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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2010

Fette Schreie im Stadtpark
Alexander Moritz Freys „Solneman” in einer Neuausgabe
In München wurde er geboren, 1881, und in München ließ sich Alexander Moritz Frey – nach Studienaufenthalten in Heidelberg und Freiburg – auch als Schriftsteller nieder. Als Sanitäter nahm er später am Ersten Weltkrieg teil, in derselben Einheit wie Adolf Hitler. So bat man Frey 1920, Feuilletonchef des Völkischen Beobachters zu werden. Er aber lehnt ab, schrieb mit „Die Pflasterkästen” schließlich einen Antikriegsroman, der ihm endgültig den Unmut der Nazis eintrug. Als die Gestapo im März 1933 seine Münchner Wohnung verwüstete, floh Frey nach Österreich und später in die Schweiz. Hier lebte er lange in sehr unsicheren Verhältnissen, schrieb weiter Romane und kehrte auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nach Deutschland zurück.
Seit seinem Tod 1957 ist Frey weithin vergessen, einzig sein Roman „Solneman der Unsichtbare” wurde Anfang der neunziger Jahre in Suhrkamps „Phantastischer Bibliothek” noch einmal aufgelegt. Jetzt hat der kleine, entdeckerfreudige Elsinor Verlag sich des „Solneman” angenommen und ihn in der Textgestalt der Erstausgabe von 1914 und versehen mit einer ausführlichen Zeittafel neu herausgebracht.
Ein Glück, denn auch fast hundert Jahre, nachdem „Solneman” das Licht der Welt erblickt hat, wirkt der Roman so frisch wie am ersten Tag. Und das, obwohl er erkennbar den Geist der Zeit atmet: Ein Fremder kommt in die Stadt, eine undurchschaubar-unheimliche, dämonisch-verführerische Gestalt, deren Name, von hinten gelesen, „Namenlos” lautet. Solneman also will den Stadtpark kaufen und bietet dafür dermaßen viel Geld, dass die Bürger nicht widerstehen können. Sie treten ihm den Park auf Lebenszeit ab und verpflichten sich überdies dazu, den geheimnisvollen Mann dort auch in Ruhe zu lassen. Zur Sicherheit lässt Solneman noch eine dreißig Meter hohe Mauer errichten, sodass ganz gewiss niemand Einblick hat in sein neues Domizil.
Dass sie nicht wissen dürfen, was hinter den Mauern vor sich geht, ertragen die Bürger jedoch nicht. Auf tausenderlei Weise versuchen sie, den Park auszukundschaften, Solneman aber ist ihnen immer einen Schritt voraus und weiß jede Unternehmung zu vereiteln. Irgendwann kommt der Kaiser in die Stadt, und zu seinem Entsetzen muss Bürgermeister Bock feststellen, dass „auch Majestät an der fressenden Neugier leiden, welche schon die ganze Stadt in ein wütendes Fragezeichen verwandelt hat.” Manch einer fordert schon, dass etwas „Schneidiges und Endgültiges” geschehen müsse. Dass Ende der Geschichte sei hier nicht verraten, nur so viel: Wie sollte es 1914 anders sein, wird das Militär in Bewegung gesetzt.
Noch eine Satire auf das untergehende Kaiserreich, auf Pickelhaubenträger und preußische Bürokratenseelen also? Auf den Kontrollwahn eines autoritären Obrigkeitsstaates? Nicht ganz, schließlich ist es die pure, allzu menschliche Neugier, die das Geschehen hier in Bewegung hält, ist es das mitunter sehr individuelle Engagement der Bürger dieser ebenfalls namenlosen Stadt. Außerdem ist es kaum einem von Freys Zeitgenossen auch nur ähnlich gut gelungen, im markigen Ton der Zeit zu schreiben und diesen durch feinste Ironie zugleich zu konterkarieren.
Grelle Bilder, etwa wenn ein „fetter Schrei” ausgestoßen wird, gehören ebenso dazu wie genaueste Beobachtung, wenn beispielsweise ein Lachen „bagatellmäßig” durch die Nase gestoßen wird. Wie elegant Frey schreiben und denken konnte zeigt sich am schönsten vielleicht, als in einer Schar Hühner einige Hähne bunt aufblitzen, „so schillernd wie der Oberbürgermeister, wenn er seine sämtlichen Orden angelegt hatte”. Man liest das mit Vergnügen und wünscht sich, die Kunst der Satire wäre heute nicht allein ins Fernsehen verbannt, sondern würde auch zwischen Buchdeckeln solch erfindungsreiche Vertreter finden. TOBIAS LEHMKUHL
ALEXANDER MORITZ FREY: Solneman der Unsichtbare. Elsinor Verlag, Coesfeld 2010. 184 Seiten, 16,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.2021

Niemand ist mein Name
Außenseiter einst und jetzt: Alexander Moritz Freys Roman "Solneman der Unsichtbare" von 1914

Als 1985 in der Bibliothek Suhrkamp der lange verschollene Roman "Solneman der Unsichtbare" von Alexander Moritz Frey aus dem Jahr 1914 neu herauskam, regte sich Protest. Peter von Matt sprach in dieser Zeitung von einem "Vergehen gegen die literarische Totenruhe". Begründung: Die Erfindung sei unbeholfen, die Sprache ohne Charakter, der Humor allzu absehbar. Kurt Tucholsky war 1919 durchaus anderer Ansicht, seine Empfehlung mag 1920 sogar eine zweite Auflage notwendig gemacht haben. Man solle, meinte er, diesen kurzweiligen Roman "an einem stillen Sonntagnachmittag ganz allein durchlesen und durchlachen", sich auf immer "spaßigere Kapriolen" freuen, dabei den manchmal "schneidenden, eiskalten Ton" aber auch nicht überhören.

Zwischen diesen gleichermaßen prominenten Urteilen abermals zu dieser phantastischen Groteske zu greifen lohnt sich. Der Elsinor Verlag macht's möglich, und das Thema des Buchs hat gegenüber 1985 stark an Aktualität gewonnen: Es geht um den neugierigen und ängstlichen Blick der Mehrheitsgesellschaft auf das Fremde, um einen Sonderling, dessen Name - rückwärts gelesen - Programm ist. Er heißt Hciebel Solneman und setzt tatsächlich alles daran, namenlos und einfach in Ruhe zu leben. Doch man lässt den Fremdling einfach nicht in Frieden.

Diese Allegorie auf den Außenseiter und die sich an ihm entzündenden Vorurteile hat es in sich. Solneman steht in einer langen Reihe literarischer Figuren, die sich weigern, ihre Identität preiszugeben: "Niemand ist mein Name", erklärt zuerst der listige Odysseus in der Höhle des Polyphem, viele andere folgten. Solneman versucht sich durch Kauf eines riesigen Stadtparks, den er mit einer dreißig Meter hohen Mauer umgibt, der öffentlichen Neugierde zu entziehen. Allerdings fordert er sie durch auffälliges Verhalten und seine Erscheinung auch selbst heraus. Solneman, der Deutsch so korrekt wie in Hannover, aber mit ausländischem Akzent spricht, erwirbt das städtische Terrain zu einem astronomischen Preis. Erst bietet er 73 Millionen, als die Stadträte zögern, will er diesen Betrag mehr als verdoppeln. Nach dem Erwerb bauen 3500 ausländische Arbeiter das neue Imperium auf, in das bald Wagenladungen voll exotischer Tiere geliefert werden.

Größtes Skandalon ist die Frau an Solnemans Seite, eine "Negerin" und "Riesin" mit angeblich "außergewöhnlich langen Armen", die man "eines unzüchtigen Verhältnisses" mit ihm verdächtigt. Auf der sehr breiten Krone der Parkmauer liefern sich die beiden rasante Autorennen; die Geldstrafen wegen "Schnellfahrens" bezahlt der Hausherr gerne.

Die so provozierend befeuerte Neugierde der Stadtbevölkerung - und sogar von Kaiser Wilhelm II. auf Inspektionsreise! - verlangt nach immer raffinierteren Wegen, um ins verborgene Reich des Fremden vorzudringen. Da ist etwa ein geschickter Turner, der sich an einigen Schlingpflanzen auf die Höhe der Mauer schwingt, auf der anderen Seite aber beinahe von einer Tigerin zerfleischt wird. Ob Solneman die Ranken absichtlich stehen ließ, um einen unerwünschten Späher in sein Wildtiergehege zu locken? Ein tollkühner Pilot simuliert eine Notlandung im Park, Solneman lässt sich aber nicht beeindrucken und ist mit Benzin und technischer Starthilfe sofort zur Stelle. Auch ein Hilfsredakteur der Zeitschrift "Freie Bahn" scheitert beim Versuch, mit Steigeisen über einen gefrorenen Mauerabschnitt in den geschlossenen Garten zu gelangen, weil dessen Besitzer längst neben ihm steht und ihn verhöhnt. Am kühnsten ist sicher der Plan zweier junger Leute, sich von einem Keller aus unter der Mauer durchzugraben. Aber auch sie erwarten beim Durchbruch am Ende des Tunnels seltsame Nachrichten und ein knurrender Puma.

Es gehört sicher zum Wesen der Groteske, immer abwegigere Einfälle aufeinanderzutürmen. Trotz aller absurden Übertreibungen, die Tucholsky im Unterschied zu Von Matt so sehr gefielen, ist das ernste Ziel des Unternehmens nicht aus dem Auge zu verlieren. Vielleicht wichtiger als die Exzentrik des Fremden sind das Misstrauen und die Vorurteile aller um ihn herum. Nicht jeder ist so stark wie der namenlose Hciebel Solneman - Semra Ertan etwa wurde mit ihrer Lage als Türkin in Deutschland nicht fertig, 1982 verbrannte sie sich in Hamburg selbst, die Schwester publizierte anschließend ihre Gedichte unter dem Titel "Mein Name ist Ausländer".

Solneman hingegen verschwindet lautlos in die Unsichtbarkeit. In seinem Abschiedsbrief schreibt er: "Eure Euch heiligen Gesetze haben es nicht vermocht, mich zu schützen." In ihrem Nachwort nennt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff das "abgründig und komisch zugleich", sie erzählt aber auch von der Flucht des Verfassers nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Alexander Moritz Frey war als Sanitäter im Ersten Weltkrieg nämlich ein Kamerad der "hysterischen Heulsuse" Adolf Hitler, den er verachtete. Deshalb musste er später ins Exil. Unterstützung fand er dort nicht zuletzt durch Thomas Mann, der ihm seit einer Lesung aus "Solneman" ein Freund blieb. Auch er schätzte an Alexander Moritz Freys Werk die "groteske Überwirklichkeit, ja milde Absurdität". ALEXANDER KOSENINA.

Alexander Moritz Frey: "Solneman der Unsichtbare". Roman.

Mit einem Vorwort von Sibylle Lewitscharoff. Elsinor Verlag, Coesfeld 2021. 196 S., geb., 22,- Euro.

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