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Kurzgeschichten, knappe Prosastücke, Auszüge aus dem Tagebuch eines Schauspielers und Notizen aus dem Alltag des Filmgeschäfts, die in einer ebenso kargen wie poetischen Sprache den Mythos des amerikanischen Westens wachrufen: leere Wüsten und Canyons, staubige Highways und schäbige Motels. In dieser Welt, die stark an Paris, Texas erinnert, erleben Sam Shepards Figuren kleine Leidenschaften, große Enttäuschungen und allerhand Skurriles.

Produktbeschreibung
Kurzgeschichten, knappe Prosastücke, Auszüge aus dem Tagebuch eines Schauspielers und Notizen aus dem Alltag des Filmgeschäfts, die in einer ebenso kargen wie poetischen Sprache den Mythos des amerikanischen Westens wachrufen: leere Wüsten und Canyons, staubige Highways und schäbige Motels. In dieser Welt, die stark an Paris, Texas erinnert, erleben Sam Shepards Figuren kleine Leidenschaften, große Enttäuschungen und allerhand Skurriles.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Der Mond ist ein gekipptes Hörnchen
Diesmal ohne Feinripp: Sam Shepards Erzählungen "Spencer Tracy ist nicht tot" / Von Rose-Maria Gropp

Er hat es geschafft, daß man ihn sich über die nun gut dreißig Jahre seiner Karriere als Stückeschreiber und Drehbuchautor, Schriftsteller, Regisseur und Schauspieler als Abziehbild seiner eigenen Geschöpfe vorstellt. Jedenfalls unterwegs in Amerika, meistens in von Gott und allen guten Geistern verlassenen Nestern zu finden oder in Motels, wie sie die Movie-Träume von Europäern schmücken, auf staubigen Wüstenpisten oder an den Rändern zusammengesiedelter Wüsteneien. Wenn es gutgeht, in einem 57er Chevy-Coupé, einem "dieser Wagen, für die jeder auf der High-School die eigene Oma erschlagen hätte. Schwärzestes Schwarz mit glänzenden Chromverzierungen, Haifischflossen und der blitzschnelle Kurzhub-Achtzylinder, der den Chevy auf den Nebenstraßen Amerikas berühmt machte." Die Sorte eben, wie sie sich oberhalb des Eingangs der Hard Rock Cafés in die Wand bohrt. Oder aber - eins geworden mit seinem Mustang, so daß er nicht mehr sagen kann, "wo die Innenseite seiner Schenkel aufhörte und wo die Seitenblätter des Sattels anfingen. Das Auf und Ab seines Rückgrats gehörte nicht zu ihm. Es gehörte zu dem Pferd. Er war bloß taube Fracht." Das Bild von einem Mann.

Aman of a man - "Ein Mann von einem Mann" heißt eine der Geschichten, die keine ist, im Mai 1995 in Virginia geschrieben. Sie handelt von der Ödnis von San Bernardino County, von einem kastanienbraunen Hengst und vor allem von der Frage, was bestimmte Männer an sich haben, das andere Männer in Panik versetzt. Der Erzähler, verkapselt in seinen Ich-, seltener seinen Er-Helden, ist immer auf der anderen Seite. Die Angst ist unablässig mit ihm. Aber sie macht ihn nicht feige, sie ist ihm unverzichtbarer Kompagnon. So kann er auch zu einem "Versagerprofi" wie "J. D." halten, einer Figur in "Dünne Haut", einer wunderbaren Erzählung aus Shepards gerade in deutscher Übersetzung erschienenem Band mit vierzig stories, von denen sich manche als Fortsetzung anderer lesen lassen.

Die Angst - in allen ihren Spielarten - läßt das Abziehbild Sam Shepard von innen leuchten, diesen Günstling der Kritik, der es versteht, seine Abgründe nach außen gestülpt wie einen Panzer vorzuzeigen. Amerika liebt ihn, weil er ruhelos seine Desaster der inneren und äußeren Verelendung ausmißt, die Depravierung der Grenzgänger und der Außenseiter ohne Rückweg, ohne sein Land dafür schuldig zu sprechen. Shepard, Jahrgang 1943, ist bis heute der Jüngste - dabei zugleich der Rigideste - von denen, die raum- und zeitenthobene Tragödien in ihrem Land aufführen. Bei Shepards "Buried Child", 1979 mit dem Pulitzer-Preis geehrt, sträuben sich mit Einbildungskraft ausgestatteten Gemütern noch immer alle Nackenhaare, und "Fool for Love" - von Robert Altman 1985 eher zu schwülstig verfilmt, mit Shepard selbst in einer Hauptrolle - ist, seines Halbinzests entkleidet, bis auf das Skelett der Gefühle abgenagte Parabel verheerender Wahlverwandtschaft.

Shepard avancierte zum rechtmäßigen Erfüller einer Art Postexistentialismus, Abteilung verirrter Romantiker on the road. Kein Wunder, daß dem Deutschen Wim Wenders die Szenen seiner 1982 erschienenen "Motel Chronicles" gefielen. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch zu Wenders' Film "Paris, Texas". Nur noch Peter Handke ist Wenders je so gerecht geworden wie Sam Shepard - aber auch das ist kein Wunder für die, die an Shepards seltsam maulfauler, aber mit manchmal phänomenaler Imaginations- und Evokationskraft durchsetzter Prosa Feuer fangen. Wenn er erzählt, zum Beispiel, wie gotterbärmlich das "Gras" war, aber daß "wir trotzdem so high wurden, daß wir die Kälte vergaßen und anfingen, ,The Blue Ridge Mountains of Virginia' zu singen, zweistimmig, und dazu diesen Hüpftanz von Laurel und Hardy aufführten - in dem Film, wo sie bei der französischen Fremdenlegion sind. Der Freeway neben uns brüllte. Der Mond war eine Art hochgekipptes Hörnchen, wie auf der türkischen Fahne. Blaues Fernsehlicht flackerte aus den Eigentumswohnungen, und überall saßen ordentliche Leute beim Abendessen."

Allerdings kann man den amerikanischen Melancholiker nicht in einen technokratischen Europäer verwandeln: Volker Schlöndorff konnte 1990 aus Sam Shepard nicht Walter Faber machen. Daß Shepard seinerseits sich während dieser Dreharbeiten ziemlich ausgesetzt auf den Bergen des Mißvergnügens gefühlt hat, wird in den Erzählungen des Bandes deutlich, die von dieser Zeit erzählen: Texte mit deutlich mokanten Passagen, wie sie in den anderen fehlen. Die Fremdheit, die Shepards Gestalten sämtlich von ihren Mitmenschen trennt, bekommt da mitunter einen Zug von befremdeter Ablehnung, wie in der Vignette "Aus dem Handgelenk", die das absurde Procedere beim Dreh einer Szene des Films schnappend knapp berichtet und der Shepard den Nachsatz anfügt: "Wenn sie ,Action!' sagen, heißt das noch lange nicht, daß du irgendwas tun mußt. - Marlon Brando". Womit die claims abgesteckt wären. Allerdings hat Sam Shepard durchaus Züge des alten Europa in sich, und das nicht nur in den wuchtigen Konflikten seiner Theaterstücke. In den zwischen 1989 und 1995 geschriebenen Erzählungen verströmt er den diskreten Charme der Bildung. Ein Bildergedächtnis unterfüttert manchen der Texte, das seinen Figuren in der Weite des Raums gleichsam Schatten verleiht. In "Ferne Lillie" verliebt sich 1890 ein Richter in Texas in die Fotografie der englischen Schauspielerin Lillie Langtry: "Er schrieb ihr, er habe eine Reproduktion ihres Porträts von John Millais über die Bar gehängt und die Ecken des Rahmens mit Kaktusblüten dekoriert. Eigenhändig." Das ist hübsch, der Weg des John Everett Millais vom Salon in den Saloon.

Shepard hat von einem rein filmischen Erzählen, das einzelne Szenarien isoliert grell ausleuchtet, zu einem fließenden Duktus gefunden, virtuos in der Beherrschung der kleinen Form. Die Frage, ob Sam Shepard ein guter Schriftsteller ist, ist fast so müßig wie die, ob er ein guter Schauspieler ist. Es gehört zur Kunstfigur Sam Shepard, daß er sein unbestreitbar attraktives Aussehen immer wieder ins Spiel bringt. Der Sparsamkeit seiner Mienen und Gesten entspricht die Sparsamkeit seiner Bewegungen auf dem Papier. Er weiß, warum er seine Lakonik an allen Fronten kultiviert. Denn in dieser Kombination ist er einzigartig.

Sam Shepard: "Spencer Tracy ist nicht tot". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Reinhard Kaiser. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 268 S., geb., 39,80 DM.

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