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Wie wohnen und leben die Menschen in den Armutsvierteln der Welt? Wie sieht ihre Unterkunft aus, worauf sind sie stolz, und welche Probleme beschäftigen sie? Der Fotograf Jonas Bendiksen hat mehrere Monate in den Slums von Nairobi, Mumbai, Jakarta und Caracas verbracht. Seine einzigartigen 360-Grad-Aufnahmen bringen die räumlich und sozial Ausgegrenzten und ihr Zuhause eindringlich nahe. In kurzen Berichten schildern die Bewohner selbst, wie sie Not und Gewalt, aber auch Arbeit und sozialen Zusammenhalt erleben. Dieser Band gibt den am Rand der Metropolen ums Überleben kämpfenden Menschen eine Stimme und ein Gesicht.…mehr

Produktbeschreibung
Wie wohnen und leben die Menschen in den Armutsvierteln der Welt? Wie sieht ihre Unterkunft aus, worauf sind sie stolz, und welche Probleme beschäftigen sie?
Der Fotograf Jonas Bendiksen hat mehrere Monate in den Slums von Nairobi, Mumbai, Jakarta und Caracas verbracht. Seine einzigartigen 360-Grad-Aufnahmen bringen die räumlich und sozial Ausgegrenzten und ihr Zuhause eindringlich nahe. In kurzen Berichten schildern die Bewohner selbst, wie sie Not und Gewalt, aber auch Arbeit und sozialen Zusammenhalt erleben. Dieser Band gibt den am Rand der Metropolen ums Überleben kämpfenden Menschen eine Stimme und ein Gesicht.
Autorenporträt
Philip Gourevitch wurde 1961 geboren und schreibt unter anderem für den "New Yorker" und den "Forward". Darüber hinaus hat er für "Granta", "Harper's" und die "New York Review of Books" aus Afrika, Europa und Asien berichtet. Philip Gourevitch lebt in New York City.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.2008

Die Würde des Menschen ist antastbar

Slums haben kein Gesicht und keine Stimme. Das ist dank dieses Buchs jetzt anders: Der Fotograf Jonas Bendiksen hat Menschen in den Elendsquartieren von Nairobi, Jakarta, Bombay und Caracas porträtiert und lässt sie von ihrem Schicksal erzählen - lakonisch, unsentimental und ohne jede Spur von Selbstmitleid.

Von Jakob Strobel y Serra

Jeder sechste Mensch auf der Erde lebt in einem Slum. Die übrigen fünf Milliarden Menschen kommen dieses Sechstel selten besuchen, wissen kaum etwas von seinem Leben und wollen nichts mit ihm zu tun haben. Sie begnügen sich lieber schaudernd mit einer diffusen Schreckensvorstellung - das Elendsquartier als Metapher für eine Art apokalyptische Menschenmüllhalde, in der hoffnungslose Gestalten in Dreck, Elend, Chaos und Anarchie hausen, Gestalten ohne Gesicht und Stimme. Damit wollte sich der Fotograf Jonas Bendiksen nicht abfinden. Er hat monatelang in vier der berüchtigtsten Slums der Welt gelebt und ihren Bewohnern mit diesem kleinen, stillen, eindringlichen Buch genau das gegeben, was ihnen alle anderen verweigern: eine Identität.

Bendiksen ging mitten hinein in die Misere: nach Kibera, dem größten Slum Ostafrikas, in dem ein Viertel der Bevölkerung Nairobis wohnt, achthunderttausend Menschen auf einer Fläche so groß wie der New Yorker Central Park; nach Dharavi, dem berühmtesten Slum Bombays, dort teilen sich tausendvierhundert Bewohner eine Toilette und erbringen trotzdem eine Wirtschaftsleistung von einer Milliarde Dollar pro Jahr; nach Kampung Miskin, einem der zahllosen Elendsviertel von Jakarta, das in der Monsunzeit von Müll und Fäkalien überschwemmt wird; nach Los Barrios in Caracas, dem vielleicht gewalttätigsten Slum dieses brutalen Landes, im dem nach Schätzungen der Vereinten Nationen mehr Menschen bei Schießereien sterben als in jedem anderen Staat der Erde, der sich nicht im Kriegszustand befindet.

Die Fotografien zeigen eine unfassbare Menschenunwürdigkeit, in der es den Menschen dennoch oft genug gelingt, ihre Würde nicht zu verlieren. Sie haben fast nichts und sind auf das ganz wenige so stolz, als seien es alle Reichtümer der Welt. Sie leben im Dreck, doch erhobenen Hauptes. Sie haben keine Zukunft und glauben dennoch an das Morgen. Ihr Kampf ist hoffnungslos, aber aufgeben werden sie nie. Jonas Bendiksen zeigt die Allerärmsten nicht als Schreckensgestalten einer plakativen Not. Er zerrt kein schreiendes Elend vor die Kamera, er ist weder Moralist noch Ankläger. Stattdessen fotografiert er die Behausungen nüchtern als Dreihundertsechzig-Grad-Panoramen, die man als Doppelseite aufklappt, um dann als Betrachter mitten in der Hütte, dem Häuschen, dem Unterstand zu stehen. Und er lässt die Slumbewohner von ihrem Leben erzählen. Charles Arori aus Kibera zum Beispiel, der mit seinen fünf Kindern auf dreieinhalb Quadratmetern wohnt und die Wände mit Tageszeitungen tapeziert hat. "Ich finde sie wunderschön. Und außerdem kann man dann alles sehen. Wenn die Zeitungen da hängen, sieht man die Kakerlaken schon von weitem. Oder das da - das ist eine Ameise. So kann man sich schützen."

Charles Arori hat ein großes Glück gefunden, verglichen mit vielen anderen Slumbewohnern, Subur Subeki aus Jakarta zum Beispiel, die mit zwölf Jahren zum ersten Mal verheiratet wurde, früh ihren Ehemann verlor und dann immer nur Pech mit den Männern hatte. Sie lebt mit ihrem kleinen Sohn auf einer Bank, besitzt nichts außer einer Handvoll Kleider und sagt: "Ich habe den Männern immer gefallen, und natürlich wollte ich eine Familie, aber leider hat mich einer hinters Licht geführt. Es stellte sich heraus, dass er schon verheiratet war - ich bekam sein Baby. Das ist meine Geschichte."

Andere Bewohner sprechen von Angst und Gewalt, Hunger und Erschöpfung, Drogen und Aids, nie selbstmitleidig oder vorwurfsvoll. Es sind Fatalisten und manchmal sogar Philosophen wie der Mörder Carlos aus Caracas, der mit seiner Riesenknarre auf Mickymaus-Kissen unter einem Kruzifix posiert und sagt: "Ich habe das Glück nicht gefunden. Das muss eben die richtige Balance haben. Wenn man total gut ist, wird das Leben langweilig. Wenn man völlig böse ist, wird es auch langweilig, also versuche ich, das ein bisschen auszugleichen" - Carlos der Killer, einer von einer Milliarde.

"So leben wir - Menschen am Rande der Megacitys" von Jonas Bendiksen, mit einer Einführung von Philip Gourevitch. Knesebeck Verlag, München 2008. Ohne Paginierung, zahlreiche aufklappbare Farbfotos. Gebunden, 29,95 Euro.

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