leichter machen können, wenn er bereit gewesen wäre, es seinen Fachkollegen etwas schwerer zu machen. Zwei Beispiele dafür. Zunächst ein Satz aus der Einleitung, jenem Teil des Buches also, der den Leser auf die eigentliche Auseinandersetzung vorbereiten soll. Da ist mit Blick auf die Börsenspekulation die Rede davon, dass im neunzehnten Jahrhundert "eine bedeutsame Rekonfiguration ökonomischer Semantiken stattfindet, die das produktionszentrierte Paradigma durch neoklassische Vorstellungen herausfordert". Oder ein einzelner Begriff, den Stäheli nach drei Vierteln seines Buches einführt: das "genderisierte Inklusionsdispositiv". Zugegeben, beide Wendungen verlieren aus dem Zusammenhang gerissen noch zusätzlich an Klarheit, aber hätte man im ersten Fall nicht sagen können, dass es im neunzehnten Jahrhundert eine Provokation für das hergebrachte Wirtschaftsdenken war, als an der Börse vermehrt Geschäfte getätigt wurden, die sich gar nicht mehr für Warenströme interessierten? Oder wäre es zu umständlich gewesen, im zweiten Fall davon zu sprechen, dass die Beteiligung an der Börse je nach Geschlechtszugehörigkeit eines Akteurs unterschiedlich gewertet wurde? Aber das wäre einem Soziologen von Rang wohl schwergefallen, und für die Reihe "Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft" wäre es mutmaßlich zu populär.
Dabei geht es Stäheli in seinem Buch vor allem darum, das Börsengeschehen nach Maßstäben des Populären zu bestimmen - wobei hier "das Populäre" auch nichts anderes ist als eine soziologische Klassifizierung, die aber immerhin noch die Breitenwirksamkeit als Kriterium behalten hat. Stäheli hat vor allem amerikanische Literatur des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts ausgewertet, und zwar sowohl ökonomische Fachliteratur als auch Erlebnisberichte oder fiktionale Texte. Erst die Berücksichtigung des Themas Spekulation in Romanen wie betriebswirtschaftlichen Studien, in Zeitungsreportagen wie Organisationsratgebern rechtfertigt die Kennzeichnung des untersuchten Phänomens als "populär". Dieser Nachweis gelingt Stäheli hervorragend. Seine jahrelange Beschäftigung mit dem Sujet hat reiche Früchte getragen, die hier dem Leser in einem veritablen Erntedankfest präsentiert werden.
Worum geht es Stäheli? Er will die Faszination für das Börsengeschehen begreiflich machen. Die Breite der Begeisterung für die Spekulation erklärt er durch ihren spielerischen Charakter, der das Publikum in Bann schlug, wie auch durch die Anforderungen an den Spekulanten selbst, der den Ökonomen wie eine größtmögliche Annäherung an deren Idealbild des Homo oeconomicus erscheinen musste. Stäheli zieht zum Beleg für Letzteres das in den dreißiger Jahren entwickelte Modell des "Contrariers" heran: eines Spekulanten, der an der Börse immer entgegengesetzt zur großen Masse agiert und jede eigene Emotion unterdrückt. Zu Recht weist der Soziologe darauf hin, dass ein solches Verhalten wenig Rationelles an sich hat, weil es ja als reine Reaktion auf die Entscheidungen des prinzipiell als fehlgeleitet eingeschätzten Publikums erfolgt, doch dieses kühle Kalkül verbindet den Contrarier mit dem allein wirtschaftlich denkenden Menschen, der auf keine gesellschaftliche Bindung Rücksicht nimmt.
Andererseits befördert der Wettbewerbsgedanke bei annähernder Chancengleichheit, wie sie die Börse bietet, die spielerische Lust an einem Spekulieren, das tatsächlich auf jegliche wirtschaftliche Anbindung verzichten kann. Stäheli hat dazu das großartige Beispiel der "Bucketshops" parat. Mit Erfindung des Börsenfernschreibers 1867 wurde das frühere Herrschaftswissen der auf dem Parkett agierenden Händler obsolet - fortan konnte man im ganzen Land die aktuellen Kurse mit minimaler Verzögerung erfahren. Bucketshops - benannt nach jenen armen Schluckern, die sich kein Bier leisten konnten, sondern sich in Kneipen die Getränkereste aus einzelnen Gläsern in Eimer gießen ließen - boten eine Travestie des Börsengeschehens: Die Gäste wetteten auf die Kursentwicklung, und das mit beliebig kleinen Summen. Es wurden also gar keine Aktien mehr gekauft, sondern das ganze Geschäft glich einem Pferderennen. "Unverstellt", so Stäheli, "dient dort ökonomische Kontingenz der Unterhaltung." In dieser reinen Form des Spektakels um die Spekulation gipfelt die Analyse des Populären im Buch.
Stähelis Ausführungen sind ungemein inspirierend. Wenn er im Tempo der Informationsverbreitung durch den Börsenfernschreiber einen Spekulationsanreiz sieht, dann kann man sofort den Schluss aufs Internet ziehen und somit den Erfolg der dort agierenden Auktionshäuser erklären. Und dass es das paradoxe Interesse eines jeden Spekulanten sein muss, Risiken zu vermeiden, auch das wirft ein bezeichnendes Licht auf jene Wirtschaftssubjekte, die individuell gerade auf das erpicht sind, was der reinen Lehre, der sie häufig anzugehören behaupten, hohnspricht - Subventionen, Erbschaften, Absprachen, um nur drei Beispiele zu nennen.
Aber solche Anregungen muss der Leser im Text alleine aufspüren; Stäheli hat kein über sein Thema hinausgehendes Interesse. Dass es aber solche Formen der nun intellektuellen Spekulation ermöglicht, lässt uns hoffen, dass seine Thesen irgendwann auch einmal populär werden.
ANDREAS PLATTHAUS.
Urs Stäheli: "Spektakuläre Spekulation". Das Populäre der Ökonomie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 401 S., 7 Abb., br., 14,- [Euro].
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