrea Gehrlach und Stephan Zandt.

Aus dem Französischen von R. G. Schmidt. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2024. 173 S., br., 15,- Euro.

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