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»Sigmaringen? ... und doch, was für ein pittoresker Aufenthalt! ... als wäre man in einer Operette ... ein höchst gelungenes Bühnenbild ... Sie hätten dort Soprane und leichte Tenöre erwartet ... und fürs Echo war der ganze Wald da!« So beschreibt Louis-Ferdinand Céline jenen Ort, an den die Vichy-Regierung rund um Marschall Pétain im Winter 1944/45 gebracht wurde. Für Clemens Klünemann ist Sigmaringen das Symbol einer deutsch-französischen Zusammenarbeit, die unter ganz anderen, nationalistischen, Vorzeichen stattfand, als jene, die 1963 durch den Elysée-Vertrag begründet wurde. Und es sind…mehr

Produktbeschreibung
»Sigmaringen? ... und doch, was für ein pittoresker Aufenthalt! ... als wäre man in einer Operette ... ein höchst gelungenes Bühnenbild ... Sie hätten dort Soprane und leichte Tenöre erwartet ... und fürs Echo war der ganze Wald da!« So beschreibt Louis-Ferdinand Céline jenen Ort, an den die Vichy-Regierung rund um Marschall Pétain im Winter 1944/45 gebracht wurde. Für Clemens Klünemann ist Sigmaringen das Symbol einer deutsch-französischen Zusammenarbeit, die unter ganz anderen, nationalistischen, Vorzeichen stattfand, als jene, die 1963 durch den Elysée-Vertrag begründet wurde. Und es sind die in Sigmaringen ein letztes Mal versammelten Protagonisten, die auf beiden Seiten auch nach der Beendigung der Kollaboration das Bild des jeweils anderen Landes prägen werden. In Zeiten eines wiedererstarkenden nationalistischen Projekts in Europa zeigt uns diese wichtige und erkenntnisreiche Abhandlung, wo die Grundzüge einer Zusammenarbeit nationalkonservativer Kräfte gelegt wurden - und wie überraschend aktuell dieser verdrängte Teil deutsch-französischer Geschichte ist.
Autorenporträt
Clemens Klünemann, 1962 in Soest geboren, studierte Romanistik, Geschichte, Gräzistik, Germanistik und Theologie in Münster, Louvain-La-Neuve und Toulouse. Er ist Lehrer und Honorarprofessor am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Sehr verdienstvoll findet Rezensent Wolfgang Stenke, dass der Historiker Clemens Klünemann das Sigmaringer Kapitel der deutsch-französischen Beziehungen beleuchtet. Es war düsteres, betont der Rezensent und lernt von Klünemann nun auch, dass beiden Seiten daran gelegen war, es unbeleuchtet zu lassen: Nach der Landung der Alliierten im Juni 1944 in der Normandie, rekapituliert Stenke, brachten die Nazis die kollaborierende Vichy-Regierung des greisen Marschall Pétain und ihre Entourage (zu der auch Louis-Ferdinand Céline gehörte) ins Hohenzollernschloss nach Sigmaringen. Klünemann tut gut daran, an diese "finster-absurde" Episode zu erinnern, meint der Rezensent, auch wenn er nicht alle Schlussfolgerungen des Autor teilt. Aus dem Buch lernt der Rezensent auch, wie der FDP-Politker Ernst Achenbach bis in die siebziger Jahre die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher in Frankreich sabotierte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2019

Endspiel im Hohenzollernschloss
Clemens Klünemann möchte das deutsch-französische Verhältnis vor alten Dämonen bewahren

Im August 1944, wenige Tage vor der Befreiung von Paris, transferierten die deutschen Besetzer die in Vichy residierende Regierung Marschall Pétains zuerst nach Belfort und Anfang September weiter nach Osten und außerhalb Frankreichs in das baden-württembergische Städtchen Sigmaringen. Pétain hatte gegen diese Verbringung protestiert, ebenso Pierre Laval, sein ihm von den Deutschen aufgedrungener Regierungschef. Beide hatten zwar die Kollaboration des État français mit den Deutschen exekutiert, waren aber nicht mehr bereit, auf die deutsche Karte zu setzen, und betrachteten sich bei ihrer Ankunft im Sigmaringer Hohenzollern-Schloss an der Donau als ihrer Regierungsfunktionen ledig; einige Minister und höhere Beamte hielten es ebenso.

Dieser passiven Fraktion standen in den nächsten acht Monaten die Ultras der Kollaboration gegenüber, für die jetzt endgültig die Zeit des Schulterschlusses mit den Deutschen im Zeichen des Kampfs gegen den Bolschewismus, aber auch gegen de Gaulle (den sie als Geisel der Kommunisten darstellten), gekommen war. Eine nationale Revolutionsregierung hatten sie schon seit längerem gefordert, waren bei den Deutschen, die vor allem Ruhe an der sich abzeichnenden Westfront haben wollten, aber abgeblitzt. Nun kamen sie in einer Regierungskommission zum Zug, von der die Deutschen zuerst noch hofften, sie würde den legitimierenden Segen Pétains erhalten, bevor sie unter dem Eindruck von dessen beharrlicher Verweigerung und der sich für sie weiter verschlechternden militärischen Lage schließlich auf einen anderen Ultra setzten - Jacques Doriot. Doch der kam gegen Ende Februar 1945 bei einem Fliegerangriff ums Leben. Damit war das Nachspiel von Vichy auf deutschem Boden in politischer Hinsicht so gut wie beendet.

Clemens Klünemann sieht nun in diesem Nachspiel und also in Sigmaringen, das seinem Essay den Titel gibt, einen hervorgehobenen Erinnerungsort der neueren deutsch-französischen Geschichte. Oder besser: einen Erinnerungsort, den es erst wirklich verständlich zu machen gelte, wolle man alte Dämonen endlich zur Ruhe bringen, welche das deutsch-französische Verhältnis nach wie vor auf beiden Seiten durch die Produktion nationaler Stereotype gefährdeten. Als direkter Beleg für eine solche fortdauernde Virulenz tiefsitzender gegenseitiger Vorurteile werden allerdings nur die Ansichten zweier zeitgenössischer Autoren genannt. Das muss man nicht gerade als beunruhigend empfinden. Aber vor allem sieht man noch nicht, welche Rolle bei der geschichtstherapeutischen Behandlung entsprechender Behauptungen ausgerechnet Sigmaringen spielen soll. Schließlich lassen sich einschlägige Versuche in nationaler Charakterkunde - furchtbar effiziente, autoritätsfixierte Deutsche gegen irgendwie lebenskünstlerische, doch eben ziemlich marode Franzosen - auch bis 1914/18 zurückverfolgen, oder sogar bis 1870/71.

Nun hat Klünemann gar nicht so sehr die konkreten Entwicklungen in Sigmaringen im Blick, sondern viel eher die Vorgeschichten der Franzosen und Deutschen, die dort die Kollaboration in einer ziemlich rasch aussichtslosen Situation zu einem Ende brachten. Auf der einen Seite französische Ultras wie Déat, de Brinon, Jean Luchaire, auf der anderen Figuren wie Otto Abetz, Karl Epting oder Gerhard Heller, die im besetzten Paris für eine Fassade deutsch-französischer Freundschaft gesorgt hatten, hinter der sich Ausbeutung und Repression gut organisieren ließen.

Aus deutsch-französischen Annäherungen, welche in der Zwischenkriegszeit von beiden Seiten betrieben worden waren, um die Gefahr eines neuen Krieges zu bannen - von den französischen Proponenten oft noch unter linkem Vorzeichen -, war da die Kollaboration geworden, welche die Deutschen strikt strategisch einsetzten.

Auf diesen Übergang einer Kerngruppe des Sigmaringer Personals von der pazifistischen Verständigung zwischen den "Erbfeinden" zur Kollaboration nach der militärischen Niederlage Frankreichs legt Klünemann besonderen Nachdruck. Das kann man tun, selbst wenn es etwas missverständlich ist, für die Zwischenkriegszeit von einer "Vorbereitung der Kollaboration" zu sprechen, denn eine Kriegsentscheidung, die das Verhältnis radikal ändern sollte, war ja nicht antizipiert. Aber warum damit vor allem Sigmaringen zum Erinnerungsort aufrücken soll, an dem sich wieder auflebende Gespenster der deutsch-französischen Geschichte bannen lassen sollen, bleibt im Ungefähren.

Bezeichnenderweise zieht der Autor in seiner Schlussbetrachtung denn auch die Vichy-Jahre und Sigmaringen zusammen, mit der banalen Bemerkung, dass sie "keinesfalls lediglich eine operettenhafte Episode" waren. Das muss, nach Jahrzehnten mittlerweile intensiver Erforschung von Vichy und der Kollaboration, nun wirklich nicht festgestellt werden. Und auch der Hinweis, dass es ein verbindendes Element gibt zwischen einem Antisemitismus der dreißiger und vierziger Jahre und gegenwärtigen Antisemitismen - nämlich "den Juden" qua Juden zum Sündenbock zu machen - kommt über eine Banalität kaum hinaus. Man würde verstehen, wenn der Autor mit einem solchen Essay in den achtziger Jahren eine fällige Historisierung der "années noires" angemahnt hätte. Heute lässt er einen nur verwundert zurück.

HELMUT MAYER

Clemens Klünemann:

"Sigmaringen". Eine andere deutsch-französische Geschichte.

Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019. 175 S., Abb., br., 15,- [Euro].

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