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Das Leben ist anderswo, denkt Freddy Halstenbach, jedenfalls nicht hier, in dem kleinen Rheinkamp im Ruhrgebiet, wo alles eng und muffig ist. Überall eckt er an. Wohl fühlt er sich nur mit seinen Brieftauben - und mit Cornelia. Mit ihr will er fortgehen, wenn sie ein bisschen älter ist. Aber bis dahin wird er das, was um ihn herum geschieht, genau anschauen, damit sein Leben nicht einfach vorüberzieht, während er darauf wartet, dass seine Wünsche in Erfüllung gehen. "Mit einer ruhigen Beharrlichkeit des Erzählens entfaltet der Roman seinen leuchtenden Reichtum an Motiven und Figuren, stellt…mehr

Produktbeschreibung
Das Leben ist anderswo, denkt Freddy Halstenbach, jedenfalls nicht hier, in dem kleinen Rheinkamp im Ruhrgebiet, wo alles eng und muffig ist. Überall eckt er an. Wohl fühlt er sich nur mit seinen Brieftauben - und mit Cornelia. Mit ihr will er fortgehen, wenn sie ein bisschen älter ist. Aber bis dahin wird er das, was um ihn herum geschieht, genau anschauen, damit sein Leben nicht einfach vorüberzieht, während er darauf wartet, dass seine Wünsche in Erfüllung gehen.
"Mit einer ruhigen Beharrlichkeit des Erzählens entfaltet der Roman seinen leuchtenden Reichtum an Motiven und Figuren, stellt Witz und Pfiff neben Ernst, Konflikt und Lebenssuche. Spannung entwickelt das Buch für den Leser in Freddys Alter wie für den erwachsenen Leser, der mit dem Erzähler im Rückblick selbst erlebte Welten durchstreift." (Die Zeit)
Autorenporträt
Hermann Schulz, geboren 1938 in Nkalinzi in Tansania als Sohn eines deutschen Missionars. Er lebt seit 1960 in Wuppertal und leitete von 1967 bis 2001 den Peter Hammer Verlag. Reisen führten ihn in mehr als sechzig Länder, vor allem in Afrika und Lateinamerika. Roman-Veröffentlichungen. Auszeichnung 2001 mit dem Kunst- und Kulturpreis für internationale Verständigung.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.12.2000

Freunde gesucht
Ein kleiner Junge aus dem Ruhrgebiet erlebt die Nachkriegszeit
HERMANN SCHULZ: Sonnennebel, Carlsen Verlag, Hamburg 2000. 285 Seiten, 29,90 Mark.
Die 50er Jahre sind in Deutschland eine Zeit des mühsamen Neuanfangs, eine Zeit, in der die Auswirkungen des Krieges immer noch das Leben des Einzelnen
bestimmen und die bürgerliche Ordnung Schwarzmarktgeschäfte und andere illegale Erwerbsmöglichkeiten nur als dünner Firnis überdeckt. So bessert Freddy, der 15-jährige Held in Hermann Schulz’ Roman Sonnennebel, sein Taschengeld auf, indem er die Schuhe, die in der Waschkaue des kleinen niederrheinischen Bergarbeiterortes vergessen wurden, heimlich zum Schuster schafft, der sie repariert und zu neuen Paaren zusammenstellt. Oder indem er in riskanten Manövern von den Lastwagen der englischen Besatzer Teile der Fracht stiehlt.
Denn Freddy braucht das zusätzliche Geld, um sein Hobby, die Brieftaubenzucht, zu finanzieren. Sehr zum Kummer seiner Tante Emma, die ihn als Waisen zu sich nahm und immer in der Angst lebt, dass er über den Tauben und der Mitgliedschaft im Taubenzuchtverein die Schule vernachlässigt.
Ungleiches Paar
Sie bilden schon eine besondere Gemeinschaft, eine „Notgemeinschaft”: Emma Halstenberg, die ihren Lehrerinnenberuf aufgab, um den Neffen großzuziehen und sich, je älter der Junge wird, umso weniger dieser Aufgabe gewachsen fühlt, und Freddy, der aufbegehrende, unangepasste Jugendliche, der ein feines Gespür für die falsche Autorität von Erwachsenen, besonders von Lehrern, entwickelt. „Ich wünschte, das Leben würde endlich anfangen”, bekennt er seinem väterlichen Freund Hufnagel, der einer der wenigen ist, dem er seine Gefühle und Wünsche anvertrauen kann: „Ich überlege, was ich will, und mache das. Ich entscheide, wohin ich will, und dann gehe ich. ” Und gleichzeitig hat er Angst, weil er nicht weiß, wie er es schaffen soll, nicht immer häufiger in schwierige Situationen zu geraten. Dass er nicht der wird, den seine Lehrer schon in ihm sehen und vor dem sich Emma fürchtet.
Sonnennebel, der Titel des Romans, ist ein Spezialbegriff aus der Taubenzucht und beschreibt eine gefürchtete Wetterlage, bei der die Tiere durch Frühnebel im Frühling und Sommer die Orientierung verlieren. Sonnennebel ist auch eine Metapher für das gefährdete Leben dieses Jungen. Zuletzt wird er sogar verdächtigt, den Nachbarhof angezündet zu haben. Eine Metapher aber auch für die sozialen Verhältnisse des kleinen Bergarbeiterortes in der Nachkriegszeit. Denn das Erwachsenwerden dieses Jungen ist gleichzeitig eine politische Parabel über den Neuanfang der BRD.
Der Autor lässt den Leser mit dem unbestechlichen, respektlosen Blick von Freddy auf seine Nachbarn und Lehrer blicken, auf die bunt zusammengewürfelte Nachkriegsgesellschaft und ihre mühsamen und manchmal auch komischen Versuche, ein normales Leben zu führen. In kurzen Szenenwechseln und einer sehr intensiven, dialogreichen Sprache entsteht ein Kaleidoskop, in dessen Mittelpunkt Freddy mit seinen ganz eigenen Wünschen und Hoffnungen steht.
Ein Teil davon wird sich für ihn erfüllen, als er seine erste heftige Liebe erlebt, ein Obsession, die ihn ein Stück erwachsener macht. Und auch seine Schwierigkeiten mit der Obrigkeit werden geringer, er trifft auf einen Polizisten, der seine Sünden als Jugendtorheiten erkennt und ihn nicht verurteilt: „Sei in Zukunft ein bisschen vorsichtiger mit deinen Unternehmungen, ja? Sonst muss ich dich eines Tages doch noch verhaften! Alles Gute, mein Junge”, sagte er mit einem ermutigenden Lächeln, „einer wie du lässt sich nicht so leicht unterkriegen, oder?”
Diesem Johannes Dicksken hat Hermann Schulz dieses Buch gewidmet, einem Mann, der während der Nazizeit Kommunisten und andere Widerstandskämpfer vor Razzien warnte. Dicksken übernimmt in der Handlung einen wichtigen politischen Part, er erklärt Freddy und Emma das Verhalten zweier junger Polizisten, die den Jungen jagten und misshandelten: „Im Grunde muss man diese ganze Generation bedauern, weil sie eine betrogene Generation ist, betrogen um ihre Jugend und Ideale. Irgendeine Art Selbstzweifel kennen sie nicht. Eigene Verantwortung tragen lernen, das ist ihnen unbekannt, es fehlt ihnen etwas Entscheidendes: das Verständnis für Menschen und die Vielfalt des Lebens. ”
Heutige Jugendliche werden dieses Buch als ein spannendes Abenteuer lesen aus einer Zeit mit sehr viel mehr Freiräumen und Möglichkeiten der Bewährung.
ROSWITHA BUDEUS-BUDDE
Mit wem reden, mit wem spielen, wenn man sich unverstanden fühlt? Zum Glück kann man Brieftauben züchten.
Foto: Manfred Vollmer
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000

Wer glaubt einem, wenn man fünfzehn ist
Die vielen ersten Male des Freddy H.: "Sonnennebel" von Hermann Schulz

Wer will das lesen? Dreihundert Seiten aus dem Leben eines jungen Taubenzüchters, der in einem Kaff am Niederrhein aufwächst, mit einem Glossar hintendran, das die wichtigsten Begriffe der Taubenzüchterfachsprache erklärt. Dann spielt das Ganze noch in den frühen fünfziger Jahren, einer Zeit, in der Jungs Nachthemden trugen und Drachen steigen ließen und letzteres wenigstens "astrein" fanden. Der Roman "Sonnennebel" entlehnt seinen Titel dem Taubenzüchterwort für eine Wetterlage, in der Brieftauben leicht die Orientierung verlieren, und meint es ein bißchen allegorisch. Er begleitet die fünfzehnjährige Kriegswaise Freddy Halstenbach durch einige Wochen voller schwer zu deutender Erlebnisse: die ersten Konflikte mit der Tante und der Polizei, den ersten Sex, die erste Liebe, den ersten schweren Abschied und natürlich Freud und Leid der Taubenzüchterei.

Wer soll das lesen? Freddy Halstenbach ist auf seine Art ein netter Kerl, aber ganz sicher kein geeignetes Rollenvorbild. Er lügt, raucht, stiehlt. Er hat eine geringe Meinung von der weltlichen und geistlichen Autorität. Er beobachtet die trinkenden oder prügelnden Kriegsheimkehrer bei ihren vergeblichen Versuchen, wieder ein Familienleben zu führen, und findet es gar nicht so übel, ohne Eltern zu leben. Gegen Ende versucht er sogar, einen gleichaltrigen Rabauken totzuschlagen, ohne es später auch nur einen Moment lang zu bereuen.

Es ist sicher kein Zufall, daß dieses Buch von einem Verleger stammt, der sich über die Ansichten der Vertriebsleiter bisweilen hinwegsetzen kann. Hermann Schulz, der seit 1967, als er Johannes Rau ablöste, dem Wuppertaler Peter Hammer Verlag vorsteht, schreibt genüßlich an den Konventionen für das gute Jugendbuch vorbei. Er ist so alt, wie sein Held es heute wäre, und hat ihm ein bewegtes Leben voraus. Doch das äußert sich nicht so sehr in den wenigen Einsichten, die er mit dem Leser teilt, als in den vielen, die er ihm erspart. Wenn der jugendliche Held einmal brutal wird, dann vielleicht, weil es Situationen gibt, wo man so fest zuschlagen muß, wie man kann, und weil man froh sein sollte, wenn sie kommen, solange der Schlag so fest noch nicht ist.

Hermann Schulz weiß, wovon er schreibt. Er kennt den Niederrhein, den er bis in die Feinheiten der Mundart hinein lebensecht porträtiert. Vor allem aber erinnert er sich noch gut an die Nöte des Jungseins, die von Ort zu Ort und Zeit zu Zeit einander so wundersam ähneln. Wo andere Schriftsteller mit aufgesetzter Solidarität über die "Pauker" herziehen, genügt Schulz ein lapidarer Nebensatz: "nach der Schule, wenn das Leben begann". Daß er sich auch auf das Vorher versteht, beweist seine treffliche Beschreibung des kirchlichen Jugendgruppenleiters, eines der Menschen, die sich gern das unverschämte Kompliment machen, man könne mit ihnen über alles reden. "Es gab auch solche Lehrer, aber meistens waren sie hinterhältig und zeigten ihr wahres Gesicht erst, wenn es darauf ankam." Das sind die Dinge, die einem keiner glaubt, wenn man fünfzehn ist und im Ruf steht zu lügen.

Trotzdem versteht der Leser, daß es etwas Besonderes und durchaus Abenteuerliches gewesen sein muß, in den Aufbaujahren groß geworden zu sein. Mochte man sich auch nach Schmalzbroten und Kunsthonig "die Finger geleckt" haben, wie das damals wohl hieß, so war es doch auch eine Zeit, die an Vorbildern ärmer war als jede andere und es niemandem abnahm, seinen eigenen Weg durch das Leben zu suchen. Man wird vielleicht ein paar Poster von der Wand nehmen müssen, um sich in diese Stimmung zu versetzen. Aber das Buch ist die Mühe wert.

MICHAEL ALLMAIER.

Hermann Schulz: "Sonnennebel". Carlsen Verlag, Hamburg 2000. 288 S., geb., 26,90 DM. Ab 14 J.

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