Produktdetails
  • Verlag: TASCHEN
  • ISBN-13: 9783822871898
  • Artikelnr.: 24880505
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.07.2013

Spaziergänge mit dem Zeichenstift
Eine Monografie dokumentiert das Schaffen des portugiesischen Architekten Álvaro Siza
Beim Anblick des Strandbads wird sofort klar, dass hier ein architektonischer Meister am Werk war. Denn wer in sommerlicher Sehnsucht die Umrisslinien des azurblauen Schwimmbeckens mit den Augen abschreitet, sieht, dass hier jemand exakt Maß genommen hat. Jeder Zentimeter, jeder Winkel fügt sich in den zerklüfteten Verlauf der Küste ein. Und zwar so perfekt, dass die Frage, was früher da war, der Fels oder das Becken, einen Augenblick nicht ganz abwegig erscheint.
  Natürlich war es die Natur, auf die Álvaro Siza, einer der bekanntesten Architekten Portugals, seinen Entwurf abgestimmt hat. Wie der Pritzker-Preisträger von 1992 einmal erzählte, halfen ihm dabei vor allem seine langen Spaziergänge am Strand, unweit seiner Heimatstadt Porto. Zeit dafür hatte er in diesen Jahren genug, denn erst nach der Nelkenrevolution 1974 im Land gab es für den damals 41-Jährigen größere Bauaufträge.
  Doch auch, als er mit seinen zahlreichen Sozialwohnbauten, den Museen, Sportstätten, Unifakultäten und nicht zuletzt Expo-Pavillons sukzessive zum repräsentativen Baumeister Portugals aufstieg, hat Álvaro Siza stets das zeitintensive Studium der Umgebung seiner Bauten beibehalten und versucht, ihre moderne Formensprache einzubetten, ohne sie verschwinden zu lassen. Das macht den gerade achtzig Jahre alt Gewordenen bis heute zum Meister des „implantação“, der „Einpflanzung“, wie das auf Deutsch schwerfällig heißt.
  Wie genial ihm das gelingt, versteht man eigentlich erst, wenn man sich durch seine kühl modernistischen Gebäude bewegt. Etwa auf der Rampe durch sein Zentrum der Zeitgenössischen Kunst im spanischen Santiago de Compostela emporschreitet und sieht, wie perfekt da jeder Fensterausschnitt gesetzt ist, wie bedacht die Kubatur des mit Granit ummantelten Museums auf das benachbarte Kloster aus dem 17. Jahrhundert reagiert, wie konsequent die Geografie des angrenzenden Parks in dem Bau seinen Widerhall findet.
  Auch Sizas kluge Choreografie des Lichts, der überraschende Reichtum an Helligkeit in den meist großflächig geschlossenen Fassaden lässt sich am besten in der direkten Begegnung erleben, ob in der Fundação Serralves, wo er das Licht von oben indirekt hineinfluten lässt, oder in seiner weißen Kirche in Marco de Canaveses, wo ein „Lichtkamin“ den Altar von hinten erstrahlen lässt.
  Trotzdem ist die mehrere Kilo schwere Architekturmonografie über Siza von Philip Jodidio, die nun bei Taschen erschienen ist, zu empfehlen. Nicht nur wegen der opulenten Bebilderung aller Projekte, die der Architekt seit 1952 entworfen hat, darunter das 2008 eröffnete Hombroich Museum in Neuss oder sein siegreicher Entwurf für das neue Besucherzentrum der Alhambra. Sondern vor allem, weil darin auch Álvaro Sizas Zeichnungen abgebildet sind. Sie zeigen, wie der leidenschaftliche Raucher im Skizzieren seine Form findet. Quasi mit dem Strich den Ort immer wieder abläuft bis der Entwurf sich passgenau in die Umgebung fügt.
LAURA WEISSMÜLLER
Philip Jodidio: Álvaro Siza. Complete Works 1952-2013. Taschen Verlag, Köln 2013. 500 Seiten, 99,99 Euro.
Perfekt fügt sich das Strandbad, das Siza in den Sechzigerjahren entwarf, in die zerklüftete Küstenlinie von Leça da Palmeira ein.
FOTOS (2): FG+SG FOTOGRAFIA DE ARQUITECTURA
  
  
Álvaro Siza, geboren 1933, hat vor allem in Portugal und Spanien gebaut. Aufgrund der Wirtschaftskrise dort kamen in den vergangenen Jahren aber auch Projekte in Südkorea und Brasilien dazu.
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