Die Geschichte einer lebenslänglichen Liebe. So melancholisch und geheimnisvoll wie ein Solo von John Coltrane, so unverwechselbar wie die Stimme von Billie Holiday: "Soho Blues" ist die bewegende Geschichte einer leidenschaftlichen, lebenslänglichen Liebe zweier Menschen, die sich in einem fatalen Netz von Abhängigkeit und Verrat, Hoffnung und Desillusion, Liebe und Haß be?nden. "Erstaunlich realistisch vermittelt der junge Autor das Lebensgefühl der Nachkriegsjahre im Londoner Künstlerviertel Soho." Hörzu "Eine Liebesgeschichte mit sparsamen Bewegungen, melancholischen Zwischentönen, menschlichen Abgründen: sehr romantisch, sehr schwermütig und sehr schön." Fritz - Das Magazin
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1999Kinderwagenwägen
Neil Blackmore schreibt einen Roman über eine wilde Ehe
Wie schafft es der Schriftsteller, seine Buchstabengeschöpfe von der ersten Seite an mit so vielen Sympathie- und Interesse-Erregern auszustatten, dass etwaige Leser ihnen bereitwillig auf ihren zeitraubenden fiktiven Bahnen folgen? Eine selten gestellte Frage, die Neil Blackmore, der 1970 geborene Verfasser des Romans "Soho Blues", sicher nicht beantworten könnte. Denn ihm will dieses Kunststück nicht gelingen.
Harry heißt der Held, dem er zumutet, fast dreihundert Seiten zu bestreiten. Harrys Familie besitzt ein Café im Londoner Stadtteil Soho. Harry interessiert sich für Jazzplatten. Das wars schon fast. Wie um Gottes willen bringt man diesen jungen Mann auf Romanformat?
Zum Glück gibt es die Liebe. Aber nicht eine laue Passion, wie sie einem Mann am Feierabend recht sein mag, sondern Leidenschaft ist hier gefordert, ein "amour fou" (Klappentext), der Harry auf Trab bringt. Eines schönen Herbsttages im Jahr 1959 steht Betty Porter in der Tür des Cafés. Eine "atemberaubende Frau" mit einem ordentlichen Stück Leben im Gepäck, das für Harry reicht. Sprachlich breitet der Autor alle Pauken und Jazztrompeten aus, damit dem Leser nicht entgeht, dass das die entscheidende Begegnung ist. Viele Frauen lächeln, doch keine wie Betty: "Ein Lächeln, das sie so weit zu öffnen schien, dass man in sie hineinschauen und ihr schlagendes Herz sehen konnte." Sie bewegt sich wie ein "Fotomodell", schreitet wie eine "Königin". Ihr Blick ist nichts für Nichtschwimmer: "Ihre dunklen Augen ergossen sich sinnlich über das ganze Café, wie Wellen, riesige Wellen." Betty kommt aus New York und hat den "Glamour Manhattans" um sich. In den Clubs dort hat Mr. Miles Davis mit ihr "geflirtet wie ein Weltmeister". Da steht Harry der Mund offen.
Betty bekommt eine Stelle im Café, und der Wahnsinn beginnt. Durch ein Schlüsselloch beobachtet der vor Eifersucht brodelnde Harry, wie Betty dem schwarzen Kellner alles gewährt, was Harry entbehrt. "Ich sah zu, wie sich sein riesiger, muskulöser Rücken bewegte. Die braune Haut glänzte wie ein fremdartiges silbernes Meer, von Perlen und Diamanten aus Schweiß übersät." Harry belagert Betty unverdrossen, und nach einer Weile wird geheiratet. In der Ehe wird gestritten, aber ab und zu hängen Tränen der Versöhnung an den Wimpern. Betty ist fünfzehn Jahre älter als Harry; eine derzeit beliebte Konstellation für literarische Liebespaare. Ein kühner Nabokov würde seinen Helden heute um Altersheime streichen lassen.
Betty wird schwanger, Harry hat den Kellner in Verdacht. Auf ihre Mahnung: "Harry - ich brauche einen Kinderwagen!", entgegnet er: "Ist dir klar, was ein Kinderwagen kostet? Die Dinger sind wahnsinnig teuer." Gelegentlich bekommt er eine Ohrfeige: "Das laute Klatschen ihrer Hand auf meiner Haut erfüllte den Raum wie ein Bläsersatz." So gerät der Jazz nicht völlig in Vergessenheit. Von schönen Tagen mit Miles Davis ist jedoch nicht mehr die Rede. Bettys Zeit in Amerika war, wie Rückblenden zeigen, sehr viel blueslastiger: verlassene Kinder, verschwundene Männer, ein Mord und acht Jahre Gefängnis.
Der Aufwand an Melodramatik ist hier nur anzudeuten. Triviale Sprachbilder stehen neben Vergleichen von expressionistischer Lautstärke. Die ungeschlachte, aufdringliche Erzählweise erzeugt auch den Eindruck des Surrealen, die Figuren sind ihren Anwandlungen und Begierden ausgeliefert. Die englische Kritik hat die Beschreibungen Londons in den fünfziger Jahren gelobt. Aber auch in dieser Hinsicht bietet der Roman kaum mehr als bekannte Stichworte, Jazz-Abziehbilder und Sentimentalitäten: "Wo sind die Äpfel, die damals über die Straße rollten?"
Kann man den Autor verteidigen? Schließlich hat er sein Werk "Soho Blues" genannt. Auch im Blues reden die Menschen nicht individuell, sondern die Gattung raunt und stöhnt wie in diesem Buch: "Lass mich nicht allein!" - "Ich tue alles für dich." - "Ich will, dass du mich liebst, Harry!" Auch der Blues hat es nicht auf feinsinnigen Abstand abgesehen, sondern erzählt die immer gleichen, auf den nackten Kern reduzierten Geschichten. Mit dieser schwermütigen Kunst der Verknappung hat der geschwätzige Roman nichts gemein. Ohne Musik könnten auch die besten Blues-Texte nicht bestehen.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Neil Blackmore: "Soho Blues". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 286 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neil Blackmore schreibt einen Roman über eine wilde Ehe
Wie schafft es der Schriftsteller, seine Buchstabengeschöpfe von der ersten Seite an mit so vielen Sympathie- und Interesse-Erregern auszustatten, dass etwaige Leser ihnen bereitwillig auf ihren zeitraubenden fiktiven Bahnen folgen? Eine selten gestellte Frage, die Neil Blackmore, der 1970 geborene Verfasser des Romans "Soho Blues", sicher nicht beantworten könnte. Denn ihm will dieses Kunststück nicht gelingen.
Harry heißt der Held, dem er zumutet, fast dreihundert Seiten zu bestreiten. Harrys Familie besitzt ein Café im Londoner Stadtteil Soho. Harry interessiert sich für Jazzplatten. Das wars schon fast. Wie um Gottes willen bringt man diesen jungen Mann auf Romanformat?
Zum Glück gibt es die Liebe. Aber nicht eine laue Passion, wie sie einem Mann am Feierabend recht sein mag, sondern Leidenschaft ist hier gefordert, ein "amour fou" (Klappentext), der Harry auf Trab bringt. Eines schönen Herbsttages im Jahr 1959 steht Betty Porter in der Tür des Cafés. Eine "atemberaubende Frau" mit einem ordentlichen Stück Leben im Gepäck, das für Harry reicht. Sprachlich breitet der Autor alle Pauken und Jazztrompeten aus, damit dem Leser nicht entgeht, dass das die entscheidende Begegnung ist. Viele Frauen lächeln, doch keine wie Betty: "Ein Lächeln, das sie so weit zu öffnen schien, dass man in sie hineinschauen und ihr schlagendes Herz sehen konnte." Sie bewegt sich wie ein "Fotomodell", schreitet wie eine "Königin". Ihr Blick ist nichts für Nichtschwimmer: "Ihre dunklen Augen ergossen sich sinnlich über das ganze Café, wie Wellen, riesige Wellen." Betty kommt aus New York und hat den "Glamour Manhattans" um sich. In den Clubs dort hat Mr. Miles Davis mit ihr "geflirtet wie ein Weltmeister". Da steht Harry der Mund offen.
Betty bekommt eine Stelle im Café, und der Wahnsinn beginnt. Durch ein Schlüsselloch beobachtet der vor Eifersucht brodelnde Harry, wie Betty dem schwarzen Kellner alles gewährt, was Harry entbehrt. "Ich sah zu, wie sich sein riesiger, muskulöser Rücken bewegte. Die braune Haut glänzte wie ein fremdartiges silbernes Meer, von Perlen und Diamanten aus Schweiß übersät." Harry belagert Betty unverdrossen, und nach einer Weile wird geheiratet. In der Ehe wird gestritten, aber ab und zu hängen Tränen der Versöhnung an den Wimpern. Betty ist fünfzehn Jahre älter als Harry; eine derzeit beliebte Konstellation für literarische Liebespaare. Ein kühner Nabokov würde seinen Helden heute um Altersheime streichen lassen.
Betty wird schwanger, Harry hat den Kellner in Verdacht. Auf ihre Mahnung: "Harry - ich brauche einen Kinderwagen!", entgegnet er: "Ist dir klar, was ein Kinderwagen kostet? Die Dinger sind wahnsinnig teuer." Gelegentlich bekommt er eine Ohrfeige: "Das laute Klatschen ihrer Hand auf meiner Haut erfüllte den Raum wie ein Bläsersatz." So gerät der Jazz nicht völlig in Vergessenheit. Von schönen Tagen mit Miles Davis ist jedoch nicht mehr die Rede. Bettys Zeit in Amerika war, wie Rückblenden zeigen, sehr viel blueslastiger: verlassene Kinder, verschwundene Männer, ein Mord und acht Jahre Gefängnis.
Der Aufwand an Melodramatik ist hier nur anzudeuten. Triviale Sprachbilder stehen neben Vergleichen von expressionistischer Lautstärke. Die ungeschlachte, aufdringliche Erzählweise erzeugt auch den Eindruck des Surrealen, die Figuren sind ihren Anwandlungen und Begierden ausgeliefert. Die englische Kritik hat die Beschreibungen Londons in den fünfziger Jahren gelobt. Aber auch in dieser Hinsicht bietet der Roman kaum mehr als bekannte Stichworte, Jazz-Abziehbilder und Sentimentalitäten: "Wo sind die Äpfel, die damals über die Straße rollten?"
Kann man den Autor verteidigen? Schließlich hat er sein Werk "Soho Blues" genannt. Auch im Blues reden die Menschen nicht individuell, sondern die Gattung raunt und stöhnt wie in diesem Buch: "Lass mich nicht allein!" - "Ich tue alles für dich." - "Ich will, dass du mich liebst, Harry!" Auch der Blues hat es nicht auf feinsinnigen Abstand abgesehen, sondern erzählt die immer gleichen, auf den nackten Kern reduzierten Geschichten. Mit dieser schwermütigen Kunst der Verknappung hat der geschwätzige Roman nichts gemein. Ohne Musik könnten auch die besten Blues-Texte nicht bestehen.
WOLFGANG SCHNEIDER.
Neil Blackmore: "Soho Blues". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum. Aufbau Verlag, Berlin 1999. 286 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein bewegendes, romantisches Buch über eine lebenslängliche Liebe. Eine wunderbare Lektüre!" (Time Out)